REPRESSION GEGEN LINKE: Keine Drohung, sondern Hoffnung

Mannheim: Student für vermeintlich terroristische Parole auf Palästina-Kundgebung freigesprochen

Die Parole »From the River to the Sea, Palestine Will Be Free« ist auf Solidaritätsdemonstrationen für den Freiheitskampf der Palästinenser international verbreitet. Gemeint ist das gesamte Gebiet des historischen Palästina zwischen dem Fluss Jordan und dem Mittelmeer. Weil er am 15. Mai letzten Jahres auf einer Kundgebung in Mannheim ein Plakat mit diesem Slogan hochgehalten hatte, musste sich ein Student am Dienstag vor dem Amtsgericht der baden-württembergischen Stadt verantworten.

Die Anklage lautete auf Verwendung von Kennzeichen terroristischer Organisationen nach dem Strafrechtsparagraphen 86. Sowohl die islamistische Hamas als auch die marxistisch-leninistische Volksfront zur Befreiung Palästinas PFLP, die beide von der EU als Terrororganisationen klassifiziert werden, würden diese Äußerung »als zentrale Parole und Aufruf zum bewaffneten Kampf mit dem Ziel der Vernichtung Israels« verwenden, behauptete die Staatsanwaltschaft. Mit der Feststellung, auf dem Plakat sei eine palästinensische Fahne »neben dem Umriss des heutigen israelischen Staatsgebiets« abgebildet, schlug die Mannheimer Justiz in ihrem Strafbefehl die völkerrechtlich als besetzte Gebiete geltende Westbank und Gaza kurzerhand dem Territorium des Staates Israel zu.

Die Anklagebehörde plädierte unter Verweis auf eine sich aus der deutschen Geschichte ergebenden Verantwortung gegenüber Israel statt der im ursprünglichen Strafbefehl geforderten 90 Tagessätzen zu 30 Euro gar auf 120 Tagessätze Strafe. Denn für die Staatsanwaltschaft, die sich nach eigenen Angaben auf eine Google-Recherche und ein »Lagebild Antisemitismus« des Verfassungsschutzes stützte, handelt es sich bei der inkriminierten Aussage um eine ausgesprochene Vernichtungsphantasie. »Für mich ist dieser Satz keine Drohung. Er formuliert eine Hoffnung«, verteidigte der Angeklagte D. L. die Verwendung der auch von der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem genutzten Parole auf einer Kundgebung zum Nakba-Tag, der an die Vertreibung von bis zu 750.000 Palästinensern bei Staatsgründung Israels erinnert.

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Es sei »eine Hoffnung auf die Befreiung aller auf dem Gebiet des historischen Palästina lebenden Menschen von ständiger Gewalt, von systematischer Unterdrückung und Apartheid durch den israelischen Staat«, so L., der Mitglied der Kommunistischen Organisation (KO) ist. Es gehe ihm um »eine säkulare Gesellschaft, in der unabhängig von Glauben und Herkunft die Menschen gleichgestellt leben können.« Seine Prozesserklärung wurde mehrfach von der Richterin mit dem Hinweis unterbrochen, es handele sich nicht um einen politischen Prozess.

Es sei nicht bewiesen, dass er die Verwendung der Aussage durch terroristische Vereinigungen gekannt habe, sprach das Gericht den Studenten nach rund vierstündiger Verhandlung frei. Dabei handele es sich um ein »individuelles Urteil«, das nichts über die generelle Zulässigkeit des Slogans aussage, bewertete L. den Richterspruch gegenüber junge Welt. Die auf Gerechtigkeit und Gleichheit zielende Parole sei seit den 60er Jahren gebräuchlich, erklärte L.s Verteidiger Ahmed Abed am Mittwoch im Gespräch mit dieser Zeitung. Es sei von der Staatsanwaltschaft versucht worden, eine »allgemeine palästinensische Forderung als terroristisch darzustellen«, sieht der Berliner Anwalt darin eine Verletzung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit.

Tatsächlich ist der Mannheimer Prozess Teil des seit längerem zu beobachtenden Bestrebens, Kritik an der israelischen Politik etwa durch inflationäre Antisemitismusvorwürfe zu diffamieren und der Palästinasolidarität einen Maulkorb zu verpassen. So hatte eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe in ihrem 2022 der Innenministerkonferenz vorgelegten Abschlussbericht von einem »Handlungsbedarf« wegen »zunehmender antisemitischer und antiisraelischer Hetze vor dem Hintergrund des Nahost-Konfliktes« gesprochen und gefordert, alle rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen und auszuschöpfen, um Äußerungen, Symbole, Motive und Aufrufe zu verbieten, »die gegen die Sicherheit oder gar den Bestand Israels gerichtet sind«. Als Beispiele genannt werden explizit der Satz »From the River to the Sea, Palestine Will Be Free« und »Landkarten, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen«.

Von Nick Brauns, junge Welt 26.1.23