NRW: Anwälte angeklagter Linker aus Türkei fordern Einstellung des Verfahrens
Von Henning von Stoltzenberg, Düsseldorf junge Welt 13.7.23
Der vierte Tag der Hauptverhandlung konnte ohne Trennscheibe zwischen Angeklagten und Verteidigung stattfinden: Seit Beginn des aktuellen DHKP-C-Verfahrens vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht (OLG) am 14. Juni hatten sie dies gefordert. Der Verzicht auf die Scheibe kann als erster sichtbarer, wenn auch kleiner Erfolg in einem politisch motivierten Verfahren gegen drei Linke aus der Türkei gewertet werden. Ihnen wird vorgeworfen, das sogenannte Deutschland-Komitee der antiimperialistischen Organisation gebildet zu haben. Dafür sind Özgül Emre, Ihsan Kibelik und Serkan Küpeli der Mitgliedschaft in einer »ausländischen terroristischen Vereinigung« nach Paragraph 129 b des Strafgesetzbuches angeklagt.
Eine weitere Neuerung ist der separate Transport der Angeklagten zum Gericht. Bisher waren teils mehrere Angeklagte in einem Gerichtsfahrzeug transportiert worden. Damit sie sich nicht verständigen konnten, wurden ihnen große Kopfhörer aufgesetzt. Dies hatte das sechsköpfige Anwaltsteam als unzumutbar angeprangert und sich nun durchsetzen können.
Die angeklagte Journalistin Emre beantragte am Dienstag die Einstellung des Verfahrens. Das Bundesverfassungsgericht solle die Verfassungsmäßigkeit des Paragraphen 129 b überprüfen. Darüber hinaus sei er auf dieses Verfahren nicht anwendbar. Damit ist gemeint, dass es sich bei der DHKP-C wie auch anderen von der Türkei und der BRD verfolgten linken Organisationen aus Sicht der Angeklagten um Oppositionelle und Befreiungsbewegungen handelt – und nicht um Terrorismus.
Oberstaatsanwalt Setton hingegen wiederholt seit Verfahrensbeginn geradezu gebetsmühlenartig, dass die DHKP-C keine Befreiungsbewegung sein könne, da sie eine kommunistische Ausrichtung habe und damit gegen die »freiheitlich-demokratische Grundordnung« gerichtet sei. Für diese Ausführungen erntete Setton die Kritik, einen großen Teil des historischen antifaschistischen Widerstandes wie die italienischen Partisanen zu diffamieren. Dies sei angesichts der NS-Verstrickungen der Bundesanwaltschaft auch nach Kriegsende absolut unangebracht, so die Verteidigung am Dienstag.
Rechtsanwalt Roland Meister konterte mit einem umfangreichen Antrag, indem er der Anklage vorwarf, die Menschenrechtssituation und eine Charakterisierung des politischen Systems in der Türkei nur am Rande erwähnt zu haben. Gerade aus dieser ergebe sich das Widerstandsrecht, welches die Bundesanwaltschaft verneine. Meister zitierte mehrere Politikwissenschaftler, welche die Türkei an der Schwelle zu einem neuen Faschismus sehen beziehungsweise davon ausgehen, dass diese bereits überschritten sei.
Als Belege führte Küpelis Rechtsbeistand die Massenverhaftungen der vergangenen Jahre, die Tötungen von Zivilisten während der Ausgangssperre in Cizre 2016 sowie mehrere völkerrechtswidrige Angriffe auf die kurdischen Gebiete in Nordostsyrien und den Nordirak an. Damit sah der Jurist den Beweis erbracht, dass der türkische Staat kein Schutzobjekt der BRD sein könne und forderte ebenfalls die Einstellung des Verfahrens sowie die Freilassung seines Mandanten. Zu sämtlichen Anträgen gab es bis jW-Redaktionsschluss am Mittwoch keine Beschlüsse des Senats.
Ein großer Konfliktpunkt bleibt die Weigerung der Bundesanwaltschaft, dem Anwaltsteam umfangreiche Einsicht in die Akten des »V-Mannes« Murat Asik zu gewähren. Aus diesen soll hervorgehen, dass die Anklage unter anderem auf Anschuldigungen eines Spitzels des Verfassungsschutzes beruhe. Setton begründete dies mit der angeblichen Gefährdung des Mannes. Asik hatte vor rund einem Monat in einer online veröffentlichten Videobotschaft gestanden, im Jahr 2017 Informant des Inlandsgeheimdienstes gewesen zu sein, da dieser ihm mit Abschiebung in die Türkei gedroht habe.
Asik bat um Entschuldigung, »die drei Revolutionäre verraten zu haben«. Nach 2017 habe er diese wieder unterstützt und werde daher bis heute vom Verfassungsschutz bedroht, um wieder zu kooperieren. Asik kämpft seit Monaten mit öffentlichen Mahnwachen für sein Aufenthaltsrecht. Sollte ihm etwas zustoßen, dann sei der Geheimdienst verantwortlich.