Die Geschichte der Gefängnisse in der Türkei ist eine Geschichte des Widerstandes und der Massaker! Und ich bin Teil dieser Geschichte.
Nach dem proamerikanischen Putsch vom 12. September wurden zwei Millionen Menschen verhaftet, Tausende wurden inhaftiert, vor den Militärgerichten zu tausenden von Jahren Haftstrafe verurteilt. In dieser Zeit wurden hunderte Gefangene vom Staat ermordet, 49 Personen gehängt. Die Zahl der ermordeten Gefangenen nach dem Jahr 2000, d.h. in den letzten 18 Jahren, beträgt 3.500! Während mit dem 1991 in Kraft getretenen „Terrorbekämpfungsgesetz“, Gesetz-Nr. 3713, die Grundlage für den Wechsel zum auf Isolation basierenden Zellensystem geschaffen wurde, wurde ohne Zeit zu verlieren durch Angriffe versucht, diese Politik umzusetzen. Der erste Schritt hiervon war die Eröffnung der Eskisehir Sonderhaftanstalt, die jedoch aufgrund des Widerstands der Inhaftierten geschlossen wurde. Die Isolationshaftanstalten, die sie aus ihren imperialistischen Herrenländern importiert hatten, verschwanden nie aus der Agenda der Oligarchie. Auch wenn sie bei jeder Gelegenheit versucht haben, die Rahmenbedingungen zur Einführung der Isolationshaftanstalten zu schaffen, mussten sie sich in Anbetracht des Widerstandes der Inhaftierten und der Bevölkerung jedes Mal geschlagen geben. Auch wenn die Angriffe des Staates auf die Gefängnisse nach dem Todesfasten-Widerstand von 1984 vergleichsweise zurückgegangen war, nahmen sie insbesondere ab 1995 wieder zu.
In der Zeit, in der ich in türkischen Gefängnissen inhaftiert war, erlebte ich persönlich folgende Massaker-Operationen und sah wie Gefangene ermordet wurden:
am 21 September 1995 im Gefängnis in Buca: 3 Personen,
am 4 Januar 1996 im Gefängnis in Ümraniye: 4 Personen,
am 24 September 1996 im Gefängnis in Diyarbakir: 11 Personen,
am 26. September 1999 im Ulucanlar-Gefängnis in Ankara: 10 Personen.
Bei der Operation, die 19-22 Dezember 2000 in 20 Gefängnissen gleichzeitig zur Einführung der Typ-F-Gefängnisse durchgeführt wurde, wurden 28 Gefangene ermordet.
Darüber hinaus wurde im Gefängnis in Burdur, wohin ich nach der Massaker-Operation in Ankara-Ulucanlar gebracht wurde, nach einiger Zeit wieder eine Massaker-Operation durchgeführt. Auch wenn niemand bei dieser Operation getötet wurde, wurden alle Gefangenen durch die Folter, der sie ausgesetzt waren, verletzt. Einem Gefangenen wurde zum Beispiel während der Operation durch den Einsatz von schweren Baumaschinen ein Arm abgetrennt. Dieser Arm wurde einige Tage später in einer Straße von Hunden ausgegraben.
Ich werde Ihnen jetzt einige Fotos zeigen, wenn Sie das alles noch detaillierter sehen wollen, kann ich Ihnen Quellenangaben mit auf den Weg geben, denn es gibt zu all dem auch Bücher und Darstellungen [Mdt. benennt Quellen vornehmlich in Buchform]. Hieraus lassen sich noch detailliertere Augenscheineinnahmen bewerkstelligen. Mit den Möglichkeiten, die meine Verteidiger zur Verfügung hatten, haben sie nur wenige Lichtbilder beschaffen können.
AO Vors.:
Es werden die im Antrag Anl. 112 näher bezeichneten Fotos allseits in Augenschein genommen. [wird ausgeführt, im Anschluss Erklärung des Mdt. zu LiBis][LiBi 1.jpg:] Das ist das Dach eines Gefängnisses. Es steigt Rauch auf. Es gibt 20 verschiedene Städte der Türkei, 20 verschiedene Gefängnisse in der Türkei.
[LiBi 2.jpg:] Das ist einer der angezündeten Gemeinschaftsräume, in denen sich Gefangene befanden.
[LiBi 3.jpg:] Das sind die Räume und Zellen, in denen Gefangene schlafen.
[LiBi 4.jpg:] Das kommt einem doch so bekannt vor, es gleicht den Nazi-Lagern. Sogar das Metall war verbrannt.
[LiBi 5.jpg:] Das ist der Hof eines Gefängnisses. Ich war in diesem Gefängnis untergebracht, die Person, die man sieht, ist der Leiter dieses Gefängnisses. Er gehörte zu den Mördern, die alle Gefangenen mit mordeten und folterten. Das ist alles Jahre her, aber ich habe diese Bilder nicht vergessen.
[LiBi 6.jpg:] Das ist eine Gefangene. Was kann das sein, das Weiße, was sie im Gesicht hat. Ich hatte es früher schon einmal erzählt: 6 Frauen waren in einer Gemeinschaftszelle, sie wurden mit Gas überschüttet. Bei dem Brand gab es keine Flammen, aber das Fleisch der Gefangenen schmolz. Ihr Gesicht schmolz durch chemische Gase.
[LiBi 7.jpg:].
[LiBi 8.jpg:].
[LiBi 9.jpg:] Die Gefangene, deren Gesicht man vorhin geschmolzen gesehen hat: Hier ist eine der sechs Frauen. Es ist ihr Leichnam, der Leichnam von Seyhan Dogan. Sie gehörte zu den mit Gas überschütteten und angezündeten Frauen. Während des Massakers vom 19.-22.12.2000 haben wir von 18 Freundinnen und Freunden solche Leichname bekommen.
[LiBi 10.jpg:] Das ist ein Freund von mir, der in Urucanla durch Folter ermordet wurde. Er war ein Revolutionär Vor seiner Festnahme war er Lehrer. Er heiß Ismet Kabaglouoglou. Es wurde berichtet, dass ihm vor seinem Tod durch Maschinen Körperteile abgetrennt wurden. Ich hätte einer von diesen Gefangenen werden können, ich bin es aber nicht geworden. Ich war einer der Gefangenen, die sie für tot hielten, ich war es aber nicht.
[LiBi 11.jpg:] Das ist ebenfalls einer der am 19.12. ermordeten Gefangenen.
[LiBi 12.jpg:].
[LiBi 13.jpg:] Das Gefängnis von Bayrampasar, das ist das Gefängnis, in dem sechs Frauen bei lebendigem Leib angezündet wurden. Unter ihnen sind Frauen, die später in den Gefängnissen des Typ F ermordet wurden. Ich hatte von einer Revolutionärin berichtet, die aus dem Libanon verschleppt worden war. Ayten Öztürk, ihre ältere Schwester, die im Gefängnis des Typs F umgebracht wurde, sieht man hier.
[LiBi 14.jpg:] Eine der überlebenden Revolutionärinnen.
[LiBi 15.jpg:] Während der Operation wurden ganze Mauern eingerissen, die Gefangenen, die entkamen, sehen wir hier.
[LiBi 16.jpg:] Der türkische Staat nannte das Massaker „Rückkehr zum Leben“. Wir sehen hier, wie sie Leben retten.
[LiBi 17.jpg:] Ich weiß nicht, was das Bild für Sie bedeutet. Ich werde die Geschichte hierzu gleich erzählen. Als ich meinen Verteidigern erzählte und beschrieb, was ich hier haben will, haben sie dieses Foto hier entdeckt. Aber selbst wenn sie es nicht gefunden hätten, hätte ich es nie vergessen. Es verschwindet nicht mehr. Es ist das Bild von Hatice […], die sich auf dem Taksim-Platz selbst geopfert hat. Sie ist verbrannt, sie hat sich selbst angezündet, aber sie macht noch das Victory-Symbol. Warum wohl? Sie wurde in Deutschland geboren – ich werde dazu später noch kommen.
[LiBi 18.jpg:] Stellen Sie sich vor, ein Mensch, der schon gestorben ist, macht immer noch das Victory-Zeichen. Sie versuchen, mich zu verurteilen, weil ich auch immer noch das Victory-Zeichen mache. Wenn Sie doch nicht einmal die Victory-Zeichen der Leichen wegmachen können, meinen Sie, Sie können mich dann abhalten? Welcher Kopf, welches Gehirn kann einen toten Menschen mit dem Victory-Zeichen vergessen? Warum sind die Finger mit dem Victory-Zeichen noch nicht zu? Hunderte Victory-Zeichen sind immer noch hochgehalten. Sie denken, ich vergesse alle diese Menschen, weil Sie gegen mich prozessieren. Auch Sie werden diese Bilder nicht vergessen, Sie werden vielleicht davon träumen.
[LiBi 19.jpg:] Das sind drei Gefangene, die im Gefängnis von Buca 1995 ermordet wurden. Drei Gefangene wurden ermordet durch Folter, Dutzende wurden verletzt.
[pdf-Dokument] Er hatte Töchter. Sie hießen […]. Es waren Schwestern. Wir sehen hier ihren Vater. Sie waren in Freiheit, nicht im Gefängnis. Zum zweiten werde ich später etwas erzählen. Die dritte ist […], die Schwestern wollten gegen Isolationsgefängnisse protestieren und verloren ihr Leben im Todesfasten. Ihr Freund und ihr Onkel waren Gefangene in den Gefängnissen. Schließlich eine Mutter. Sie hatte Kinder, sie selbst war in Freiheit, aber in den Gefängnissen waren ihre geliebten Angehörigen, ihre Freunde und Freundinnen. Sie sagten: „Wenn unsere Geliebten in den Gefängnissen Repression und Folter ausgesetzt sind, können wir nicht tatenlos bleiben.“ Diese Personen gaben für mich ihr Leben. Denn Leute in Ihrem System können nicht einmal einen Fingernagel füreinander hergeben, aber junge Frauen, Mütter, Männer haben ihre Familien zurückgelassen und sich für mich geopfert. Sie waren in Freiheit, sie wollten nicht, dass man Massaker gegen uns ausübt.
[MP4-Datei Turkey´s Operation „Return to life“.
Herr Staatsanwalt hat Widerspruch gegen die Bilder eingelegt, er wusste nicht, was die Bilder darstellen. Der Zusammenhang ergibt sich daraus, dass ich aus diesen Bildern entkommen bin. Natürlich hat das alles mit der Sachlage hier zu tun. Das war nicht alles, was ich hier zeigen wollte. Ich versuche den Rest zu beschreiben. Ich gehe davon aus, dass auch der Herr Staatsanwalt mittlerweile den Bezug herstellen konnte.
