In der FARC-Guerilla haben Frauen und Männer gleiche Rechte und Pflichten – Kolumbiens Regierungstruppen vergewaltigen und foltern gefangene Genossinnen. Ein Gespräch mit Sandra Ramírez
Als ich sie in Havanna treffe, bemerke ich, daß sie nervös ist. Es ist das erste Mal, daß sie einem Journalisten ein Interview gewährt. Sandra Ramírez ist eine von 13 Frauen in der 30köpfigen Gruppe, die in der kubanischen Hauptstadt für die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) mit Vertretern der kolumbianischen Regierung über einen möglichen – und langersehnten – Friedensprozeß verhandeln. Sie tritt bescheiden auf, aber mit natürlicher Eleganz. Sandra Ramírez ist die Witwe des legendären Mitbegründers dieser Guerillaorganisation, Manuel Marulanda Vélez, der am 26. März 2008 im Alter von fast 80 Jahren verstorben ist. Auf meine ersten beiden Fragen antwortet sie, als würde sie eine Rede halten. Ich stoppe das Aufnahmegerät und erinnere sie daran, daß ich kein Interview mit ihr führen, sondern mich mit ihr unterhalten möchte. Sie lächelt, richtet ihren Blick auf irgendeinen fernen Punkt und beginnt zu erzählen.
Kampf gegen Machotum
»1981 begannen Guerilleros in die ländliche Region zu kommen, in der ich mit meiner Familie gelebt habe. Mein Vater diente ihnen als Führer, damit sie das Gebiet Region kennenlernten. Mir fiel besonders auf, daß es eine Frau war, die diese Gruppe befehligte. Aufgrund unserer wirtschaftlichen Lage konnte ich nicht weiter auf die Oberschule gehen. Aber da diese Frau für mich ein Vorbild geworden war, habe ich mich kurz darauf entschlossen, mich den FARC anzuschließen.
Dort entdeckte ich, daß es keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen gab, wenn sie ins Gefecht gezogen wurden. Und mir fiel auch auf, daß ein regelrechter Kampf gegen das Machotum und für gleiche Rechte und Pflichten von Frauen und Männern geführt wurde. Das war nicht einfach, wenn man berücksichtigt, daß die Mehrheit der Kämpfer in den FARC vom Land stammt, wo das Machotum noch ausgeprägter ist als in der Stadt, wobei die kapitalistische Gesellschaft ohnehin hochgradig machistisch ist. In den FARC haben wir Mechanismen geschaffen, um damit Schluß zu machen, und das ist Teil unserer täglichen Kämpfe an der Seite der Genossen. Denn wir treten für die Gleichheit der Geschlechter und ihr Wohlergehen ein.
Dieser Respekt für die Frauen und die Möglichkeit, uns als Frauen, Kämpferinnen und beruflich zu entwickeln, ist der Grund dafür, daß sich so viele Frauen den Reihen der FARC anschließen. Hier bieten wir ihnen, was die sozialen und ökonomischen Bedingungen des Landes der großen Mehrheit der Bevölkerung und vor allem den Frauen nicht bieten.
Eine Frau in den FARC erfüllt Missionen und übt Befehlsgewalt aus, denn von ihrem Beitritt an wird sie erzogen, sich ihrer Rolle als Person und Kämpferin bewußt zu werden. Hier kann sich eine Frau in der Computertechnik oder im Umgang mit den Medien ausbilden lassen, Ärztin oder Krankenschwester werden oder sich einer anderen Fachrichtung widmen, die wir anbieten. Hier denkt die Frau mit und bringt ihre Vorschläge ein, denn in den FARC werden die Entscheidungen kollektiv getroffen.
Natürlich wollen wir auch unsere Weiblichkeit nicht verlieren. Deshalb stellt uns die Organisation, soweit es die Bedingungen des Krieges und die ökonomische Lage erlauben, zum Beispiel Bodylotion oder Nagellack zur Verfügung, selbstverständlich auch Hygieneartikel und Verhütungsmittel. Wir pflegen uns, auch wenn wir in den Kampf zu ziehen.
