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»Ablenkung vom eigenem Fehlverhalten«

Nürnberg: Polizei stellt junge Frau an den Pranger, weil sie eine Weichplastikflasche geworfen haben soll. Gespräch mit Yunus Ziyal
Die Nürnberger Polizei startete am 11. Januar eine Öffentlichkeitsfahndung, Hintergrund waren Proteste von Berufsschülern Ende Mai 2017 gegen die Abschiebung eines afghanischen Mitschülers. Ging es bei der Fahndung tatsächlich nur um den Wurf einer Weichplastikflasche?

Ja, die Ermittlungsbehörden werteten das als gefährliche Körperverletzung. Gefährlich, weil ein Werkzeug, nämlich die Flasche, zum Einsatz gekommen sein soll.

Wie muss man sich diese Flasche vorstellen?

Ich kenne die Ermittlungsakten nicht – dem Fahndungsaufruf war ein Foto des angeblichen Tatwerkzeugs beigefügt: eine etwa 20 Zentimeter hohe Wasserflasche aus Weichplastik.

… und die hat einen Polizisten verletzt?

Zur Verletzung hieß es, der Beamte sei »verletzt, blieb aber dienstfähig«. Eine Körperverletzung kann grundsätzlich schon bei kleinsten Beeinträchtigungen angenommen werden. Im Zusammenhang mit Demonstrationen erlebe ich häufig, dass es – im Vergleich zu sonstigen Verfahren wegen Körperverletzung – um kleine Kratzer, leichte Kopfschmerzen oder ähnliches geht.

Sie kritisieren die inzwischen eingestellte Fahndung im Namen des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV). Warum?

Weil hier mit unverhältnismäßigen Ermittlungsmethoden operiert wird, die bereits – ohne dass die Schuld der Betroffenen feststeht – erheblich in deren Rechtsgüter eingreifen.

Wie sah die Fahndung genau aus?

Die Polizei veröffentlichte sie auf ihrer Homepage, ihre Pressemitteilung wurde jedoch von den Lokalzeitungen auf deren Onlineportale gestellt. Das ist etwas anderes als ein Plakat, das nur in der Dienststelle hängt. Zudem konnte der Artikel via soziale Medien geteilt werden. Das heißt, jetzt, wo Artikel und Bild zwar von den Webseiten genommen wurden, könnten sie immer noch im Internet kursieren.

Das harte Vorgehen der Polizei gegen die Berufsschüler im Mai 2017 hatte bundesweit für Empörung gesorgt …

Ja. Damals blockierten Schüler und Abschiebegegner friedlich die Abfahrt des Streifenwagens, in dem sich der Afghane befand. Mit dem Auftauchen einer Hundertschaft Polizei kippte die Stimmung, als die begann, gewaltsam die Straße zu räumen. Dabei kam es zu Schmerzgriffen und Schlägen auf Sitzende, dem Einsatz von Pfefferspray und Hunden gegen Demonstranten.

Soll die Fahndung davon ablenken?

Es gab und gibt natürlich einen gewissen Druck, diesen Einsatz im Nachhinein zu legitimieren. Polizei und Innenministerium strickten nach dem 31. Mai an der Legende, die Lage sei erst durch das Hinzukommen eines schwarzen Blocks von Autonomen eskaliert. Ich habe viele Videos von dem Tag angesehen: Ja, es gab Widerstandshandlungen, jedoch keinen schwarzen Block.

Vorbild für das Vorgehen des Nürnberger Staatsschutzes ist offenbar die im Dezember begonnene Öffentlichkeitsfahndung der Hamburger Sonderkommission »Schwarzer Block« nach G-20-Gegnern. Sehen Sie das auch so?

Hier kann man nur spekulieren. Es ist auffällig, dass die Nürnberger Polizei sich kurz nach der Hamburger Öffentlichkeitsfahndung desselben Ermittlungswerkzeugs bedient. Eine Parallele sehe ich jedenfalls darin, mit solch spektakulären Aktionen öffentlichkeitswirksam von eigenem Fehlverhalten abzulenken bzw. es im Nachhinein zu legitimieren.

Bei der G-20-Fahndung gab es Auswüchse, so stellte die Bild eine junge Frau unter der Überschrift »Krawall-Barbie« an den Pranger. Offenbar beeindruckt das die Polizei nicht.

Ganz offenbar nicht, leider. Dabei ist die Gefahr einer Prangerwirkung auch ohne solche ekelhaften und sexistischen Kommentare der Bild gegeben. Schließlich erzeugt eine Öffentlichkeitsfahndung immer den Eindruck: Dieser Mensch ist eine Gefahr für die Allgemeinheit! Das haftet der Person dann an.

Soll die Öffentlichkeitsfahndung als Instrument normaler Polizeiarbeit auch bei Bagatelldelikten etabliert werden?

Gesetzlich ist die Öffentlichkeitsfahndung auf »Straftaten von erheblicher Bedeutung« beschränkt. Die gefährliche Körperverletzung kann dazu zählen. Ob es rechtmäßig ist, einen Wurf mit einer Weichplastikflasche darunter zu fassen, sei mal dahingestellt.

19.02.2018

https://www.jungewelt.de/artikel/327491.ablenkung-vom-eigenem-fehlverhalten.html