Alle ermordeten Gefangenen wurden getötet, indem ihre Köpfe und Augen zerschmettert, ihre Hände und Arme gebrochen, sie mit chemischen Gasen verbrannt, erschossen, gefoltert wurden. Darüber hinaus starben mehr als 150 Gefangene bei Widerstandskämpfen wie Hungerstreik- und Todesfasten, die durchgeführt wurden, um gegen die Repressionen, die Folter und Massaker des Staates zu protestieren, um ihre Rechte zu bekommen und diese zu verteidigen. Der direkte Verantwortliche für diese Toten ist auch der Staat.
Die bekanntesten dieser Widerstände sind die im Jahr 1996, bei denen zwölf Gefangene durch Todesfasten ihr Leben verloren haben, und der zwischen den Jahren 2000 und 2007 durchgeführte „Große Widerstand“, bei dem 122 Menschen gestorben sind. Ich bin ein lebender Zeuge von alldem. Denn, ich habe es persönlich erlebt. Beschuldigen Sie nicht die Menschen aufgrund der Berichte Ihrer Geheimdienste; wenn Sie etwas interessiert, wenn Sie etwas fragen wollen, fragen Sie mich. Kein Gesetz, kein Recht, keine Hülle, keine Demagogie kann diese Folter und die Wirklichkeit der türkischen Gefängnisse verbergen.
Hungerstreik und Todesfasten:
Wo auch immer wir uns auf der Welt befinden, wenn heute von „Hungerstreik“ und „Todesfasten-Aktionen“ gesprochen wird, dann müssen wir in die Türkei schauen. Denn die größten und längsten Widerstandskämpfe der Weltgeschichte wurden in der Türkei geführt. Die am Anfang des 21. Jahrhunderts in türkischen Gefängnissen begonnenen Todesfasten-Aktionen dauerten genau 7 Jahre und forderten 122 Gefallene. Dies ist ein Widerstandskampf. Er dauerte nicht einen Tag, nicht eine Woche, nicht einen Monat, nicht ein Jahr, sondern genau 7 Jahre.
Dies bedeutet 2 Tausend 2 Hundert 80 Tage!
Dies bedeutet 325 Wochen,
Dies bedeutet 76 Monate,
Dies bedeutet 26 Jahreszeiten…
Und nicht 1, nicht 2, nicht 20, sondern genau 122 Menschen haben in diesem Widerstandskampf ihr Leben verloren.
Sehr geehrtes Gericht,
Sie verurteilen in meiner Person diese Widerstandskämpfe, die Menschen, die bei diesen Widerständen ihr Leben verloren haben und das Widerstandsrecht der Völker, aber sie schützen die Mörder. Keine Sorge, Sie sind nicht die Ersten, Sie werden auch nicht die Letzten sein. Aber das, was Sie machen, wird als eine Quelle der Scham in die Geschichte eingehen.
Um diese Widerstände besser verstehen zu können, schauen wir uns die Geschichte ein wenig an:
Hungerstreik als Reaktion auf Ungerechtigkeiten:
[Ausführungen zu weiterem Beispiel aus dem antiken Rom.]Im vorchristlichen Irland war Hungerstreik eine weit verbreitete Protestform, um gegen Ungerechtigkeit zu protestieren. Diese Aktion, die als „Troscadh“ oder „Cealachan“ bezeichnet wurde, wurde von der Person, die Ungerechtigkeit erfahren hatte, vor der Türe der Person durchgeführt, die die Ungerechtigkeit verwirklicht hatte. In Irland, wo die Kultur des „Gastgeber“-Seins sehr wichtig ist, stellte es eine Quelle der Scham dar, wenn jemand vor der Türe von jemandem hungerte.
Eine ähnliche Tradition ist aus Indien bekannt. Einen Hungerstreik vor der Türe von jemandem zu machen, bedeutete in diesem Land, die Gerechtigkeit wiederherzustellen, den Justizapparat, den Mechanismus in Bewegung zu bringen. Diese Tradition, deren Wurzel bis 750 v. Chr. reichen, wurde im Jahre 1861 von den englischen Kolonialisten verboten. Aber weder die Verbote der Herrschenden noch ihre Repressionen konnten es verhindern, dass die Völker in ihrem Widerstandskampf den Hungerstreik als Waffe einsetzten und ihn heute noch einsetzen.
Von Frauenrechtlerinnen über Umweltaktivisten bis zu denen, die einen politischen Kampf führen, wurde der Hungerstreik als eine Form des Kampfes um Recht und Freiheit, seit Jahrhunderten weit verbreitet eingesetzt.
Frauen, die für das Frauenwahlrecht kämpfen (Soufragetten)
Es war einer der frühen Hungerstreiks von Frauen, die für ihr Wahlrecht kämpften. Man versuchte dann, diese Aktionen zu unterbinden.
Der erste Angriff auf den Hungerstreik: „Das Zwangsernährungs-Gesetz!“
Die 1864 in Inverness in Schottland geborene Marion Wallace Dunlop war eine der führenden Frauenrechtlerinnen ihrer Zeit. Sie war Mitglied in der Sozialen und Politischen Frauen-Union („WSPU“), die für das Frauenwahlrecht und gesellschaftliche Gleichberechtigung kämpfte.
Dunlop begann 1909, als sie das zweite Mal inhaftiert wurde, im Halloway-Gefängnis einen Hungerstreik, weil ihr ihre gesetzlich zustehenden Rechte verweigert wurden. Dieser erste Hungerstreik in englischen Gefängnissen dauerte 91 Stunden. Dunlop wurde mit Hinweis auf ihren Gesundheitszustand entlassen. In kurzer Zeit stieß diese Aktion als legitime Form des Widerstandes gegen Repression in breiten Kreisen, insbesondere bei den anderen Gefangenen auf große Akzeptanz. In demselben Jahr brachte die englische Regierung ein Gesetz zur „Zwangsernährung von Aktivisten im Hungerstreik“. Und so wurde der „Eingriff auf das Recht auf Widerstand“ gesetzlich.
Im Jahr 1910 verlor Jane Clark, die Schwester einer der führenden englischen Frauenrechtlerinnen, Emmeline Pankhurst, nach den ergriffenen Maßnahmen, die auf das „Zwangsernährungs“-Gesetz zurückzuführen sind, die die englische Regierung auf den Weg gebracht hatte.
Alice Paul, eine der amerikanischen Frauenrechtlerinnen, trat in den Hungerstreik, damit die Frauen in der Occoquan-Arbeitsstätte in Virginia ihr Recht bekamen, gewählt zu werden. Diese Aktion war zugleich einer der ersten Hungerstreiks, die im Rahmen einer politischen Forderung organisiert wurde.
Eine Tradition in Irland: Die Hungerstreiks
Wie ich auch weiter oben erläutert habe, ist der Hungerstreik einer der Traditionen, die tiefe Wurzeln in Irland haben. Es kam oft vor, dass die Gefangenen insbesondere zwischen den Jahren 1916-1923 für ihre politischen Forderungen diese Widerstandsform wählen.Tomas Padraig Aghas war einer von ihnen. Bei dem Oster-Aufstand war er Anführer der Fingal-Bataillon. Der von den Engländern gefangengenommene Aghas bekam die Todesstrafe. 1917 jedoch erlangte er durch die General-Amnestie nach den Hungerstreiks, mit welchen gegen die Gefängnisbedingungen protestiert wurde, seine Freiheit.
Kurze Zeit später wurde er aufgrund seiner Aktivitäten in Irland erneut inhaftiert. Aghas begann erneut einen Hungerstreik, um gegen diesen Umstand zu protestieren. Am 5. Tag seines Widerstandes wurde er von den Wärtern aus seiner Zelle herausgeholt, um zwangsernährt zu werden. Als Aghas wieder in seine Zelle zurückgebracht wurde, war sein Körper übersät mit blauen Flecken und er atmete schwer. Einige Stunden später verlor er sein Leben. Als Aghas im Beisein von 30 Tausend Menschen beerdigt wurde, hielt Michael Collins eine Rede, er sagte, dass das „das Ende der Worte“ sei und alle IRA-Anhänger schworen den Eid, Irland zu befreien. Nach dem Tod von Aghas verloren im Oktober 1920 Terence MacSwiney und zwei IRA-Mitglieder, Joe Murhy und Michael Fitzgerald bei Hungerstreiks ihr Leben. 1923 endeten die Hungerstreiks, an denen achttausend IRA-Mitglieder teilgenommen hatten, und kamen bis in die 1970´er Jahre kaum mehr vor. Ab den 1970´er Jahren als der Kampf der Irischen Republikanischen Armee wieder stärker wurde, kamen Hungerstreiks in Gefängnissen wieder vor. 1973 trat Frank Stagg, der wegen der Coventry-Aktion verhaftet wurde, mit den Forderungen, seine Anerkennung als „Kriegsgefangener“ und die Abschaffung der Zwangsarbeit, in den Hungerstreik. Stagg fiel am 63. Tag seiner Aktion. Nach dem Tod Staggs, im Jahr 1974 wurde das IRA-Mitglied Michael Gaughan durch den Versuch, während seines Hungerstreik zwangsernährt zu werden, ermordet.
Bobby Sands und seine Genossen
Die im Jahr 1981 in Irland realisierte Aktion, bei der Bobby Sands und 9 seiner Genossen gefallen sind, war eine der Hungerstreik- und Todesfasten-Aktionen, die die größte Reaktion der Weltöffentlichkeit hervorgerufen haben. Diese Aktion begann als die englische Regierung die in Gefangenen zwang, einheitliche Kleidung zu tragen. Den Gefangenen wurde eine absolute Kapitulation aufgezwungen; ihnen wurde ihre zivile Kleidung abgenommen, sie wurden auf eine demütigende, erniedrigende Weise gezwungen, die „Uniformen der Verbrecher“ zu tragen.
Die Gefangenen waren in den Zellen völlig nackt, hatten nur eine Decke. Sie sagten: „Wir sterben eher als dass wir kapitulieren; wir machen keine Zugeständnisse, was unsere politischen Überzeugungen betrifft.“ Dem Widerstand, der gegen diese Angriffe begonnen wurde, traten viele bei, auch von draußen kam enorme Unterstützung. Bobby Sands wurde während des Widerstandes sogar zwei Mal zum Abgeordneten gewählt. Bobby Sands und seine Freunde haben Wort gehalten, sie sind gestorben, haben nicht kapituliert.