Paarbeziehungen sind in den FARC genauso normal wie in Bogotá oder Madrid. Die Medienpropaganda des Feindes behauptet, daß wir Guerilleras gezwungen werden, uns sexuell mit den Genossen einzulassen. Das ist eine Lüge. Wir entscheiden frei, uns mit einem Genossen zusammenzutun, wenn er uns gefällt. Hier wird sich verliebt, hier wird sich getrennt, hier werden Enttäuschungen erlebt wie überall auf der Welt. Unsere internen Regeln schränken die Paare nicht ein, außer wenn sie wegen ihrer ständigen Streitereien die Gruppe beeinträchtigen.
Zur Geburtenkontrolle sind wir verpflichtet. Leider kann man nicht gleichzeitig Guerillera und Mutter sein. Wenn wir der Organisation beitreten, akzeptieren wir diese Bedingung. Man darf nicht vergessen, daß wir Teil einer Armee sind. Wenn eine Guerillera schwanger wird, kann sie sich entscheiden, ob sie abtreiben will oder ob sie die Organisation verläßt, um das Kind zu behalten.
Der Feind verachtet uns, weil wir Frauen sind, aber er hat auch Angst vor uns. Wenn Genossinnen gefangengenommen werden, werden sie meistens vergewaltigt und gefoltert, manchmal werden ihnen sogar die Brüste abgeschnitten, um sie zu verstümmeln. Wir haben grausame Fälle erlebt. Wir sind für sie Kriegsbeute. Sie haben Angst vor uns, weil wir uns ihnen auf Augenhöhe entgegenstellen und ihnen beweisen, daß auch wir im Kampf sehr hart sein können. Deshalb lassen sie an uns, wenn sie eine Genossin gefangennehmen, ihre ganze Angst, Wut und Ohnmacht aus. Es ist die Ausnahme, wenn sie eine Gefangene gut behandeln.«
Unsere Liebesbeziehung
Ich stelle ihr eine andere Frage. Als sie diese hört, verändert sich ihr Gesichtsausdruck. Sie schaut auf den Boden, während sie die Hände faltet. Dann atmet sie tief ein und antwortet. Hier und da huscht ein Lächeln über ihr Gesicht, während sie erzählt.
»1983 war ich 20 Jahre alt, als ich im Lager einen Mann sah, der einen Hut, einen Revolver am Gürtel und einen Karabiner in der Hand, aber keine Uniform trug. Ich fragte, wer das sei, und mich traf fast der Schlag. Der Genosse Manuel Marulanda war die bescheidenste Person, die du dir vorstellen kannst. Er bewegte sich dort mitten zwischen den einfachsten Mitgliedern der Truppe, und in seinem Verhalten deutete nichts darauf hin, daß er der Chef war. Wir waren es, die in ihm die Autorität sahen.
Ich war kein Teil seiner Sicherheitsgruppe, obwohl ich im Lager des Sekretariats arbeitete, der obersten Führung der FARC. Im Mai 1984 war ich Teil der Unterstützungsgruppe, die Kommissionen, Politiker, Journalisten und andere Leute empfing, die in das Camp La Uribe kamen, um mit uns über die Friedensabkommen zu diskutieren, die zu dieser Zeit mit der Regierung ausgehandelt wurden. Eines Tages hatte der Genosse Marulanda einen Unfall und brach sich eine Rippe. Als Krankenschwester war ich dafür zuständig, ihm Medikamente zu geben und ihn zu behandeln. Und dabei begann unsere Liebesbeziehung. Ich hatte keine Privilegien, weil ich seine Compañera war. Wie jedes Paar hatten wir natürlich Diskussionen und Schwierigkeiten, aber die schönen Momente waren sehr viel häufiger.
Manchmal erlebten wir sehr gefährliche Situationen, die sich aus dem Krieg ergaben, denn er war der am meisten gesuchte Mann des Landes. Oft kam uns die Armee sehr nahe, aber mit seiner Ruhe und Erfahrung konnte er seine Truppe immer wieder retten. Er war immer umsichtig und plante alles. Wie oft haben wir gelacht, wenn wir hörten, daß sie ihn getötet hätten, während wir gerade am Kaffeetisch saßen. Denn sie haben ihn sehr oft ›getötet‹.
