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»Die Mörder sind frei und wir werden bestraft«

Türkei kriminalisiert die Überlebenden des Suruc-Anschlags. Spendenkampagnen werden verboten. Gespräch mit Günes Erzurumluoglu
Interview: Kevin Hoffmann, junge Welt 27.2.17

Günes Erzurumluoglu ist Mitglied der Föderation der Sozialistischen Jugendvereine (SGDF) und hat den Anschlag am 20. Juli 2015 in Suruc, Türkei schwerverletzt überlebt. Sie ist seit dem Anschlag zu 98 Prozent behindert.

Spendenkonto:

Verein für Internationale Freundschaft und Solidarität e. V.

IBAN: DE30 1001 0010 0656 3151 07

BIC: PBNKDEFF

Stichwort: Günes

Sie wurden bei dem Anschlag am 20. Juli 2015 in Suruc schwer verwundet. Wie sehen Sie die aktuelle politische Entwicklung?

Das Massaker von Suruc war ein Startschuss für einen Krieg gegen unsere Völker und gegen die Unterdrückten in der Türkei. Seit diesem Datum bis heute haben wir viele Massaker und Angriffe erlebt. Jeden Tag verbreiten die Kollaborateure des IS ihre Hassreden. Nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Damit hat die Regierung versucht, die freien Medien zum Verstummen zu bringen. Es wurden viele Journalisten, Autoren und Intellektuelle in Gewahrsam genommen. Auf der anderen Seite wurden keine Ermittlungen gegen die Täter der Massaker und ihre Unterstützer eingeleitet.

Wie geht der türkische Staat mit den Verwundeten und Überlebenden des Suruc-Attentats um?

Es sind 19 Monate vergangen und erst vor kurzem hat das Verfahren zu dem Anschlag begonnen. Bisher wurde nur der ehemalige Polizeichef von Suruc wegen Amtsmissbrauch zu einer Geldstrafe von 7.500 türkischen Lira (etwa 2.000 €) verurteilt. Drei Tage vor dem Massaker wurde ihm gesagt, dass die Gefahr eines Anschlages besteht. Trotzdem wurde das Massaker nicht verhindert. Das Ergebnis waren 33 Gefallene und etwa 100 Verletzte. Der Staat hat keine Hilfe geleistet und gegen die Verletzten und ihre Familien Ermittlungsverfahren eingeleitet. Während die Mörder frei sind, werden unsere Freunde verhaftet. Die Behandlungskosten wurden nicht vom Staat bezahlt. Als ich eine Unterstützungskampagne für meine Behandlungskosten starten wollte, wurde dies vom Gouverneur verboten. Zudem wurden 16.000 türkische Lira von einem Benefizkonzert beschlagnahmt.

In der Schweiz gibt es eine spezielle Behandlungsmethode, nach der Sie wieder laufen können sollen. Was ist das für eine Behandlung und wie soll sie finanziert werden?

Es ist vorgesehen, dass ich in Basel in einer Klinik eine Physiotherapie anfange. Vor dieser Behandlung müssen einige Untersuchungen gemacht werden und es wird sich zeigen, ob ich erneut operiert werden muss. Dass ich noch jung bin, gibt den Ärzten Hoffnung. Momentan ist eine stationäre Behandlung von 9 bis 12 Monaten vorgesehen. Die Familien der Opfer haben eine Initiative gegründet, über diesen Weg erreichen uns Spenden. Ein Augenzeuge des Massakers hat ein Buch über die Opfer geschrieben. Auch diese Einnahmen fließen in die Kampagne. Insgesamt muss ich 300.000 Euro für die kommenden Behandlungen zusammenkriegen.

In der Türkei wurde eine große Kampagne geführt, um Geld für Ihre Behandlung zu sammeln. Der Staat hat diese aber verboten. Mit welcher Begründung?

Schon nach einem Tag mussten wir die Kampagne stoppen, da keine Erlaubnis vom Gouvernement vorlag. Egal was wir gemacht haben, wir konnten die Beamten nicht zufriedenstellen. Jedesmal haben sie mir neue Hindernisse und Steine in den Weg gelegt. Man hat sogar versucht, mich als Verbrecherin darzustellen. Gegen mich wurde ein Ermittlungsverfahren mit der Behauptung eingeleitet, ich würde die Spenden für einen anderen Zweck nutzen. Sie versuchen, aus einem Menschen mit 98prozentiger Behinderung, der auf einen Rollstuhl und die Hilfe anderer Menschen angewiesen ist, eine Schuldige zu machen. Eine Woche nach meinem Antrag für die Kampagne habe ich eine Geldstrafe in Höhe von 1.300 türkischen Lira bekommen.

Können Menschen Sie trotzdem noch unterstützen?

Die verbotene Kampagne wird über eine Spendenhomepage weitergeführt. In Deutschland wird eine Spendenkampagne von der Föderation der Arbeitsimmigranten (AGIF) und der Roten Hilfe e. V. geführt. Jede Spende, auch wenn sie noch so klein ist, bringt mich meinem Traum, wieder laufen zu können, einen Schritt näher.