Indien und Hungerstreiks
Hungerstreiks, die ein wichtiger Bestandteil der indischen Kultur sind, werden seit jeher in Indien als eine Tradition gewahrt. Dadurch hatten sie eine wichtige Wirkungskraft in Indien. Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts werden sie jedoch als politische Aktion eingesetzt. Was für ein Zufall ist es doch, dass das Ziel der Hungerstreiks auch in Indien wieder der kolonialistische englische Imperialismus ist. Wenn man Hungerstreiks in Indien sagt, kommen einem die friedlichen Aktionen von Mahatma Gandhi in den Sinn. Denn der 1922, 1930, 1933 und 1942 verhaftete Gandhi war gezwungen, mehrmals in den Hungerstreik zu treten.
Der Name des Widerstandskämpfers Jatindra Nath Das lebt in den Plätzen Indiens
Natürlich gibt es auch eine Zeit vor Gandhi; Jatindra Nath Das war ein Revolutionär, der für die Unabhängigkeit Indiens gekämpft hat. Der 1904 in Kalkutta geborene Das schließt sich bereits mit 17 Jahren einer revolutionären Gruppe an und beginnt zu kämpfen. 1925 wird er verhaftet und in das Mymensingh-Gefängnis gesteckt. Das beginnt dort einen Hungerstreik, um gegen die unmenschlichen Bedingungen und die Repressionen zu protestieren. Nach seinem 20-tägigen Widerstand werden seine Forderungen akzeptiert und die Gefängnisleitung entschuldigt sich bei der ganzen Bevölkerung. Der 1929 erneut inhaftierte Das beginnt zusammen mit den anderen revolutionären Gefangenen wieder einen Hungerstreik, damit die unmenschlichen Bedingungen im Gefängnis verbessert werden. Denn während in dem Gefängnis, in dem sie gefangen gehalten wurden, die Engländer und die Kollaborateure alle möglichen Rechte besaßen, konnten die Revolutionäre nicht einmal ihre Grundrechte in Anspruch nehmen. Auch wenn die Gefängnisleitung versucht hat, von den in den Widerstand getretenen Gefangenen zunächst Das zwangszuernähren, schaffte sie dies nicht. Des fiel am 63. Tag seines Widerstandskampfes. Der Zug, in dem sein Leichnam transportiert wurde, musste auf seiner Fahrt nach Kalkutta an jeder Station halten und wurde durch tausende von Menschen empfangen.
Das´ Tod schaffte es, die Grausamkeit der englischen Kolonialisten bei den Völkern der Welt bekanntzumachen. Viele Plätze in den Städten in Indien tragen heute immer noch den Namen von Das. Die Hungerstreiks in Indien waren nicht nur gegen die englischen Kolonialisten gerichtet, auch nach der Unabhängigkeit fanden Hungerstreik-Widerstandskämpfe mit politischen Forderungen statt.
Unterbrechung 11.36 Uhr; „FS: 13.00 Uhr“; FS: 13.11 Uhr
Sehr geehrte Herren,
ich hoffe, dass Ihnen die Bissen nach so viel Hungerstreik nicht im Halse stecken geblieben sind. So sieht es aus auf der Welt: Auf der einen Seite hungern die Menschen, auf der anderen Seite kämpfen sie gegen die Fettleibigkeit. […]
Wer ist der Hauptfeind? Unser Heuptfeind ist die Angst. Das sagte Domitilda […] Dara aus Bolivien. Sie war – wie die Männer und Frauen aus der Gegend – Minenarbeiter. Während das Volk unter der faschistischen Diktatur litt, ging es den Minenarbeitern nicht besser. Sie meinte, für die Minenarbeiter etwas machen zu müssen. Domitila begann Weihnachten 1978 in La Plaza, der Hauptstadt, mit einem Hungerstreik. Niemand glaubte ihnen. „Wollt Ihr fünf Frauen mit Eurem Hungerstreik die Diktatur stürzen?“ Man verhöhnte sie. Aber nach dem 23. Tag begann der Platz sich zu füllen. Der Hungerstreik breitete sich im ganzen Land aus. Es wurden Tausende, dann Zehntausende. Der Hauptfeind war besiegt, die Mauer der Angst wurde überwunden. Die faschistische Diktatur brach zusammen.
Eine weitere Frau, eine iranische Juristin und Widerstandskämpferin. Sie ist eine ehrenamtliche Anwältin der ungerecht behandelten und der Repression ausgesetzten Menschen. Als eingeschworene Gegnerin der Macht und der Propaganda kam sie ins Gefängnis. In den ersten Tagen ihrer Haft begann sie gegen Rechtsverstöße mit einem Hungerstreik für einen Monat. Zwei Monate danach führte sie für 49 Tage erneut einen Hungerstreik gegen ähnliche Repressalien durch. Sie wurde danach entlassen. Naslim war eine Juristin, aber es gab auch für sie – Sie sehen es ja – keinen anderen Weg gegen unrechtmäßige Justiz.
Ich hatte es bereits früher einmal gesagt: Meine Anwälte in der Türkei befinden sich bereits seit zwei Jahren in der Haft. Auch diese Anwälte begannen am 24.01.2019, am Tag des bedrohten Anwalts, mit einem Hungerstreik. Sie sehen: Gerechtigkeit kann man nicht in den Verhandlungssälen einsperren. Man kann sie nicht ein paar Richtern überlassen, die die Robe anziehen. Der Kampf für Gerechtigkeit muss in jeder Lebenslage fortgesetzt werden. Und ehrenvolle Juristen führen ihren Kampf für die Gerechtigkeit eben überall fort, wo sie sind, nicht nur in den Verhandlungssälen.
Zurück zu den Hungerstreiks in der Türkei:
Die Hungerstreiks als eine Aktion des politischen Widerstands und der Einforderung von Rechten, haben in der Türkei keine lange Geschichte. Das erste Mal begegnen wir ihnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Einer davon ist der Widerstandskampf des revolutionären Dichters Nazim Hikmet. 1938 wird Nazim mit Vorwürfen wie „Aufwiegelung der Armee zum Aufstand und separatistischen Aktivitäten“ zu 28 Jahren und 4 Monaten Haft verurteilt. Auch während seiner Haft änderte Nazim seine Einstellung nicht und verfolgte die Schicksale der Völker seines Landes und die der Welt aus der Nähe. Dies wirkte sich auch auf seine Werke aus. Indiens Unabhängigkeitskampf ist eines der Kämpfe, die er genau beobachtete. Die Hungerstreik-Kämpfe, die die indischen Revolutionäre gegen die Ungerechtigkeiten führen, sind immer auf seiner Agenda.
Nach der Niederlage des Faschismus auf der ganzen Welt finden auch in der Türkei verschiedene Entwicklungen statt. Auch wenn sie nicht von langer Dauer sind und ihre Aktivitäten immer wieder verboten werden, werden in dieser Zeit verschiedene sozialistische Organisationen und Parteien gegründet.
In dieser Zeit, in der relativ positive Entwicklungen zu verzeichnen sind, wird draußen eine Kampagne für Nazim Hikmet gestartet, die im In- und Ausland starke Reaktionen hervorruft. Im Rahmen dieser Kampagne sagt Nazim Hikmet: „Ich werde den Hungerstreik als letztes Mittel einsetzen, um meine Rechte einzufordern“ und beginnt mit dem Widerstandskampf. Der Streik hat Erfolg und Nazim wurde 1950 entlassen.
Einer der ersten Hungerstreiks in türkischen Gefängnissen wurde von den im Jahr 1972 hingerichteten Deniz Gezmis und seinen Freunden durchgeführt. Vor ihrer Hinrichtung haben Deniz Gezmis und seine Freunde eine 5-Punkte-Erklärung veröffentlicht, womit sie den Beginn ihres Hungerstreiks bekannt gaben. Die Gefangenen wurden in dieser Zeit aus den Gefängnissen geholt und in geheime Folterzentren gebracht und gefoltert. Dieser Umstand wurde vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Während die aufeinanderfolgenden mehrmaligen Preiserhöhungen der Bevölkerung das Leben schwermachten, nahmen auch Repression und Unterdrückung zu. Deniz und seine Freunde wollten gegen diese Situation im Land protestieren und darauf aufmerksam machen und begannen mit dem Todesfasten. Als das Todesurteil, das über sie gefällt wurde, rechtskräftig wurde, und jederzeit mit der Umsetzung des Urteils gerechnet werden musste und es möglicherweise zu Missverständnissen führen konnte, beendten sie ihren Widerstandskampf am 12. Tag. Und kurze Zeit danach wurden Deniz Gezmis, Yusuf Aslan und Hüseyin Inan hingerichtet.
Auch wenn in späteren Zeiten in den Gefängnissen Hungerstreiks gemacht wurden, kamen sie eigentlich zusammen mit der amerikanistisch-faschistischen 12.-September-Junta, als hunderttausende Menschen in Gefängnisse gesteckt werden und unmenschliche Folter beginnen, wieder auf die Tagesordnung kommen.
Fragen Sie nicht, was für ein Zusammenhang da besteht. Wir sehen das auch heute in Venezuela beispielsweise. Als die Militärjunta die Macht übernahm, hat die Weltöffentlichkeit es vom Pentagon erfahren. Das Pentagon verkündete, dass „unsere Jungs“ es geschafft haben…
Die amerikanistische Junta will das 40 Millionen Volk zur Kapitulation zwingen. Und sie weiß sehr gut, dass der Weg dahin über die Kapitulation der in den Gefängnissen Inhaftierten läuft. Rücksichtslos griffen sie deswegen die Gefangenen und die Revolutionäre an.
Insbesondere die Gefängnisse in Diyarbakir, Mamak und Istanbul wurden in Folterzentren umgewandelt und jede unmenschliche Methode wurde angewendet. Viele Gefangene verloren aufgrund der erlebten Folter ihr Leben oder hatten Behinderungen. Die Gräueltaten erreichten so einen Punkt, dass sehr viele Gefangene anfingen, ihrem Leben durch Selbstmord ein Ende zu setzen. Ich werde später die Namen und die Gefängnisse der Ermordeten und Gestorbenen auflisten.
