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Revisionsgericht in Brüssel: Belgisches Anti-Terror-Gesetz in PKK-Verfahren nicht anwendbar / PKK ist Partei innerhalb eines Konflikts nach internationalem Recht

Heute endete ein Verfahren vor dem Revisionsgericht in Brüssel, dessen Ergebnis über die Grenzen Belgiens hinaus von Bedeutung ist, insbesondere mit Blick auf das internationale Recht.

Rückblick: Mit einem Großaufgebot an Polizei sind 2010 in Brüssel legale kurdische Organisationen und Produktionsstätten des kurdischen Fernsehens in Belgien durchsucht und einige Repräsentanten des Kurdischen Nationalkongresses (KNK) festgenommen worden. Die Ermittlungen mündeten in einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft gegen insgesamt 40 Personen, die sie der Spendensammlung, Propaganda und Rekrutierung für die PKK beschuldigte. In einem zweiten Fall wurde einem syrischen Kurde vorgeworfen,

Kommunikationsgeräte nach Erbil/Nordirak exportiert zu haben, die laut Staatsanwaltschaft an die kurdische HPG-Guerilla weitergereicht worden seien.

Das Revisionsgericht stellte heute nach neun Jahren letztinstanzlich fest, dass in diesen Verfahren das Anti-Terror-Gesetz nach belgischem Recht nicht angewendet werden kann. Daher werde es keinen Prozess geben und alle Angeklagten von sämtlichen Anklagepunkten freigesprochen.

Gegen heftige Widerstände der Staatsanwaltschaft hatte die Verteidigung von Beginn an die Frage in den Mittelpunkt der Verfahren gestellt, ob es sich bei der PKK überhaupt um eine „terroristische“ Organisation handelt und das belgische Anti-Terror-Gesetz zur Anwendung kommen könne. Dieses hat den Vorbehalt, dass es nicht auf bewaffnete Kräfte innerhalb eines Konfliktes nach internationalem Recht anwendbar ist. Die Regelung wurde 2003 im Zuge der europäischen Rahmenvereinbarung über Terrorismus buchstabengetreu in belgisches Recht übernommen und sollte eigentlich als Grundlage der Anti-Terror-Gesetze in den meisten europäischen Staaten gelten.

Nach Auffassung der Verteidigung ist der Konflikt in der Türkei zwischen Kurd*innen und der türkischen Armee selbstverständlich keine Terrorismusangelegenheit, sondern ein Bürgerkrieg zwischen einem Staat und einer Gruppe, die es als notwendig erachtet, sich mit Gewalt gegen Diskriminierung und Unterdrückung zu verteidigen. Der Konflikt habe eine hinreichende Intensität, um als Krieg angesehen zu werden und nicht als terroristische Aktivität oder bewaffnete Zwischenfälle.

Die kurdische Guerilla HPG sei hinreichend organisiert und strukturiert, um als bewaffnete Kraft und nicht nur als eine irreguläre Gruppe bezeichnet zu werden. Deshalb müsse das Kriegsrecht und nicht das Anti-Terror-Gesetz angewendet werden. So könnten Angriffe auf militärische Ziele nicht als kriminelle Handlungen bewertet werden.

Während das Revisionsgericht dieser Einschätzung im Wesentlichen zugestimmt hatte, widersprach die Anklage beim Obersten Gerichtshof. Dieser hob zwar die vorherige Entscheidung auf, allerdings nicht in den zentralen Punkten. Deshalb mussten die Verfahren wieder vor dem Revisionsgericht in Brüssel verhandelt werden.

Die heutige Entscheidung mit ihrer Argumentationslinie und die Feststellung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg vom November 2018, dass die Listung der PKK auf der EU-Terrorliste in den Jahren 2014 bis 2017 unrechtmäßig war, sollte endlich zu einem Umdenken im Verhältnis zur kurdischen Freiheitsbewegung und ihren politischen Protagonist*innen führen.

Jan Fermon, einer der Verteidiger in den Brüsseler Verfahren, sagte auf unserer Konferenz am 20. Oktober 2018 in Berlin anlässlich des 25jährigen PKK­-Verbots in Deutschland: „Die Entscheidung belgischer Gerichte, die mit internationalem Recht und der Realität übereinstimmt, eröffnet eine Perspektive – fordert geradezu dazu auf -, diesen Konflikt durch Verhandlungen und auf dem politischen Weg zu lösen, statt die Kurdinnen und Kurden als Terrorist*innen zu bekämpfen.“

AZADÎ e.V.

Rechtshilfefonds für Kurdinnen und

Kurden in Deutschland, Köln