Meine letzten Stunden mit ihm? Mir fällt es schwer, von diesem Teil unseres gemeinsamen Lebens zu sprechen, aber gut … Wegen der Symptome dachten wir zuerst, daß er an Gastritis litt. An diesem Tag war er gerade dabei, ein Dokument zu verfassen, während er kolumbianische Cumbia-Musik hörte. Danach half ich ihm beim Duschen, er trank eine Schokolade und wir dachten, das Problem sei überwunden. Gegen 17 Uhr aß er so wenig wie gewöhnlich zu Abend. Eine Stunde später empfing er die Lageberichte der Wache und gab seine Anordnungen. Anschließend bat er mich, ihn ins Badezimmer zu begleiten. Ich trug ihm seine Machete und den Pistolengurt, die er immer bei sich hatte. Dann sagte er mir, daß er sich benommen fühlte, und ich bemerkte, daß er einem Zusammenbruch nahe war. Ich fing ihn auf und begann, die Genossen zu rufen, die Wache hatten. Der Genosse sackte zusammen. Es ist schrecklich, jemanden, der so stark gewesen ist, in so einer Verfassung zu sehen. Wir trugen ihn ins Bett und begannen mit Herzdruckmassage und Beatmung, aber er kehrte nicht zurück. Es kam alles so unerwartet. Er hat nicht gelitten. Sogar dabei hat der Feind verloren, er hat ihm nicht einmal diesen Gefallen getan.«
Übersetzung: André Scheer
Hintergrund: Manuel Marulanda
Schon zu Lebzeiten war Manuel Marulanda Vélez, der eigentlich Pedro Antonio Marín hieß, eine Legende. Weltweit galt er als derjenige Guerillero, der am längsten in einer bewaffneten Untergrundorganisation aktiv war. Ob er schon 1928 oder erst 1930 in dem kleinen Kaffeebauerndorf Génova geboren wurde, ist umstritten. Als junger Mann erlebte er 1948 den Bogotazo, den Gewaltausbruch nach der Ermordung des liberalen Spitzenpolitikers Jorge Eliécer Gaitán. Von dem damals ausgelösten Bürgerkrieg hat sich Kolumbien bis heute nicht erholen können.
Anfang der 60er Jahre bildeten Bauern in den ländlichen Regionen Kolumbiens autonome Gemeinschaften, um gemeinsam die Felder zu bestellen und sich gegen die Übergriffe der Großgrundbesitzer zu wehren. Die Zentralregierung in Bogotá fürchtete daraufhin, die Kontrolle über diese Gebiete zu verlieren, die sie als »unabhängige Republiken« denunzierte. Im Mai 1964 begann die Armee eine Großoffensive gegen diese Bauernkommunen, vor allem gegen das legendär gewordene Marquetalia. Zum ersten Mal wurde damals auch der Tod Marulandas gemeldet. Doch die Bauern hatten sich zurückgezogen. Angesichts der Brutalität der Regierungstruppen beschlossen sie, zum bewaffneten Aufstand überzugehen und gründeten den »Südblock«, aus dem wenig später die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) hervorgingen. Marulanda hatte sich inzwischen von einem Anhänger der in Kolumbien äußerst heterogenen Liberalen Partei zu einem Kommunisten entwickelt, und viele Jahre galten die FARC als bewaffneter Arm der Kolumbianischen KP. Heute beschränkt sich diese auf die legale Arbeit, während die Guerilla ihre eigene politische Organisation gegründet hat, die Klandestine Kolumbianische Kommunistische Partei (PCCC).
Am 26. März 2008 starb Marulanda, offenbar an den Folgen eines Herzinfarkts. In einem Video, das der Fernsehsender TeleSur zwei Monate später ausstrahlte, gaben die FARC öffentlich den Tod ihres obersten Comandante bekannt. »Wir verabschieden uns im Namen von Tausenden und Abertausenden Guerilleros der FARC von diesem großen Anführer«, erklärte der Comandante Timoleón Jimenez in dem Video.
Während die kolumbianische Regierung versuchte, die natürlichen Ursachen des Todes von Marulanda in Zweifel zu ziehen, würdigte Nicaraguas Präsident Daniel Ortega – der als Comandante der Sandinistischen Befreiungsfront FSLN in den 70er Jahren selbst Guerillero gewesen war – Marulanda als einen »außergewöhnlichen Kämpfer« und übermittelte dessen Angehörigen sein Beileid: »Ich möchte den FARC und der Familie des Comandante Marulanda mein Mitgefühl und meine Solidarität aussprechen.«
(jW) Interview: Hernando Calvo Ospina