Die Gefangenen, die angesichts der Kapitulations-Angriffe ihre Körper in Waffen umwandeln
Nach 1980 fand einer der ersten Hungerstreik-Aktionen gegen die Kapitulationsangriffe der Junta 1981 im Gefängnis von Diyarbakir statt. Der Gefangene Ali Erek verliert sein Leben in seinem Hungerstreik-Kampf, den er gegen die unmenschlichen Repressionen und Folter im Militär-Gefängnis in Diyarbakir begann. Ali Erek folgen die Widerstandskämpfe der im Jahr 1982 gefallenen Kemal Pir, M. Hayri Durmus, Akif Yilmaz und Ali Cicek und die der 1984 im Hungerstreik im Gefängnis von Diyarbakir gefallenen Cemal Arat und Orhan Keskin. Die Angriffe der Junta gegen die Gefängnisse gehen, ohne an Heftigkeit zu verlieren, weiter. In den Gefängnissen von Mamak und Diyarbakir zwang sie sehr viele Gefangene zum Geständnis und zur Kapitulation und hatte in diesem Bereich große Erfolge. Nun versuchte sie diesen „Erfolg“ auf das ganze Land auszuweiten. Die Pläne der Junta wurden jedoch durch den Widerstand der Gefangenen zerstört.
Gegen den Zwang zur Kapitulation, gegen die Einheits-Kleidung, Repression und Folter steht im Jahr 1984 der Widerstandskampf der Gefangenen in den Gefängnissen von Istanbul auf der Tagesordnung. Auch wenn bis zu diesem Tag den Angriffen oft mit Hungerstreik-Kämpfen Widerstand geleistet wurde, war der Punkt „entweder Tod oder Kapitulation“ erreicht. Aus diesem Grund werden die Hungerstreik-Kämpfe, die in Gefängnissen an vielen Orten im Land geführt werden, von nun an in Todesfasten umgewandelt. Abdullah Meral, Haydar Basbag, Mehmet Fatih Oktülmüs und Hasan Telci sind beim Todesfasten, das sie in dem Metris-Militär-Gefängnis begonnen hatten, um gegen die Einführung der Einheits-Kleidung in den Gefängnissen, die unmenschlichen Repressionen und Folter zu protestieren, im Juni 1984 gefallen. Als Folge dieser Widerstandskämpfe wird eine der wichtigsten Forderungen der Gefangenen, die Einheits-Kleidung, wieder aufgehoben und es werden wichtige Rechte errungen.
Während sich der Kampf der Völker in der Türkei weiterentwickelt, nehmen auch die Repressionen in den Gefängnissen zu. Insbesondere bis in die Mitte der 90er-Jahre werden in den Gefängnissen zahllose Hungerstreik-Kämpfe geführt. Die Hungerstreik-Kämpfe in der Türkei sind nicht nur auf die Gefängnisse begrenzt. Sie sind ein Teil des Kampfes um Rechte und Freiheiten geworden, zu einer der am weitesten verbreiteten Aktionsformen der Arbeiter*innen, der Beamt*innen, der Schüler*innen, kurz aller arbeitenden Völker geworden; zum Protest derjenigen geworden, die Grausamkeit und Ungerechtigkeit erlebt haben, und zu deren Suche nach Gerechtigkeit.
Der Hungerstreik ist bei den Revolutionären aus der Türkei zum Beispiel zu einer Tradition geworden, wenn sie gegen unbegründete Inhaftierungen protestieren wollen. Viele Teile der Gesellschaft, insbesondere die Familienangehörigen der Gefangenen, war oft gezwungen, diese Widerstandsform zu wählen. Um die im Jahr 2000 in den Gefängnissen der Türkei begonnenen Todesfasten-Aktionen von draußen zu unterstützen – ich habe das bereits zu den Fotos kurz gesagt –, haben die Angehörigen der Gefangenen, die Familien die in TAYAD organisiert sind, Hungerstreik gemacht und mit Todesfasten begonnen. Bei diesen Todesfasten-Aktionen sind sehr viele Angehörige der Gefangenen, wie Gülsüm Dönmez, Senay Hanoglu, die Geschwister Zehra und Canan Kulaksiz, draußen gefallen. Und wiederum – bei diesen Widerstandskämpfen – begann der Rechtsanwalt Bedir Akce (phon.) mit dem Hungerstreik, weil er keine Möglichkeit mehr habe, seine Mandanten zu verteidigen. Die bereits 7 Jahre andauernden Hungerstreiks in den Gefängnissen kamen mit bestimmten Kompromissen zu einem Ende. Hüsnü Yildiz war gezwungen, ein Jahr lang auf einem Platz einen Hungerstreik zu machen, um den Leichnam seines Bruders Ali Yildiz ausgehändigt zu bekommen, der bei dem Volksbefreiungskampf ermordet und an einem unbekannten Ort begraben wurde. Ein anderer Guerilla-Vater, der 80-jährige Kemal Gün, war gezwungen, 90 Tage lang einen Hungerstreik mitten in Dersim zu führen, um den Leichnam seines Kindes zu bekommen und ein Grab für es zu haben.
In der jüngeren Vergangenheit leisteten Nuriye Gülmen und Semih Özakca, die im Zuge des Ausnahmezustandes durch Dekrete ihre Arbeit verloren hatten, mit den Worten „Ich kämpfe um meine Arbeit und mein Brot“ in der Yüksel Straße in Ankara, in 300 Meter Entfernung zum Parlamentsgebäude monatelang Widerstand und wurden verhaftet. Die beiden Angestellten, die über ein Jahr lang im Hungerstreik gekämpft haben, konnten ihre Freiheit wiedererlangen, weil das Volk hinter ihnen stand. Der Widerstand der revolutionären Akademikerin Nuriye Gülmen dauert seit 800 Tagen an.
Der Hungerstreik ist auch bei den Solidaritäts-Aktionen mit den Völkern der Welt die am häufigsten angewendete Methode. In diesen Zeiten wurde der Hungerstreik von Revolutionär*innen und Fortschrittlichen oft als Waffe benutzt, um gegen die Grausamkeiten von Israel zu protestieren, um sich mit dem palästinensischen Volk zu solidarisieren, um Widerspruch zu erheben gegen den imperialistischen Krieg und die Besetzung Iraks, um Stellung zu beziehen gegen die Angriffe und den Putsch der Konterrevolutionäre in verschiedenen Ländern.
Der Hungerstreik und die Vereinbarung von Malta
Im November 1991 kam es zu der Vereinbarung von Malta. Sie definierte den Hungerstreik als eine Form des Widerstands. Sie formulierte die Anspräche gegenüber Ärzten, diese Form von Widerstand zu akzeptieren. Laut der Vereinbarung stellt die Person allein mit ihrem Willen ihre Forderung auf und niemand darf sie zwangsernähren oder sie zu etwas zwingen. Weiter sagt die Vereinbarung, dass in den ersten Tagen noch keine ernsten Probleme auftreten. Aber nach 40 Tagen beginnen die gesundheitlichen Probleme. Menschen aus dem Todesfasten haben folgende gesundheitlichen Probleme zu erwarten: Organversagen, wenn keine Vitamine zugeführt werden, tritt das Wernicke-Korsakoff-Syndrom auf: Taubheit der Nerven, Krämpfe, fehlendes Erinnerungsvermögen […]. Die Vereinbarung von Malta verbietet es Ärzten, ohne oder gegen den Willen von Personen einzugreifen. Weil alle diese Symptome bei mir aufgetreten sind, wurde ich in der Türkei aus dem Gefängnis verlassen. Sie aber ignorieren die Vereinbarung von Malte und versuchen, mich zu verurteilen. Das ist aber eine andere Geschichte.
Unterbrechung 13.46 Uhr; FS: 13.57 Uhr
„Entweder ihr kapituliert oder ihr sterbt!“
Der Imperialismus hat Anfang der 2000er Jahre seine „entweder Meinungswechsel oder Tod“-Angriffe bei dem Massaker in dem Ulucanlar-Gefängnis in Ankara mit seinen Worten „Entweder ihr kapituliert oder ihr sterbt“ offen verkündet. Bei diesem Angriff hatten sie 10 Gefangene ermordet, aber kein Revolutionär hatte kapituliert. Als der Imperialismus die revolutionären Bewegungen, die er als Hindernis bei der Umsetzung seiner ökonomischen, militärischen, politischen Ziele in unserem Land ansah, liquidiert hatte, diese kapituliert hatten, rechnete er damit, dass gar keine Widerstand-leistenden Kräfte mehr übriggeblieben waren. Mit diesem Ziel wurden die Typ-F-Isolationsgefängnisse auf die Tagesordnung gebracht.
Im Oktober des Jahres 2000 sagten tausende Gefangene „Entweder leben wir in Würde, mit unseren Überzeugungen oder wir sterben“ und starteten gegen die Isolationsgefängnisse die Todesfasten-Aktion. Als die Kalender den 19 Dezember 2000 anzeigten, wurden mit einer gigantischen Armee aus
8 Gendarmerie Kommando Bataillons, bestehend aus 37 Kompanien,
8.335 Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten,
tausenden Bereitschaftspolizisten, Sondereinsatzkommandos, Polizei und Gefängnisaufsehern,
bei dem 4 Tage dauernden Massaker-Angriffen
über 20.000 Gasbomben eingesetzt.
Die Zahl der verschossenen Munitionen, der chemischen Waffen mit der Aufschrift „darf nicht dort angewendet werden, wo sich Menschen befinden“, der unterschiedlichsten Feuerwaffen war unbekannt. In den Gefängnissen der Türkei wurde einer der größten Massaker der Geschichte verübt. Dieser Operation, bei der 28 Gefangene ermordet, hunderte verletzt wurden, gab man den Namen „Operation Rückkehr ins Leben“ gegeben. Sie haben ja vorhin gesehen, wie die Gefangenen ins Leben zurückgebracht werden sollten.
Genau wie in den Konzentrationslagern der Nazis wurden die Türen der Gefängniszelle von 6 weiblichen Gefangenen in Bayranpasa verschlossen, die Insassinnen mit unbekannten chemischen Gasen besprüht und bei lebendigem Leibe verbrannt.
Die Typ-F-Gefängnisse, die im Zuge der Massaker eingeführt wurden, und auch die jeden Moment zunehmenden Folter konnten den Widerstand der Gefangenen brechen, der Todesfasten-Widerstand wurde entschlossen weitergeführt.
Auf der Welt gab es zwei große Weltverteilungskriege, der längste dauerte 5 Jahre. Der Widerstandskampf in den Gefängnissen der Türkei dauerte mit 122 Gefallenen genau 7 Jahre lang.
Nun möchte ich an dieser Stelle den Auszug aus dem Brief, den Sie hier mit der Begründung vorgelesen haben, dass dieser „einen Beweiswert haben könnte“ noch einmal vortragen:
„Niemand macht einfach so einen Hungerstreik, beginnt ein Todesfasten. Niemand gefährdet sein Leben, macht einen Hungerstreik oder beginnt ein Todesfasten solange die Begründung nicht mindestens genauso wichtig ist wie der Preis, den er bezahlt. Die Sache, wofür Sie bereit sind, Ihr Leben zu geben, muss mindestens genauso wertvoll sein wie Ihr Leben!
