PORTRÄT:Party des Tages: 125 Jahre JVA-Tegel

Glückwunsch, eine marode Verwahranstalt feiert sich selbst (Berlin, 8.2.2018)
Hier hat das Einsperren Tradition. Anlässlich des fesselnden Ereignisses »125 Jahre JVA-Tegel – Vom Königlichen Strafgefängnis zur Justizvollzugsanstalt« luden Gefängnisleitung und Berliner Justizverwaltung am Freitag zur Party. Nix für schwache Nerven, auf zum Partyranking:

Location: kein Platz für wegsperrige Gedanken in der ökumenischen Knastkapelle. Hingucker – das Wandtattoo neben den Orgelpfeifen mit dem Schriftzug »Wen Jesus befreit, der ist wirklich frei«.

Line-up: Das Leben in Vollzügen genießen! Die Sause beginnt mit düsterem Orgelklang und dem Musicallied »Close Every Door« (kein Witz!). Danach folgt die Gefangenenband mit »Yesterday« von den Beatles. »Das war zauberhaft«, bedankte sich Justizsenatorin Felor Badenberg in ihrer Abschlussrede bei den Musikanten. »Seitdem die neue Justizsenatorin im Amt ist, fühlen sich diejenigen, die eh gerne mit Repression spielen, ganz besonders animiert, noch mal eine Schippe draufzulegen«, sagte der Gefangene Marc M. Ende August gegenüber jW. Dieses Jahr gab es bereits neun Suizide in Berliner Knastfabriken. Badenberg möchte die Jobbedingungen in Tegel verbessern – die der Beamten, nicht der zwangsarbeitenden Gefangenen.

Neues Deutschland Klima
Highlight auf der Orgel: »Von guten Mächten treu und still umgeben«, Stück eines Ehemaligen, des Theologen und Antifaschisten Dietrich Bonhoeffer, der vom 5. April 1943 bis zum 8. Oktober 1944 in Tegel inhaftiert war.

Tegeler Promifaktor: rekordverdächtig! Alfred Döblins Franz Biberkopf. Carl von Ossietzky, der echte Hauptmann von Köpenick, Andreas Baader. Eine Anstellung in der Gefängniswerkstatt kann man wohl stolz im Lebenslauf stehenlassen.

Food and Drinks: keine Feilen in der Jubiläumstorte. 🙁

Zellenabschließend lässt sich sagen: Arme haften für ihre Eliten.

Von Annuschka Eckhardt, junge Welt 7.10.23