Münchner Kommunistenprozess: Kritik an Strafverfolgung im Sinne des Erdogan-Regimes. Gespräch mit Alexander Hoffmann
Alexander Hoffmann ist Rechtsanwalt und Verteidiger im Verfahren gegen die angeblichen Mitglieder der TKP/ML
Seit mehr als zwei Jahren läuft nun der Prozess nach Paragraph 129b gegen zehn Angeklagte wegen angeblicher Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch, kurz TKP/ML – ohne nennenswerte Ergebnisse. Was ist der Hintergrund des Verfahrens?
Es soll in diesem Musterprozess nachgewiesen werden, dass die TKP/ML mit ihren Aktivitäten in der Türkei eine terroristische Vereinigung darstellt. Dazu müssen ihre angebliche Struktur, ihr Aufbau und ihre Hierarchie aufgeklärt werden. Das Gericht muss dann den Beweis führen, dass die Angeklagten von Deutschland aus die Partei unterstützt haben. Einen großen Teil der bisherigen Verhandlung hat das Gericht damit zugebracht, die angebliche Satzung der TKP/ML sowie Aufnahmen von mutmaßlichen Gesprächen der Angeklagten zu erörtern. Außerdem ging es um aus der Türkei stammendes Material, das beweisen soll, dass die Partei in der Türkei terroristische Anschläge verübt hat.
Vier Angeklagte bleiben nach bald dreieinhalb Jahren weiterhin in Untersuchungshaft. Wie rechtfertigt das Gericht dieses Vorgehen?
Es ist eher bemerkenswert, dass das Gericht sich gezwungen sah, inzwischen sechs von zehn Angeklagten aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Dies ist bei dem Vorwurf nach Paragraph 129 b eigentlich fast ausgeschlossen. Das Gericht beruft sich gemäß den Vorschriften zur Untersuchungshaft vor allem auf den Haftgrund der Schwerkriminalität. Dies ist üblich, aber in diesem Fall absurd: Den Angeklagten wird ja nicht vorgeworfen, eigenhändig Gewalttaten begangen zu haben. Unser Ziel für den Fortgang des Prozesses ist zu verhandeln, bis alle Angeklagten auf freiem Fuß sind.
Mehrfach wurden seitens der Verteidigung Verfahrensmängel der Anklage angemahnt. Ein Gutachter hatte jüngst die teils vom türkischen Geheimdienst stammenden Gerichtsunterlagen als einseitig und unzureichend bezeichnet. Welche Folgen hat dies für die Anklage?
Der Generalbundesanwalt hat all diese Kritikpunkte pauschal zurückgewiesen. Auch das Gericht hat mehrfach erklärt, durch die aktuelle Gesetzeslage und die Verfolgungsermächtigung des Justizministeriums gebunden zu sein. Allerdings ist die Legitimität der Anklage stark angegriffen.
Am Tag der Prozesseröffnung im Juni 2016 titelte selbst die Süddeutsche Zeitung: Eine Auftragsarbeit für Erdogan. Wie laut und wahrnehmbar ist die kritische Öffentlichkeit?
Die Tatsache, dass der Prozess immer wieder von Teilen der Presse aufgegriffen wird und regelmäßig solidarische Besuchergruppen in der Hauptverhandlung sitzen, ist unglaublich wichtig. Man muss in noch größerem Maße die Tatsache problematisieren, dass die deutsche Justiz Strafverfolgung gegen türkische Oppositionelle betreibt, während der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sein Land in eine Diktatur umwandelt. Es muss noch deutlicher werden, dass die politische und wirtschaftliche Unterstützung des Erdogan-Regimes eine direkte Unterstützung des Abbaus demokratischer Rechte in der Türkei bedeutet.
Ist ein Ende dieses politischen Schauprozesses in Sicht?
Nein, weil es eben kein reiner Schauprozess ist. Die Verteidigung findet immer wieder Möglichkeiten, die Anklage und die vorgebrachten Beweismittel anzugreifen. Beispielsweise sollte die Identifizierung von Sprechern bei abgehörten Gesprächen durch Dolmetscher und ein Sachverständigengutachten des Bundeskriminalamtes erfolgen. Allerdings war die Gutachterin nicht in der Lage, ihre Arbeit nachvollziehbar zu begründen, und die Dolmetscher verstricken sich in immer neue Widersprüche, weil sie nicht zugeben wollen, gar keine Stimmen erkannt zu haben.
Bis das Gericht sein möglicherweise bereits feststehendes Urteil gegen die Angeklagten verkünden kann, wird es noch ziemlich lange dauern. Wir, die Angeklagten und ihre Verteidigung, werden unsere Verteidigungsstrategie konsequent fortsetzen.
tkpml-prozess-129b.de/de/
Interview: Henning von Stoltzenberg, junge Welt 11.8.18