Ja, genau aus diesem Grund sind wir gestorben, aber niemals haben wir uns von der Werten abgewandt, die wir verteidigen. Wir haben das Revolutionär-Sein neu definiert; Revolutionär-Sein ist keine Freizeitbeschäftigung, es ist der Kampf um den Aufbau einer freien, gleichberechtigten neuen Welt, in der jeder satt wird an Brot und Gerechtigkeit.
Mit diesem Widerstand haben wir gezeigt, dass wir die Lebens- und Denkart, welche der Imperialismus uns aufzwingt, nicht akzeptieren und unter keinen Umständen kapitulieren werden. Wir haben die „Demokratie-Maske“ von den Gesichtern der USA und der EU heruntergerissen und all ihre Pläne durcheinandergebracht. Mit diesem Widerstand haben wir die jahrelange Demagogie des Imperialismus „der Sozialismus ist tot, keine Idee ist es wert, dafür zu sterben…“ zerstört.
Mit diesem Widerstand haben wir allen unterdrückten Völkern gezeigt, dass man unter allen Umständen Widerstand leisten kann, dass es keinen anderen Weg gibt, außer Widerstand zu leisten. Aus diesem Grund war unser Widerstand nicht auf die Zeit begrenzt, in der er geleistet wurde; er wird allen Völkern der Welt, der Welt-Linken weiterhin Inspiration sein, den Weg weisen. Denn dieser Widerstand ist der Name der Bewahrung der sozialistischen Kultur, Werte und Traditionen, die unter allen Umständen geleistet werden soll, er ist der Name des Kampfes, des Widerstandleistens, der Nicht-Aufgabe der Revolutions-Hoffnung und des Revolutionsanspruchs. Das Gegenteil würde Verderben und Zugrundegehen bedeuten.
Wenn es heute Widerstandskämpfer in Anatolien gibt, die gegen die ganze Repression und Angriffe des Imperialismus und der mit ihm kollaborierenden faschistischen AKP-Regierung kämpfen, dann ziehen sie ihre Kraft aus diesen Widerstandskämpfen.“
Dies war das Zitat aus meinem Brief. Sie haben gesagt, es habe Beweiswert. Ich weiß nicht, wofür, aber ich wollte es hier wiederholen.
Ja, heute werden wieder Hungerstreiks in Gefängnissen der Türkei durchgeführt. Revolutionäre Anwält*innen, Abgeordnete, Bürgermeister*innen… also die Gefangenen legen ihren Körper in den Hungerstreik. Denn unter Gefängnisbedingungen hat ein Gefangener keine andere Waffe als seinen Körper, den er benutzen kann. Niemand soll Demagogie betreiben und sagen „nichts ist es wert, zu sterben, lasst es sein. Das Leben ist heilig, beendet nicht euer eigenes Leben…“ usw.
Wenn ein Mensch bereit ist, sein Leben zu opfern, dann ist hier das Ende der Worte. Ich habe oben versucht, das zu beschreiben, die Geschichte ist voll von diesen Beispielen. Wie ich während der Verhandlung oft ausgeführt habe, sage ich als jemand, der an diesen Widerstandskämpfen teilgenommen, einen Preis gezahlt, zum Invaliden gemacht wurde: niemand soll mir erzählen, was richtig und was falsch ist. Ich bin aus Gemetzeln, aus Toden gekommen. Ich stehe als ein Revolutionär vor Ihnen, der als „tot“ bezeichnet und in eine Ecke geworfen, in Leichenhäusern gesucht wurde und der zufällig überlebt hat.
Erzählen Sie mir nicht, was Schuld/Verbrechen ist und was nicht. Alle möglichen Schulden/Verbrechen, die größten Ungerechtigkeiten wurden gegen mich und meine Freunde begangen. Eines Tages sollte hier nicht ich verurteilt werden, sondern diejenigen, die diese Verbrechen begangen haben. Haben Sie jemals gedacht, dass Sie nun „am Ende Ihres Lebens“ stehen und sich von Ihren Freunden verabschiedet? Ist es vorgekommen, dass sie jedes Mal, wenn sie ohnmächtig wurden, gedacht haben „so ist es also, wenn man stirbt“ und als Sie wieder zu sich kamen sagten, „ich bin doch nicht tot“, und mit einem schmerzvollen Lächeln in Ihrem Gesicht, panisch versucht haben zu erfahren, wie viele Ihrer Freunde tot, wie viele am Leben sind? Haben Sie jemals den mit chemischen Gasen vermischten Geruch von verbranntem Menschenfleisch in ihre Lungen eingeatmet? Haben Sie die nur anhand der DNA identifizierbaren, in eine Handvoll Asche verwandelten Leichen umarmt? Haben Sie den auf 25 kg abgemagerten Körper eines Erwachsenen auf Ihren Schultern getragen? Waren Sie müde vom Sarg-Tragen, von hintereinander organisierten Trauerfeiern?
Natürlich ist es für einen Friedhofswärter gleich, ob er einen Toten oder einen Lebendigen sieht. Aber wir sind bei jedem Tod erneut gestorben. Ich habe den Schmerz und die Wut wieder und wieder in meinem Körper gespürt.
Stellen Sie sich vor, aus den Gefängnissen eines Landes kommen hintereinander genau 122 Särge heraus. Wenn Sie sich denken, dass jeder dieser Särge ca. Meter lang ist und dazwischen 10 Menschen stehen, wäre das eine Stecke von einem Kilometer. Dieser Weg ist nicht mit Asphalt bedeckt, sondern mit menschlichen Körpern. Auf der anderen Seite ist es jedoch der Weg, der in die Zukunft, in die Freiheit, in eine gerechte Welt führt…
Einzelzell-Gefängnisse oder Isolation…
Was Einzelzelle, Isolation, Folter, Rechtsbrüche… sind, habe ich Ihnen hier lange erläutert, Sie wissen es auch genau, ich brauche es Ihnen eigentlich nicht zu sagen. Die Typ-F-Isolationsgefängnisse in der Türkei wurden zu Namen von Tod und von Gräueln. Das Justizministerium und andere staatliche Institutionen begannen Anfang 1999 eine neue Diskussion und brachten die Typ-F-Gefängnisse auf die Tagesordnung. Im Frühling und Sommer des Jahres 2000 erklärten die Gefangenen und ihre Familien, die sie nie alleine ließen, Menschenrechtsverteidiger*innen, empathische demokratisch-fortschrittliche Menschen, dass die Typ-F-Einzelzellen-Gefängnisse auf Isolation beruhen, dass Repression und Folter dauerhaft bestehen bleiben werden und protestierten dagegen. Sie waren der Meinung, dass nach einer gemeinsam geführten Diskussion und Vorschlägen, indem auch nach der Meinung und den Gedanken der Gefangenen gefragt wird, gemeinsam eine Entscheidung gefällt werden muss. Mit diesem Ziel, dass eine gemeinsame Entscheidung herbeigeführt werden muss, hatten sie Arbeitsgruppen organisiert, an denen die Türkische Ärztekammer, die Architekten- und Ingenieuren-Kammer, Anwaltskammern, TAYAD-Familien und noch viele andere Organisationen teilgenommen und nach Lösungen gesucht haben. Als mit den in diesem Rahmen gestarteten Kampagnen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit geweckt werden konnte, und nachdem die Gefangenen mit Ihrem Widerstand begonnen hatten, machte der Staat Erklärungen wie „das Projekt könnte verschoben werden“.
Die Gefangenen, ausgehend von ihren Erfahrungen, brachten jedoch bei jeder Gelegenheit zur Sprache, dass der Staat nicht ehrlich ist, dass er abzulenken versucht, dass er eine Garantie/Zusicherung in diesem Thema geben muss. Nach genau 10 Tagen nach der Erklärung des Staates, dass „das Typ-F-Gefängnis-Projekt verschoben“ sei, er das größte Gefängnis-Massaker in der Geschichte realisierte, zeigte wie Recht die Gefangenen mit ihrer Besorgnis hatten. Wie sich später herausstellen sollte, bereitete sich der Staat seit über 2 Jahren auf diese Operation vor und bildete die Einheiten aus, die bei dieser Operation teilnehmen sollten! Das heißt, dass die Massaker-Pläne sehr viel früher, in den Kontraguerilla-Quartieren vorbereitet worden waren.
Der Justizminister Hikmet Sami Türk bestätigte dies als er nach der Operation eine Erklärung machte und sagte: „Wir hatten mit viel mehr Verlusten gerechnet, zum Glück kam es nicht wie erwartet“. Was hatten sie wohl erwartet, die Ermordung von hunderten, tausenden Gefangenen? Wenn bei dieser Massaker-Operation nicht viel mehr Menschen ermordet wurden, dann ist dies Dank der Bemühungen und Opferbereitschaft der Gefangenen und nicht der des Staates. Denn in vielen Gefängnissen gab es Gefangene, die, um die Massaker zu stoppen, „Ihr könnt uns nicht mit dem Tod bedrohen; wenn das, was ihr wollt, der Tod ist, dann sind wir bereit zu sterben. Aber hört auf, die Menschen zu massakrieren, zu morden, die Völker zu bedrohen!“ riefen und sich opferten.
Die meisten Typ-F-Gefängnisse, die mit diesem Massaker eröffnet wurden, waren noch nicht einmal zu Ende gebaut. Hunderte verletzte Gefangene wurden völlig nackt in diese Gefängnisse eingesperrt und gefoltert. Monatelang konnten sie nicht mit ihren Familien und Freunden kommunizieren. Man wusste nicht genau, wer gestorben war, wer verletzt oder noch am Leben war. Der Staat fing an, die Lüge zu verbreiten „die Todesfasten, die Hungerstreiks sind beendet“. Ab dem Zeitpunkt, ab dem die Särge aus den Isolationsgefängnissen herausgebracht wurden, kam die Tatsache, dass der Kampf gegen die Isolation nicht beendet war, weitergeführt wurde, auf die Agenda der Öffentlichkeit.
Im Typ-F-Gefängnis in Edirne, wohin ich nach dem 19. Dezember-Massaker verletzt gebracht wurde, führte ich die Todesfasten-Aktion fort. Denn weder die Angriffe noch die Gräueltaten hatten aufgehört, im Gegenteil: Die Repression hatte zugenommen und weitgehende Isolation hatte begonnen. Bis zu diesem Tag hatten wir versucht darzustellen, was für eine Gefahr uns in Isolationsgefängnissen erwartete, aber nun erlebten wir diese Gefahr, diese Folterzelle, in der man uns lebend beerdigen wollte.
