g20 pigs

REPRESSIONEN NACH G-20-GIPFEL

Angriff auf Versammlungsrecht
Nächstes Kapitel bei Verfolgung von Hamburger G-20-Gegnern: Berichte über neue »Mammutverfahren« im Rondenbarg-Komplex
Bei der Verfolgung von Gegnern des G-20-Gipfels vor gut zwei Jahren in Hamburg scheut die Justiz weder Kosten noch Mühen.

Die Staatsanwaltschaft der Hansestadt will offenbar mit riesigem Aufwand rund 100 Gipfelgegner vor Gericht stellen, die von der Polizei am 7. Juli 2017 im Industriegebiet Rondenbarg festgesetzt worden waren. Es seien mehrere »Mammutverfahren« gegen eine jeweils niedrige zweistellige Zahl von Angeklagten geplant, berichtete die Welt am Wochenende.

Die Ermittlungen in dem Komplex stünden kurz vor dem Abschluss. Weil es bei den für die Verfahren zuständigen Gerichten in Altona keine geeigneten Räume gibt, sollen diese, so mutmaßt das Springer-Blatt, im Strafjustizgebäude in Mitte unter Vorsitz Altonaer Richter verhandelt werden. Dort gebe es zwei große Säle mit 47 respektive 30 Tischen und Sprechanlagen für die Prozessbeteiligten. Auf jW-Nachfrage konnte dies die Hamburger Staatsanwaltschaft am Montag nicht bestätigen.

Hintergrund der geplanten Verfahren: Am frühen Morgen des 7. Juli 2017, dem ersten Tag des Gipfels, waren vom Protestcamp am Volkspark mehrere Züge von Demonstranten – sogenannte »Finger« – Richtung Innenstadt aufgebrochen, um Protokollstrecken zu blockieren. Einer dieser Aufzüge mit rund 200 Teilnehmern wurde von der brandenburgischen Beweis- und Festnahmeeinheit (BFE) »Blumberg« der Bundespolizei am Rondenbarg gestoppt und zerschlagen. Beim Einsatz der für ihre Brutalität bekannten Einheit wurden 14 Personen verletzt, einige davon schwer.

Zum politischen Skandal geriet der Vorgang spätestens, als die Justiz sich ausgerechnet den 19 Jahre alten Italiener Fabio V., der zu den am Rondenbarg Festgesetzen gehörte, als sprichwörtlichen Prügelknabe erwählte. Obwohl ihm keine konkrete Straftat vorgeworfen wurde, hielt man den Italiener mit grotesken Begründungen viereinhalb Monate lang in Untersuchungshaft fest. Ein Verfahren gegen V. vor dem Amtsgericht Altona platzte im April 2018, weil die Richterin in Mutterschaftsurlaub ging.

Offensichtlich sind die jetzt geplanten Verfahren der nächste Versuch der Staatsanwaltschaft, ihre umstrittene Rechtsauffassung durchzusetzen. Nach der Devise »Mitgegangen, mitgehangen« soll das reine Mitlaufen in einem Aufzug, aus dem heraus Straftaten begangen werden, als schwerer Landfriedensbruch bestraft werden. Dabei stützen sich die Ankläger auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von Mai 2017, das ein »ostentatives Mitmarschieren« in einer gewaltbereiten Gruppe für strafbar erklärte. Nur ging es dabei um Fußballhooligans, die sich per Whats-App zu einer Prügelei verabredet hatten.

Vor diesem Hintergrund befürchtet Halil Simsek, der als Sprecher des Camps im Volkspark bei der Demo dabei war und zu den Verletzten gehörte, dass »die Anklage uns als einen Haufen Hooligans hinstellt, für die das Versammlungsrecht nicht gilt«. Das sei ein »elementarer Angriff auf die Versammlungsfreiheit«, sagte er am Montag gegenüber jW. Der Prozess gegen Fabio V. sei geplatzt, nun hole sich die Staatsanwaltschaft »hoffentlich wieder eine blutige Nase«.

Kritik kam auch von Anwalt Matthias Wisbar, der im derzeit vor dem Landgericht geführten »Elbchaussee-Prozess« einen der fünf Angeklagten vertritt. Neben jenem sei der Rondenbarg-Komplex »der zweite Versuch der Staatsanwaltschaft, das Demonstrationsstrafrecht auf den Kopf zu stellen«, erklärte er im Gespräch mit jW. Es werde eine »militante Demo konstruiert«, obwohl vieles dafür spreche, dass der Aufzug »in einen polizeilichen Hinterhalt geraten ist«. Ausgehend vom sogenannten Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts gelte das Recht zu demonstrieren auch dann, wenn nicht alle Beteiligten friedlich seien. Nach dem Willen der Anklage solle aber allein die Anwesenheit an einem Ort, an dem Menschen mutmaßlich Straftaten begingen, für eine Verurteilung reichen. »Damit wird das Versammlungsrecht für bestimmte Situationen faktisch abgeschafft«, sagte Wisbar.

Von Kristian Stemmler junge Welt 23.7.