REPRESSION GEGEN LINKE»Ein Leben ohne Ausbeutung? Das duldet der Staat nicht«

Verfahren gegen Hamburger Gruppe »Roter Aufbau«, die derzeit eine Veranstaltungsreihe organisiert. Ein Gespräch mit Jonas Kulicker
Interview: Kristian Stemmler

Jonas Kulicker (Name geändert) ist Aktivist in Hamburg

In der vergangenen Woche begann eine Veranstaltungsreihe der Hamburger Gruppe »Roter Aufbau«. In mehreren Städten in der BRD, in Österreich und der Schweiz informieren Sie über die Verfahren gegen Aktivisten wegen der bundesdeutschen Strafrechtsparagraphen 129 und 129 a, also wegen der angeblichen Bildung einer kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung.

Was ist bei den Veranstaltungen geplant?
Dort werden sowohl örtliche Gruppen, unter anderem Ortsgruppen der Roten Hilfe, als auch Betroffene des Verfahrens sprechen. Es wird über die Ermittlungen informiert, aber auch die aktuelle, vergangene und zu erwartende Repression politisch eingeordnet.
Durch eine Razzia bei 24 Aktivistinnen und Aktivisten im August 2020 wurde öffentlich, dass gegen den »Roten Aufbau Hamburg« ermittelt wird. Was wird der Gruppe vorgeworfen?
Die Vorwürfe beziehen sich unter anderem auf Farbattacken sowie Auseinandersetzungen mit Faschisten und der Polizei. Sie sind alles andere als konkret. So wird als Argument etwa eine sprachliche Ähnlichkeit von Bekennerschreiben zu Publikationen des »Roten Aufbaus« angeführt. Hier stützt man sich bloß auf einige allgemein gebräuchliche Begriffe.
In anderen Fällen soll schon die bloße Anwesenheit von Personen auf einer Demonstration mit Tausenden Teilnehmenden genügen, um die Beteiligung an Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht zu belegen. Dementsprechend ist der Stand der Ermittlungen auch so, dass sich kein einziger der Vorwürfe erhärten ließ, geschweige denn angeklagt wurde.

Kritisiert wird, dass die Vorwürfe gegen den »Roten Aufbau« auf eine »gegen linke Strukturen gerichtete Gesinnungsjustiz« hindeuten. Sehen Sie das auch so?
Absolut. Trotz nicht vorhandener Beweise wurde zu solch einem Schlag ausgeholt. Das zeigt, dass es eine politische Auseinandersetzung ist. So wird immer wieder ausdrücklich erwähnt, dass es dem »Roten Aufbau« um die Ersetzung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch ein sozialistisches System ginge. Teile der Beschlüsse zur Überwachung und Durchsuchung lesen sich wie das Urteil zum Verbot der KPD.
Hier wird deutlich, worum es geht. Wenn Menschen eine Idee für ein solidarisches Leben ohne Ausbeutung und Unterdrückung haben – und dann auch noch bereit sind, dafür zu kämpfen –, dann duldet der Staat das nicht. Der »Rote Aufbau« hat sein Anliegen, für eine fundamental bessere Welt einzutreten, offensiv und öffentlichkeitswirksam kommuniziert. Das Verfahren und die direkte Gewalt des Staates sind Antworten auf diese politische Arbeit.

Bei der Tour soll es auch grundsätzlich um den Paragraphen 129 gehen. Teilen Sie die Kritik, dass die Vorschrift von den Behörden dazu genutzt wird, um mit den sich daraus ergebenden Ermittlungsbefugnissen Strukturen auszuspionieren?
Schon die Zahlen belegen, dass diese Annahme richtig ist. Es gibt eine Vielzahl Betroffener solcher Verfahren, aber kaum Verurteilungen. Trotz juristischer Aussichtslosigkeit über Jahre hinweg zu ermitteln, das dient insbesondere dazu, den rechtlichen Rahmen für Überwachung zu schaffen. Es wurden Autos verwanzt, Kameras installiert, Telefonate abgehört und es wurde observiert. Wir wissen, dass staatliche Stellen auch außerhalb des gesetzlichen Rahmens operieren. Ein solches Verfahren bietet aber eine willkommene Gelegenheit, das ganz »offiziell« zu machen.

Nach der Razzia im Herbst 2020 wurde vermutet, dass das Verfahren auch dazu dient, Aktivistinnen und Aktivisten einzuschüchtern und zu isolieren. Wie kann dem entgegengewirkt werden?
Durch eine breite Solidarität und den Schulterschluss fortschrittlicher Bewegungen. Auch 2023 sind fünf Finger noch immer eine Faust. Die Vielzahl der Städte, in denen die Veranstaltung stattfindet, ist bereits ein Ausdruck dieser Solidarität.

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