Was war die Wirklichkeit der Typ-F-Zellen?
Erstens: Das Fortbestehen der psychischen und physischen Folter, einer der wichtigen Säulen der Politik des Zwanges zur Kapitulation. Die Grundlage war die Politik der Vernichtung durch die Ignorierung aller menschlichen Tugenden, Überzeugungen der Gefangenen. Zweitens: Mit dem, was man den Gefangenen angetan hatte, versuchte man die ganze Gesellschaft einzuschüchtern: „Schaut, wenn ihr Widerstand leistet, dann passiert das“, wollte man damit sagen. Und drittens: Sogar wenn sie ihre grundlegendsten Rechte in Anspruch nehmen wollten, waren die Gefangenen Sanktionen ausgesetzt. Alles war auf Willkür aufgebaut. Sogar die physikalische Struktur der Gefängniszellen war nach diesen Gesichtspunkten organisiert. Beispielsweise war an der Türe unten eine Öffnung für das Essen und sonstige Bedürfnisse des Gefangenen angebracht, und er war gezwungen, diese von dort entgegenzunehmen. D.h. sie zwangen dich, dich vor dem Gefängniswärter niederzuknien, um aus dieser Öffnung das Benötigte entgegenzunehmen. In den Gefängniszellen ließ man laute reaktionäre, grauenhafte Radiosendungen laufen, die zentral bestimmt wurden. Man hatte nicht einmal die Möglichkeit, das zu ändern oder abzustellen. Die Lichter in den Zellen wurden zentral an- und ausgeschaltet. Obwohl es kalt war, waren die Heizkörper nicht an und es gab kein Wasser. Die Lüftung in den Zellen wurde nach Lust und Laune der Wärter angeschaltet, die Gefangenen wurden daran gehindert, von frischer Luft zu profitieren. Fast alle Gefangenen in den (Einzel-) Zellen waren verletzt. Manche hatten noch Kugel, Schrapnell-/Granatteile im Körper, manche hatten gebrochene Arme oder Beine. Keiner wurde behandelt, die Gefangenen wurden dem Tod überlassen…
Unter diesen Umständen gab es keinen Weg, außer Widerstand zu leisten. Und ich führte meinen Widerstand, den ich vor der Operation begonnen hatte, fort. Zu dieser Zeit hatten fast alle Gefangenen bereits mit den Hungerstreiks und Todesfasten begonnen. Einige Zeit später begannen die ersten Todesfälle. Nach dem 230. Tag der Todesfasten-Aktion, – ich kann mich nicht an das genaue Datum erinnern – als ich mein Bewusstsein verloren hatte, hat man mich ins Krankenhaus gebracht und zwangsbehandelt. Gegen meinen Willen hatten sie mir eine Infusion gegeben. Als ich nach dieser Behandlung – wie viel Zeit vergangen war, weiß ich nicht – wieder zu Bewusstsein kam, kam heraus, dass ich mich an fast nichts mehr in meiner Vergangenheit erinnern konnte. Einige Zeit später brachte man mich zurück ins Gefängnis und überließen mich dem Tod. Jeder einzelne Sarg jedoch, der die Gefängnisse verließ, brachte den faschistischen Staat ins Bedrängnis und vergrößerte die Wut der Bevölkerung. Aus diesem Grund begannen sie, um die unter ihrer Kontrolle stehenden Todesfälle zu verhindern und gleichzeitig den Widerstand zu brechen, die Gefangenen, die sie zu Invaliden gemacht hatten, zu entlassen. Unter diesen Umständen haben sie auch mich entlassen. Das war keine Forderung von mir. Aber der Widerstand hatte sie dazu gezwungen.
Offen gesagt, wollten sie, dass wir in ihren Händen, sondern draußen starben. Denn sie rechneten nicht mehr damit, dass sehr viele meiner Freunde, ich auch, ins Leben zurückkehren würden.
Schließlich wurden ich und viele meiner Freunde, die zu Invaliden gemacht wurden, entlassen. In den Typ-F-Gefängnissen jedoch hörten Isolation, Repression und Folter und natürlich auch Widerstand nicht auf. Der Widerstand und das Sterben dauerten bis Januar 2007 an. In dieser Zeit wurden die Staatssicherheitsgerichte geschlossen, dies war eine der Forderungen des Widerstands. Die Bedingungen dafür, dass eine bestimmte Anzahl von Gefangenen in bestimmten Zeiten zusammenkommen konnte, wurde geschaffen. Und so wurde der Widerstand unterbrochen. Aber bis zu diesem Tag hatten 122 Menschen schon ihr Leben verloren. Ungefähr 600 Gefangene wurden durch die Zwangsbehandlungsfolter zu Invaliden gemacht.
Während die Todesfasten-Kämpfe in den Gefängnissen der Türkei andauerten bin ich nach Europa gekommen. Aber mit Allem war ich dort, bei denen, die Widerstand leisteten. Aus diesem Grund habe ich bei jeder Gelegenheit von den Gräueltaten und den Widerstandskämpfer*innen erzählt. Nun fragen Sie: „Warum hast du das alles erzählt? Warum hast du an den Aktivitäten teilgenommen, die mit den Gefängnissen zu tun hatten?“ Das macht nichts, machen Sie und fragen Sie das weiter! Cengiz Soydas, der erste Gefallene bei der Todesfasten-Aktion, und ich wurden zusammen, mit der gleichen Akte (dosya) und den gleichen Beschuldigungen vor Gericht gestellt. Sie haben sein Foto heute morgen gesehen, einer der Menschen war er. Wir waren jahrelang in demselben Gefängnis inhaftiert. 122 Menschen, welche soll ich aufzählen? Hülya, Melek, Gülnihal, Fatma, Sergül, Sevgi, Murat, Hamide, Ali, Gülseren…122… Ja, mit sehr vielen mehr haben wir unser Brot, unsere Träume, unser Schicksal geteilt. Aber einige von ihnen wurden verbrannt, einige erschossen und einige sind Tag für Tag dahingesiecht und haben ihr Leben verloren.
Lassen Sie mich Ihnen von einem Vorfall unter den Todesfasten-Kämpfern nach dem Beginn der Operation im Ümraniye-Gefängnis erzählen: Die Widerstandskämpfer*innen hatten vorher Anträge an das Justizministerium geschrieben: „Wenn Ihr eine Operation gegen die Widerstandskämpfer*innen oder Gefängnisse macht, werden wir uns verbrennen.“ Als die Operation begann, beginnt eine „Diskussion“ unter den Widerstandskämpfer*innen, wer sein Leben opfert, um diese Entscheidung umzusetzen. Die Diskussion geht darüber, „wer sich opfern wird“. Denn alle Widerstandskämpfer*innen sind gewillt und bestehen darauf, sich zu opfern. Deswegen sagt Ahmet Ibili, der Verantwortliche der Widerstandskämpfer*innen: „In Ordnung, dann werden wir Lose ziehen“ und findet die Lösung. Sie haben auch von ihm heute Morgen ein Foto gesehen. Auf kleine Papierzettel schreibt er die Namen der Widerstandskämpfer*innen, auf den Zettel mit seinem Namen macht er ein kleines Zeichen. Danach vermischt er die Zettel und zieht einen – den er vorher markiert hatte – heraus. Und lachend liest er seinen eigenen Namen, der auf dem Zettel steht. Der Glückliche, der sein Leben opfern wird, ist er selbst! Danach bereitet er sich vor und verabschiedet sich von seinen Genossen. Er ruft den Befehlshabern der Operation zu: „Stoppt die Operation, erlaubt nicht, dass noch mehr Menschen sterben. Ihr könnt uns mit der Androhung vom Tod Angst machen, wollt Ihr Tod, hier habt Ihr den Tod“ und zündet sich selbst an.
Können Sie sich das vorstellen? Ein Gefangener opfert sein Leben, um seine Genossen zu schützen, und zwar indem er „schummelt“, aber ohne mit der Wimper zu zucken. Erinnern Sie sich an das Beispiel mit der U-Bahn in Frankfurt, das ich Ihnen erzählt habe in einem der vergangenen Termine. Ich hatte Sie gefragt, warum unter den ganzen Wartenden nur ein 17-jähriger aus der Türkei eingriff. Eben dieser Glaube an die Sache, diese Kultur ist es, die uns zu den Menschen macht, an erster Stelle zu stehen und uns zu opfern. Denn in unserer Kultur herrscht der Grundsatz, dass nicht mein Leben zuvorderst, sondern das Leben der Liebsten zuvorderst kommt. Das ist der Grund, warum er sein Leben opferte. Die Antwort auf diese Aktion seitens derjenigen, die diese Operation durchführen ist, den brennenden Körper Ahmet Iblis´ mit automatischen Waffen unter Beschuss zu nehmen. Können Sie sich das vorstellen? Und das zeigt die Moral und die Haltung zweier verschiedener Klassen, die sich gegenüberstehen.
Unsere Familien haben ihr Leben für uns geopfert in diesem Kampf!
Während wir in den Gefängnissen mit den Hungerstreiks begonnen hatten, machten unsere Familien, Freunde draußen Hungerstreiks, damit wir nicht starben und unsere Probleme gelöst wurden. Später haben auch sie mit Todesfasten angefangen. Gülsüman Dönmez und Senay Hanoglu waren Mütter. Sie hatten Kinder. Zehra und Canan waren die zwei Töchter einer Familie, sie studierten an der Universität, sie waren erst 18 Jahre alt. Ihr Onkel und ihre Freunde waren inhaftiert. Obwohl sie selbst draußen waren, gaben diese Menschen für uns Gefangene ihr Leben. Ja, diese Menschen gaben ihr Leben für mich… Wenn ich, nachdem ich entlassen wurde und nach Europa kam, so weitergelebt hätte, als ob nichts passiert wäre, – doch ein normaler Mensch kann sowas eh nicht machen – wie hätte ich in die Augen der Kinder von Gülsüman und Senay, in die Augen des Vaters der Canan- und Zehra-Schwestern schauen sollen? Könnten Sie in die Augen dieser Menschen schauen, wenn Sie an meiner Stelle wären? Sollte ich sagen: „Kinder, wenn Eure Mütter nicht gestorben wären, dann wären wir gestorben; es tut mir leid Onkel Ahmet, wenn Deine Töchter nicht gestorben wären, dann wären wir heute nicht am Leben. Aber das alles ist Vergangenheit, lasst uns das nun vergessen…“ Hätte ich das so denken, ihnen so ins Gesicht sagen sollen? Was sagen Sie jetzt dazu? Ich soll in Wuppertal an einer Veranstaltung teilgenommen haben, bei der es um den 19.12.2000 ging? Schauen Sie sich diese Akten sehr gut an! Was soll daran strafbar sein?
