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Repressionsinstrument Paragraph 129 b

Hamburg: Tagung zur Verfolgung angeblicher Unterstützer »terroristischer Vereinigungen im Ausland«

Faruk Ereren muss tief durchatmen, als er über die Erfahrungen aus seiner Zeit in einem deutschen Knast spricht. »Irgendwann glaubst du, dass die Wand sich bewegt. Da wird man wahnsinnig!« Mehr als sieben Jahre saß er in Isolationshaft, weil ein dubioser Zeuge behauptet hatte, Ereren habe 1993 einen Anschlag in Istanbul angeordnet. Im Frühjahr 2015 kassierte der Bundesgerichtshof das Verfahren. »Ich hab’ für nichts im Gefängnis gesessen«, sagt Ereren heute.

Sein Bericht war einer der Höhepunkte einer internationalen Konferenz am Wochenende im Hamburger Centro Sociale. Hauptthema der Tagung war der aktuelle Prozess gegen den türkischen Sozialisten Musa Asoglu vor dem Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts (siehe dazu auch jW vom 24.1.). Auf einem Banner im Saal prangte der Satz, den sich das »Freiheitskomitee für Musa Asoglu« als Motto gewählt hat: »Revolutionär zu sein ist kein Verbrechen, sondern eine Aufgabe!«

Von Justiz und Medien wird Asoglu, der die niederländische Staatsbürgerschaft hat, als »Terrorist« bezeichnet. Die Hamburger Morgenpost nannte ihn am 9. Dezember 2016 sogar einen »Terrorfürsten«. Eine Woche zuvor hatte das Mobile Einsatzkommando (MEK) den 56jährigen in einer Wohnung im Hamburger Bahnhofsviertel St. Georg festgenommen. Seitdem sitzt er im Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm in dem am 25. Januar eröffneten Gerichtsverfahren vor, als »hochrangiger Führungsfunktionär« der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) diese Organisation in Europa geleitet zu haben. Die DHKP-C führt in der Türkei Guerillaaktionen gegen Polizeiwachen, Büros der Regierungspartei AKP und diplomatische Vertretungen der USA durch. Sie steht auf den Listen terroristischer Vereinigungen des US-Außenministeriums und der EU. Die USA haben auf Asoglu und zwei weitere Personen gar ein »Kopfgeld« von drei Millionen Dollar ausgesetzt, die Türkei von 1,2 Millionen Euro.

Für die Teilnehmer der Hamburger Konferenz stand außer Frage, dass Verfahren wie das gegen Asoglu dazu dienen, Linke und Revolutionäre aus der Türkei zu kriminalisieren. 26 Türken und Kurden sitzen derzeit als politische Gefangene in deutschen Gefängnissen. Asoglus Anwältinnen Gabriele Heinecke und Fatma Sayin erläuterten, wie die Justiz den Paragraph 129b des Strafgesetzbuches für diese Verfahren missbraucht. Dieser stellt die Mitgliedschaft in einer »terroristischen Vereinigung im Ausland« unter Strafe.

Es sei »nicht mehr nachvollziehbar«, in welchem Ausmaß die deutsche Justiz Beihilfe für die Regierung eines Landes leiste, in dem jede Opposition brutal verfolgt werde und von einem funktionierenden Rechtsstaat nicht einmal ansatzweise die Rede sein könne, sagte Sayin. Es sei »glasklar«, dass es bei solchen Verfahren auch um deutsche Interessen gehe. Sayin und Heinecke berichteten, dass sie vor dem OLG unter anderem die vom Bundesjustizministerium erteilte Ermächtigung zur Verfolgung ihres Mandanten angegriffen haben.

Eine solche Ermächtigung ist laut Paragraph 129 b in bestimmten Fällen Voraussetzung für eine Strafverfolgung. Es heißt darin, das Ministerium müsse dabei berücksichtigen, »ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung« gerichtet sind und als »verwerflich« erscheinen. Sayin betonte, im Falle der Türkei könne nun wirklich niemand mehr behaupten, dass dort eine solche Ordnung existiert. Dass das OLG den Antrag abgeschmettert habe, zeige nur, dass das Verfahren politisch motiviert sei.

Was Faruk Ereren – auch ihm war Mitgliedschaft in der DHKP-C vorgeworfen worden – durchgemacht hat, muss auch Musa Asoglu erleiden: totale Isolationhaft, Anwaltsbesuche nur mit Trennscheibe. Als »weiße Folter« wird eine solche Behandlung auch bezeichnet. Ereren wies auf der Konferenz darauf hin, dass es für Asoglu gerade angesichts der Isolationshaft »sehr wichtig« sei, »dass er Briefe bekommt«. Das sei in dieser Situation die einzige Möglichkeit, »andere Menschen zu fühlen«.

13.02.2018

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