»Es scheint, dass sie das Verfahren eskalieren will«
»Budapest-Komplex«: Generalbundesanwaltschaft wirft Hanna S. in Anklage versuchten Mord vor. Ein Gespräch mit Alex Schmitt
Solidaritätsgruppe kämpft gegen Auslieferungen nach Ungarn
Alex Schmitt ist Mitglied im Nürnberger »Solikreis – Wir sind alle Antifa!«, der unter anderem die Angeklagte Hanna S. unterstützt
Die Generalbundesanwaltschaft, kurz GBA, hat mittlerweile Anklage vor dem Bundesgerichtshof gegen die Nürnberger Antifaschistin Hanna S. erhoben. Was wird ihr vorgeworfen?
Die Anklage lautet auf versuchten Mord. Das ist unglaublich, ein absoluter Hammer. Erst jetzt kam das heraus, obwohl die GBA ihr Konstrukt bereits am 20. September eingereicht hat. Dass so etwas neben den Punkten »Mitgliedschaft in einer linksextremen kriminellen Vereinigung« und »gefährliche Körperverletzung« auftaucht, damit hat niemand gerechnet.
In Deutschland muss Untersuchungshaft alle sechs Monate richterlich überprüft werden. Dies stünde im Fall von Hanna S. kurz bevor. Halten Sie es für Zufall, dass ausgerechnet jetzt Anklage erhoben werden soll?
Wir sehen es als Absicht, sie auf alle Fälle weiter hinter Gittern zu lassen und zu verhindern, dass sie bei einer Prüfung herauskommt. Dabei ist schon die U-Haft völlig überzogen, denn dafür müsste Fluchtgefahr bestehen. Und das ist bei Hanna, die immer ganz normal gelebt, studiert und gearbeitet hat, nicht der Fall. Weil das auch der GBA klar ist, hat sie den Zeitpunkt sicher nicht zufällig gewählt.
Der Vorwurf des versuchten Mordes wurde zum Beispiel im Fall Maja T. vom BGH zurückgewiesen. Wieso der erneute Anlauf?
Es scheint so, dass die GBA das Verfahren jetzt eskalieren will. Der krasse Vorwurf war tatsächlich bei Maja nicht durchgekommen. Auch in Hannas Haftbefehl war davon noch keine Rede. Vielleicht reizt gerade das die GBA, nachzulegen und sich doch noch durchzusetzen. So ein heftiger, völlig ungerechtfertigter Anklagepunkt kann schon einige Menschen und Organisationen davon abhalten, sich für Hanna einzusetzen. Es macht einen entscheidenden Unterschied, ob es heißt, da hat jemand gegen Nazis protestiert und es soll irgendwie zu einer Schlägerei gekommen sein – oder ob offizielle Stellen behaupten, es ginge um »Mord und Totschlag«. Selbstverständlich bestand nie der erforderliche »Tötungsvorsatz«. Sicher weiß das auch die GBA.
Außerdem geht es auch um die Untergetauchten im »Budapest-Verfahren«. Die meisten Gesuchten hatten erklärt, sich einem Prozess in Deutschland zu stellen, wenn ihnen zugesichert wird, nicht in das autoritäre Ungarn von Viktor Orbán ausgeliefert zu werden. So verstärkt die GBA den Druck auf sie, denn versuchter Mord verjährt nicht, die Ermittlungsverfahren können ewig weiterlaufen. Auch Majas übereilte Auslieferung nach Ungarn bei Nacht und Nebel war eine Drohung an diejenigen, die abgetaucht sind.
Sie rufen zu einer Demonstration für den kommenden Sonnabend auf. Was möchten Sie damit erreichen?
Genau dieses Kalkül der Spaltung in »gute« und »böse, gewalttätige« Antifas, das Schwächen der Solidarität, wollen wir durchbrechen. Hanna soll spüren, dass sie nicht alleine ist. Ihr wollen wir den Rücken stärken in dieser harten Zeit. Maja muss zurückkommen. Und wir wollen zeigen: Antifaschismus ist notwendig und legitim, in seiner ganzen Bandbreite, nicht kriminell.
Wie ein Damoklesschwert schwebt die Drohung einer Auslieferung nach Ungarn über allen Verhafteten oder Gesuchten. Ist das mit der Klageerhebung vom Tisch?
Leider nein. Zwar liegt noch kein Auslieferungsantrag aus Ungarn vor, aber das kann jederzeit passieren. Dann kann es schnell gehen. Ansonsten würde der Prozess wahrscheinlich vor dem Oberlandesgericht München stattfinden, das jetzt über die Zulassung der Anklage entscheiden muss. Deshalb machen wir auch weiter. Was auch immer in Budapest passiert ist oder auch nicht: Es ist total übertrieben, Auseinandersetzung mit Neonazis als versuchten Mord einzustufen. Das ist jedenfalls keine nüchterne, juristische Betrachtungsweise.
junge Welt 21.10.24