Lassen wir die Anderen, wie hätte ich das alles mir selbst gegenüber erklärt? Hätte ich annehmen sollen, dass das alles nicht geschehen ist? Sie können das nicht verstehen, aber jedes Mal, wenn ich aufstehe, einen Schritt mache, in den Spiegel schaue, bei jedem Bissen, den ich runter schlucke, setze ich mich mit alldem auseinander. Als ich entlassen wurde, lief ich mit Krücken und konnte mich an nichts, was mit meiner Vergangenheit zu hatte, erinnern. Hätte ich nicht nach dem Grund für all das fragen sollen? Lassen Sie mich eine Information mit Ihnen teilen, die mit einem Freund von mir zu tun hat, der vor einigen Jahren während des Widerstands – wie ich – der Folter der Zwangsernährung ausgesetzt und zum Invaliden geworden war: Er hieß auch Erdal, Erdal Dogan, wir waren jahrelang in demselben Gefängnis inhaftiert. Auch unsere Familien kannten sich. Ich habe erfahren, dass, nachdem er zum Invaliden gemacht und entlassen worden war, zu seiner Familie gegangen ist und nie wieder Kontakt mit jemandem hatte, mit niemandem mehr gesprochen hat. Mit meinen Krücken konnte ich nur schlecht gehen. Einmal konnte ich ihn aber besuchen und er hatte sich sehr gefreut. Trotz aller meiner Bemühungen konnte ich ihn nicht aus dem Haus locken. Seine Familie wollte auch nicht, dass er jetzt weggeht. Vor einigen Jahren habe ich erfahren, dass dieser Freund Suizid begangen und sein Leben verloren hat. Der Grund für seinen Suizid war klar. Zumindest kenne ich die Gründe und kann sie verstehen.
So hätte es natürlich nicht kommen dürfen. Aber der Grund auch für seinen Tod waren diejenigen, die uns all das erleben haben lassen. Suizid ist nur der sichtbare Grund.
Nun will ich Ihnen ein anderes Beispiel erzählen: Es gab doch Hatice Sergül Albayrak heute Morgen, sie versuchte, Ihnen ihre Finger entgegenzustrecken… Sie war eine von meinen 122 Freunden. Sie war eine sehr junge, lebenslustige Frau. In ihr vereinigte sich die ganze Schönheit des Menschen und der Natur. Sie war in Deutschland geboren und aufgewachsen. So wie viele Jugendliche in Deutschland war sie im Drogen- und Degenerations-Sumpf gesteckt. Als sie noch ein kleines Mädchen war, hatten sich ihre Eltern getrennt, und sie wuchs buchstäblich auf der Straße auf. Sie rannte von einem Abenteuer ins nächste. Sie hatte sogar zu dieser Zeit alle europäischen Länder per Auto-Stopp bereist. Sie war eine angstfreie, verrückte, junge Frau. Sie blieb nicht stecken in dem Sumpf. Sie lernte Revolutionäre kennen, sie entfernte sich von allem Übel. Eines Tages als sie in ihr Land fuhr, um ihre Verwandten zu besuchen, wurde sie verhaftet. In der Haft wurde sie gefoltert und vergewaltigt. Und als ob das nicht reichen würde, wurde sie inhaftiert. Als sie ins Gefängnis kam, hatte ich sie empfangen. In der ersten Zeit hatte sie Angst, ihre Augen blitzten, denn in der Gewahrsamnahme hatte sie unmenschliche Folter erfahren. Die Folterer hatten ihr das niederträchtigste angetan. Sie konnte nicht einmal ihre eigene Muttersprache richtig sprechen, als sie ins Gefängnis kam. Unter Benutzung von deutschen Begriffen versuchte sie, ihr Anliegen mitzuteilen. Sie war erst 18 Jahre alt, sie wuchs unter den Angriffen des Staates im Gefängnis auf; sie lernte den Staat und das Leben kennen, sie reifte. Sie hat den faschistischen türkischen Staat und das Leben darin kennen gelernt. In Typ-F-Isolationsgefängnissen begann sie mit dem Todesfasten. Gleich neben ihr, vielleicht in ihren Armen machten viele ihrer Freunde ihren letzten Atemzug. Es war unmöglich, dass sie das Erlebte vergessen konnte.
Sergül war eine von denjenigen, die durch die „Entlassungs-Bestechung“ entlassen wurde, die der Staat entwickelt hatte, um den Widerstand zu brechen. Ein paar Tage nachdem sie entlassen wurde, ist sie von zu Hause davongelaufen und hat sich auf dem Taksim-Platz in Istanbul verbrannt. In den Bildern in den Zeitungen waren ihre Arme hochgehoben und sie machte noch immer das Sieges-Zeichen. Unter dem Bild stand: „Schafft Isolation ab, Stoppt das Sterben!“ Ja, sie war aus dem Gefängnis entlassen worden, war in Freiheit, niemand zwang sie mehr zu irgendwas. Und sie lief von zu Hause weg und machte die Aktion auf dem Taksim-Platz. Sie verstehen die Aktion vielleicht nicht, das ist normal. Aber jemand, der diese Gefühle erlebt hat, wie kann er das anders machen, wie kann er anders damit umgehen. Wenn Sie in den nächsten Tagen an das Victory-Zeichen denken, überlegen Sie sich etwas.
Ja, ich kann noch sehr viele Bespiele erzählen. Denn das Leben eines jeden Menschen ist ein Buch, das noch nicht gedruckt wurde. Manche sind dick manche dünn, vor Ihnen steht aber eine Bibliothek mit mindestens 122 Büchern. Und auch wenn diese Leben nicht aufgeschrieben wurden, wurden sie gelebt, niemand kann sie ignorieren, sie vergessen machen.
Ja, ich habe nicht wie mein Namensvetter Erdal Suizid begangen. Wenn ich es getan hätte, hätten Sie vielleicht Ihre Freude gehabt, Sie hätten sich nicht mit einem solchen Prozess herumärgern müssen. Wer weiß, wenn ich keine Freunde um mich gehabt hätte und sie mir geholfen hätten, wäre ich vielleicht auch nicht anders geendet. Denn, wenn die Bedingungen, unter denen du lebst, dich daran hindern richtig zu denken, steht das unvermeidliche Ende fest. Sie können es nicht verstehen, aber ich kann sehr gut verstehen, was Erdal gefühlt und erlebt hat. Ich hatte aber Glück, dass mir Freunde halfen und mir ihre Hand entgegenstreckten. Erinnern Sie sich, dass Sie vor gar nicht allzu langer Zeit einen weiteren Brief an mich verlesen haben? Sie haben geschaut, was Musa Asoglu an mich schreibt. Erinnern Sie sich? Es gab einen Gefangenen, der 1996 an einem der Hungerstreiks teilgenommen hat. Im Moment ist er wieder Gefangener. Wissen Sie warum? Weil er gegen Prostitution und Glücksspiel in seinem Viertel protestiert hat. Er war einer der Freunde damals, die mir geholfen haben. Sie leiten gegen die Menschen Verfahren ein, die versuchen, Leben zu retten, die Menschen wie mir helfen und Menschen wie mich retten.
Mir ist nicht das passiert, was Erdal erlebt hat. Und nach alldem was war, werde ich niemals an so etwas denken. Denn, ich habe wichtigere Wirklichkeiten und Gründe. Und ganz am Anfang von alledem steht, dass ich nicht vergesse, was ich erlebt habe, es jedem erzähle, und dass die Folterer, die das Leben meiner Freunde geraubt haben, die Mörder zur Rechenschaft gezogen werden. Und auch: meine 122 Freunde weiterleben lassen, die ihr Leben verloren haben. Es mag für Sie als ein einfaches und unwichtiges Motiv erscheinen, aber für mich ist es Grund genug, weiterzuleben. Wie man sieht, hat es auch gereicht, mich am Leben zu halten, mich an das Leben zu binden. Darüber hinaus hat es meine Überzeugung meine Hoffnung aufrechterhalten, anstatt Teil eines kaputten Systems zu werden, es zu verändern. Denn in einem unmenschlichen System Mensch zu bleiben war nur auf diesem Wege möglich.
Revolutionäre sind die Architekten des Geistes der Menschen; ist es nicht notwendig, dass sogar bei Gerichten der Bourgeoisie diejenigen, die behaupten, der Verteilung von Gerechtigkeit verpflichtet zu sein, mindestens genauso viel vom Geist der Menschen verstehen? Aber leider sehen Sie überall, wohin sie schauen, nichts als „Terror“, stufen alles als “Verbrechen“ ein, was Ihnen nicht passt.
Können Sie nun mir sagen, dass es ein Verbrechen ist, unbeirrbar bis zum Tod hinter seinen Überzeugungen, seinen geliebten Menschen zu stehen?
Ist es ein Verbrechen, dieses Leben so sehr zu lieben, um dafür sterben zu können?
Ist es ein Verbrechen, Hungerstreik oder Todesfasten zu machen?
Ist es ein Verbrechen, Grausamkeiten zu widersprechen?
Ist es ein Verbrechen, Widerstand zu leisten?
Ist es ein Verbrechen, Gerechtigkeit zu suchen?
Ist es ein Verbrechen, gegen Grausamkeit und Ausbeutung zu sein?
Ist es ein Verbrechen, die Massaker nicht zu vergessen?
Ist es ein Verbrechen, zu fordern, dass die Verantwortlichen dieser Massaker bestraft werden?
Können Sie mir sagen, was die Aufgabe eines Juristen ist? Sagen Sie, ich schaue auf die Gesetze und mache meine Arbeit? Nun, wie erklären diese Gesetze den Grund für Sergül´s Tod? Und was sagen sie z.B. über meinen Freund Erdal, der Suizid begangen hat? Sagen sie: „Suizid ist eine Handlung, die die Person mit eigenem Willen vollzieht“? Es gibt in England ein Suizid-Ministerium. Alle 40 Sekunden begeht ein Mensch Selbstmord. Demnach ist es laut dieser Gesetze notwendig, nach einem Verantwortlichen zu suchen! Ja genau, unser Erdal war kein Suizid-Abhängiger, ein Psychopath! Was passiert, wenn die Gesetze, die Urteile nicht zu den Realitäten des Lebens passen? Wenn die Gesetze, die Sie leiten, weit entfernt von den Realitäten des Volkes und des Lebens und deshalb illegitime Gesetze sind, dann werden Sie nicht der Architekt des Menschen-Geistes, sondern höchstens der wörtliche Ausleger und sehen die Menschen als einen Schutthaufen an.
