Düsseldorf, 14.07.2023
§ 129b StGB trägt die Schärfe der Auseinandersetzung in sich, die die Wirklichkeit schreibt. Es geht nun einmal um nicht weniger und um nicht mehr, als um die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland mit der Verfolgung von Antifaschisten und Sozialisten sich zum Handlanger einer faschistischen Diktatur in der Türkei macht – und dabei selbst tragende Grundpfeiler demokratischen Rechts aufgibt.
Und darum geht es, wenn die Verteidigung, wie in den letzten Verhandlungstagen erfolgt, in umfangreichen Anträgen darlegt, warum das Verfahren gegen die drei Angeklagten einzustellen ist. Weil § 129b StGB per se verfassungswidrig ist, indem Handlungen, die nicht nur selbstständig nicht strafbar sind, sondern sogar grundgesetzlich geschützt sind – die Durchführung von Versammlungen, von Konzerten, die Ausübung der Meinungs-, Versammlungs- und Kunstfreiheit – durch den Konnex der Mitgliedschaft einer Vereinigung im Ausland zur Straftat werden können. Indem die Exekutive selbst in die Judikative eingreift, durch eine nicht begründungspflichtige Verfolgungsermächtigung, mittels derer die Verfolgung
der Vereinigung überhaupt erst erfolgen kann. Weil mittels §129b StGB und der Verfolgung von angeblichen Mitgliedern einer Vereinigung in der Türkei eine faschistische Diktatur geschützt wird, die Regimegegner extralegal tötet, in ihren Gefängnissen foltert, verfassungsrechtliche Freiheiten versagt.
Dass die Bundesanwaltschaft von dem Diskurs über diese Tatsachen und diese grundlegenden Fragestellungen wenig wissen will, wird an ihrer immer wieder zu hörenden Entgegnung deutlich:
Es gäbe keinen Grund, anzunehmen, dass § 129b StGB verfassungswidrig sei, und – im Übrigen – wer Marxist-Leninist ist, kann nicht in Anspruch nehmen, eine schützenswerte Befreiungsbewegung zu sein. Es ist der Grundtenor einer Haltung, die die Bundesrepublik seit ihrer Entstehung prägte: Wer Kommunist ist, kann sich nicht auf bürgerliches Recht berufen. Eine antidemokratische Haltung der Gesinnungsjustiz, des Sonderrechts für Sozialisten und Kommunisten. Der Begriff „Feindstrafrecht“ wird nicht gern in den Mund genommen, die Realität aber benötigt diesen.
Es ist daher in der Sache liegend, dass die Verteidigung nicht nur grundsätzlich durch Anträge das Verfahren in Gänze in Frage stellt – sondern auch jede Folge, die ein Verfahren gem. § 129b StGB mit sich bringt, beanstandet und auf deren Aufhebung dringt:
Seit Beginn des Prozesses war eine entscheidende Frage, ob die Angeklagten selbst im Gerichtssaal in einem eigenen Glaskäfig zu sitzen haben, flankiert von jeweils zwei Beamten – deren Gefährlichkeit behauptend, diese bildlich manifestierend. Einen kleinen Erfolg gab es insofern, nachdem der Staatsschutzsenat bei den letzten beiden Sitzungstagen diese Sitzordnung aufhob und die Mandanten nunmehr neben ihren Verteidigern sitzen können. Ein notwendiger Schritt – und rechtlich begründet, gibt es doch keinen tatsächlichen Anhaltspunkt für die Notwendigkeit der besonderen Sicherung. Oder anders gesagt: Welche Gefahr tatsächlich von den Angeklagten ausgehen soll, mag in diesem Verfahren der Prüfung unterworfen werden. Ein demokratisches Recht bräuchte sich dessen nicht zu fürchten.
Nicht nur keine Furcht hiervor dürfte es geben, sondern selbstverständlich müsste es sein, dass der Verteidigung – und dem Gericht- dieselben Akten vorliegen, wie diese die Bundesanwaltschaft hat: Nach wie vor werden Akten zurückgehalten, deren Inhalt womöglich weiteren Aufschluss darüber gibt,
inwieweit der Inlandsgeheimdienst ‚Bundesamt für Verfassungsschutz‘ an den Ermittlungen und der Genese der Anklage selbst beteiligt war. Lauert hier eine tatsächliche Gefahr der Aufdeckung rechtswidrigen, staatlichen Handelns?
Am 5. Hauptverhandlungstag wurde die Sitzung vorzeitig unterbrochen, nachdem der Senat den Zuschauersaal – unter Beiziehung über eines Dutzends Polizeibeamte – räumen ließ und nach Beratung mit dem leitenden Polizeiführer von einer Fortsetzung der Verhandlung absah. Die Verteidigung der drei Angeklagten kann dies nicht nachvollziehen.
Nach der Unterbrechung zur Mittagspause hatte die politische Aktivistin Eda Deniz Haydaroğlu, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit 117 Tagen im Hungerstreik befand, im Zuschauersaal ihre Stimme erhoben, um das Verfahren als politischen Prozess und den Paragraphen 129b als Deckmantel für Willkür und einen Angriff auf demokratische Rechte anzuprangern. Sie forderte ein faires Verfahren. Eine solche Erklärung einer Zuschauerin mag die Strafprozessordnung nicht vorsehen. Die Annahme aber, dass dies eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt, die einen Ausschluss der Öffentlichkeit begründen könnte, ist aus Sicht der Verteidigung absurd:
Nicht nur, dass – wie in einem Sondergerichtsgebäude architektonisch vorgesehen – der Zuschauersaal hermetisch abgeriegelt ist. Nicht nur, dass keinerlei „Unordnung“ im Gerichtssaal selbst entstand.
Insbesondere die Anmerkung des Vorsitzenden, bevor die Räumung angeordnet wurde, lässt die Verteidigung aufhorchen: Wenn nicht sofort Ruhe einkehre, würde die Sitzordnung wieder geändert, die Angeklagten müssten also wieder hinter in den – ebenso hermetisch abgeriegelten – „Glaskäfigen“ Platz nehmen. Ein Zusammenhang aber zu der soeben erst – zu Recht – ermöglichten, aus Sicht der
Verteidigung Art. 6 EMRK entsprechenden, Sitzordnung und der Rede der politischen Aktivistin war offensichtlich nicht gegeben.
Ein solches Vorgehen stellt aus Sicht der Verteidigung eine unnötige Eskalierung dar, die geeignet ist, Prozessbeobachter und kritische Begleiter dieses Verfahrens einzuschüchtern.
Für Rückfragen und weitere Informationen kann sich an die Verteidigung gewandt werden:
Verteidigung İhsan Cibelik
Rechtsanwalt Heinz Schmitt, Wanheimer Str. 71, 47053 Duisburg
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Rechtsanwalt Frank Jasenski, Industriestr. 31, 45899 Gelsenkirchen
Telefon 0209-3597670 Fax 0209-3597679
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Verteidigung Özgül Emre
Rechtsanwalt Yener Sözen, Industriestr. 31, 45899 Gelsenkirchen
Telefon 0209-3597670 Fax 0209-3597679
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Verteidigung Serkan Küpeli
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Rechtsanwalt Roland M. Meister
Industriestr. 31
45899 Gelsenkirchen
Telefon 0209-3597670 Fax 0209-35976
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