Ja, jeder Beruf hat eine Moral. D.h. die Arbeit, die man macht, besteht nicht daraus, lediglich eine Pflicht zu erfüllen. Wie man diese Arbeit macht, warum und für wen man sie macht, macht die Berufsmoral aus. Josef Mengele war ein Arzt. Beruflich hatte er so viele Möglichkeiten, die viele andere Ärzte auf der Welt nicht hatten; beruflich gesehen hat er sehr viele Experimente machen, viele Erfahrungen sammeln können. Denn er arbeitete an Millionen lebenden Versuchspersonen in den Konzentrationslagern. Beruflich gesehen, kann niemand behaupten, dass er sich mit Medizin nicht ausgekannt hat. Obwohl er sich mit Medizin so gut auskannte, so viele Erfahrungen hatte, kann denn jemand heute sagen, dass Josef Mengele ein Arzt war, der sich entsprechend dem Hypokrit-Eid, der Berufsmoral, der Medizinethik verhalten hat und ein moralischer Arzt war?
Nein, zuerst muss man ein Mensch mit Gewissen sein. Jedes Urteil, das Vernunft und Gewissen nicht vereinen kann, das nicht durch das Sieb der wissenschaftlichen Wahrheit durchgeht, ist falsch. Das Gleiche gilt auch für Sie. Man wird kein moralischer Jurist, nur, weil man die Urteile gut kennt, die Gesetze anwendet. Gesetze, die miteinander verbunden werden, die je nach Bedarf geändert werden, die nicht mit Blick auf den Vorteil des Volkes, sondern auf die einer Minderheit gemacht, Urteile, die so gefällt wurden, sind weder rechtlich noch gerecht. Falls Sie so gerecht sein wollen wie das G der Gerechtigkeit, müssen Sie die untersuchten Informationen und Dokumente, die von uns dargestellten Themen in diesem Rahmen bewerten.
Unterbrechung 15.07 Uhr; „für 10 Minuten“; FS: 15.24 Uhr
Sehr geehrte Senatsmitglieder,
Ich habe eine Liste zusammengestellt, von denen die zwischen 1980 und 2000 in unserem Land ermordet wurden. Diese Liste möchte ich jetzt im Einzelnen nicht vorlesen. In der Liste waren Informationen zusammengestellt zu den Ermordeten, Todesgrund, der Vorfall, wann und wo es passiert ist. Ich möchte jetzt eine Zusammenfassung liefern der Dinge, die auf der Liste stehen:
ZWISCHEN 1980 UND 2000: INSGESAMT 62 POLITISCHE GEFANGENE HABEN ALS ERGEBNIS DER VOM STAAT VERÜBTEN MASSAKER UND FOLTER IHR LEBEN VERLOREN, es handelt sich nur um die Folteropfer;
ZWISCHEN 1980 UND 2000: INSGESAMT 25 POLITISCHE GEFANGENE WURDEN ALS ERGEBNIS DER TODESFASTEN UND HUNGERSTREIKS, DIE GEGEN DIE REPRESSION UND FOLTER DES STAATES IN DEN GEFÄNGNISSEN DURCHGEFÜHRT WURDEN und weil sie diese Aktionen unterstützt haben, 5 Strafgefangene, die von der Gefängnisleitung und der faschistischen Mafia in den Gefängnissen und von der Polizei 6 Personen draußen, ERMORDET;
ZWISCHEN 1980 UND 2000: INSGESAMT 68 POLITISCHE GEFANGENE IN DEN GEFÄNGNISSEN WURDEN ERMORDET, WEIL IHRE BEHANDLUNG VERHINDERT ODER UNTERLASSEN WURDE;
ZWISCHEN 1980 UND 2000: 20 POLITISCHE GEFANGENE IHR LEBEN VERLOREN HABEN, INDEM SIE SICH SELBST VERBRANNT ODER SUIZID BEGANGEN HABEN, UM GEGEN DIE REPRESSIONEN ZU PROTESTIEREN;
ZWISCHEN 1980 UND 2000: INSGESAMT BEI 28 GEFANGENEN, DIE IN DEN GEFÄNGNISSEN ERMORDET WURDEN, DIE TODESURSACHE ANGEBLICH NICHT „FESTSTELLBAR“ SEI;
NACH DEM 12. SEPTEMBER 1980 INSGESAMT 49 PERSONEN IN DEN GEFÄNGNISSEN HINGERICHTET WURDEN;
diese sind mit Namen, Ort und Datum in meiner Liste unter den verschiedenen Überschriften zusammen aufgelistet.
HIER WURDEN LEDIGLICH DIE INFORMATIONEN, DIE DIE POLITISCHEN GEFANGENEN BETREFFEN UND DIE ZWISCHEN DEN JAHREN 1980 und 2000 VON DER ÖFFENTLICHKEIT WAHRGENOMMEN WURDEN, DIE ICH MIT GRÖßTER MÜHE ZUSAMMENGETRAGEN KONNTE. WENN WIR DIEJENIGEN, DIE NICHT VON ÖFFENTLICHKEIT WAHRGENOMMEN WURDEN UND WENN WIR DIE (nicht politischen) STRAFGEFANGENEN MITZÄHLEN, DANN SIND ES MINDESTENS NOCH EINMAL SO VIELE. AUCH WENN WIR NUR DIESE LISTE ALS GRUNDLAGE NEHMEN, DANN SEHEN WIR, DASS HUNDERTE GEFANGENE AUF UNTERSCHIEDLICHE ART UND WEISE VOM STAAT ERMORDET WURDEN. EINIGE DIESER TODE FALLEN IN DIE ZEIT, IN DER AUCH ICH IM GEFÄNGNIS INHAFTIERT WAR. VIELE VON IHNEN SIND MENSCHEN, DIE ICH PERSÖNLICH GEKANNT HABE.
EIN WEITERER WICHTIGER PUNKT IST JEDOCH, DASS DIE DIESE MASSAKER NACH DEM JAHR 2000 ZUNEHMEND WEITERGEFÜHRT WURDE. (Diejenigen, die nach dem Jahr 2000 ermordet wurden, sind nicht in der angehängten Liste enthalten.)
DIE ZAHL DER ZWISCHEN DEN JAHREN 2000 und 2007 IHR LEBEN WÄHREND DER TODESFASTEN-AKTIONEN VERLOREN HABEN, BETRÄGT 122! IN DEN GEFÄNGNISSEN DER TÜRKEI HABEN IN DEN LETZTEN 18 JAHREN – 16 JAHRE DAVON IN DER AKP-REGIERUNG – 3 TAUSEND 500 GEFANGENE IHR LEBEN VERLOREN. GENAUSO VIELE SIND IMMER NOCH IN DEN GEFÄNGNISSEN UND WARTEN AUF DEN TOD, DA IHRE BEHANDLUNG VERHINDERT WIRD.WÄHREND IHRE BEHANDLUNG VERHINDERT WIRD, VERMEHREN SICH DIE ANGRIFFE NOCH WEITER. WIR ERFAHREN DAVON NUR, WENN ES TODESFÄLLE GIBT. DESHALB WISSEN WIR VON 3.500 GEFANGENEN, DIE IHR LEBEN VERLOREN HABEN.
NACH DEN ZAHLEN DES JUSTIZMINISTERIUMS:
IN 389 GEFÄNGNISSEN (ceza ve infaz kurumu) BEFINDEN SICH SEIT DEM JANUAR 2019 264 TAUSEND 31 GEFANGENE UND VERURTEILTE. Man höre und staune: 264.000. So viele wie die Einwohnerzahl vieler deutscher Städte. Viel mehr als die Einwohnerzahl vieler türkischer Städte. Wir haben dort noch viel kleinere Städte.
Darunter gibt es:
2 TAUSEND 982 KINDER. DIE ZAHL DER KINDER, DIE GEZWUNGEN SIND, IN DEN GEFÄNGNISSEN AUFZUWACHSEN, WEIL IHRE MÜTTER INHAFTIERT SIND, BETRÄGT 667.
250 TAUSEND 764 MÄNNER,
10 TAUSEND 285 FRAUEN,
Draußen sind mehr als 430.000 Personen unter Aufsicht, das heißt, dass sie sich auf der Polizeiwache melden müssen oder andere Auflagen haben. DARÜBER HINAUS SIND ALSO 431 TAUSEND 900 PERSONEN UNTER AUFLAGEN DRAUßEN IN GEFANGENSCHAFT.
IN DER TÜRKEI GIBT ES 389 GEFÄNGNISSE, 132 GEFÄNGNISSE SIND NOCH IM BAU UND 35
GEFÄNGNISSE SIND IN PLANUNG.
IN DEN GEFÄNGNISSEN DER TÜRKEI BESTEHT FOLTER UND ISOLATION IMMER NOCH.
DIE PRÜGEL, DIE BEREITS BEIM EINTRITT INS GEFÄNGNIS MIT DEM AUSRUF „DU BIST TERRORIST“ BEGINNEN, WERDEN UNUNTERBROCHEN WEITERGEFÜHRT MIT DURCHSUCHUNGEN, BEI DENEN SICH DIE GEFANGENEN BIS ZUR VÖLLIGEN NACKTHEIT AUSZIEHEN MÜSSEN, MIT DRUCK ZUR KOLLABORATION, MIT JEDWEDER WILLKÜR, MIT DEM ZWANG ZUR EINHEITSKLEIDUNG, MIT STRAFVERSETZUNGEN, DISZIPLINARSTRAFEN UND GUMMIZELLE-FOLTER. SELBST ANWÄLTE BEFINDEN SICH IM GEFÄNGNIS UND IM HUNGERSTREIK.
WAS MEINEN SIE, SOLL ICH DAS ALLES IGNORIEREN?
Vergessen Sie nicht, es ist unser Brecht, der gesagt hat: „Gerechtigkeit ist das Brot des Volkes.“ Ich sage „unser“, weil Sie es waren, die ihm das Leben in Deutschland erschwert haben. Deshalb gehört Brecht dem ganzen Volk, wir haben uns seiner angenommen. Deshlab zitiere ich viel Brecht. Ja, Gerechtigkeit braucht man nicht einmal, sondern täglich mindestens dreimal.
Dann, noch einmal und fortwährend, überall und zu jeder Zeit: ES LEBE DIE GERECHTIGKEIT DES VOLKES!
Vielen Dank.“