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»Ich zog ein Messer, um mich zu verteidigen«

Nach Angriff von Neonazis: Ein australischer Antifaschist sitzt seit über zehn Jahren in Bulgarien im Knast.

Jock Palfreeman ist ein australischer Antifaschist, der seit 2007 im Gefängnis in Sofia sitzt. Er gründete dort die Bulgarische Gefangenenvereinigung (Bulgarian Prisoners’ Association, Informationen: https://bpra.info/en)

Warum sitzen Sie in Sofia im Gefängnis?

Als ich im Dezember 2007 mit zwei Freunden durch die Innenstadt von Sofia lief, sah ich 15 Neonazis die Straße entlang kommen. Wir versteckten uns, um nicht zu ihrem Ziel zu werden. Dann sah ich, wie sie einen Roma bedrängten. Er drehte sich um und rannte weg. Als die 15 Neonazis ihn einholten, zu Boden brachten und auf ihn einprügelten, schrie ich sie an und stieß sie weg. Daraufhin griff mich die Gruppe an und ich zog ein Messer, um mich zu verteidigen. Sie warfen über zehn Minuten lang mit Steinen auf mich, wobei ich mehrere Male ausgeknockt wurde.

Was geschah dann?

Nach zehn Minuten ihrer Angriffe auf mich war einer von ihnen tot. Obwohl nie bewiesen wurde, dass ich es war, der den Faschisten getötet hatte, wurde ich für Mord zu 20 Jahren Haft verurteilt. Das Gericht entschied, ich hätte sie grundlos angegriffen mit dem Ziel, alle zu töten. Der getötete Faschist war Sohn eines Politikers der bulgarischen »sozialistischen« Partei, die 2017 verkündete, ihre Politik wäre der der faschistischen Koalition der patriotischen Front am nächsten.

Hoffen Sie auf vorzeitige Entlassung?

Grundsätzlich nein. Die Gesetze für frühzeitige Entlassung sind extrem willkürlich. Darüber hinaus sind hier die Richter noch korrupter, als die Gesetze willkürlich sind.

Welche Form der Solidarität haben Sie erfahren?

Das ist eine kontroverse Frage, denn mit Ausnahme linker Einzelpersonen ist der Großteil der bulgarischen Linken zu ängstlich, mich offen zu unterstützen. Nach elf Jahren hat mich in Bulgarien immer noch keine einzige linke Organisation öffentlich unterstützt. Mir hilft eine sehr kleine, aber aufopferungsvolle Gruppe. Ich bin diesen Leuten extrem dankbar. Nahezu alle Gelder der Bulgarischen Gefangenenvereinigung kommen aus Westeuropa und Australien.

Sind Sie der einzige politische Gefangene in Bulgarien?

Ja, ich bin der einzige politische Gefangene in Bulgarien, wenn man darunter Menschen versteht, die aktiv aus politischen Gründen ins Gefängnis gegangen sind. Das ist seit meiner Verhaftung so und hat sich bis heute nicht verändert. Das ist der Fall, da die bulgarische Linke nicht politisch aktiv ist. Grundsätzlich weiß jeder aktive Linke, dass wir alle eines Tages ernsthafter physischer Schädigung, dem Tod oder dem Gefängnis ausgesetzt sind. Das ist ein Faktum antifaschistischer und antikapitalistischer Aktivitäten. Meistens sind linke Gruppen in Bulgarien nicht ansatzweise ernsthaft bei der Sache, sondern Kreise von Freunden, die sich treffen, um Bier zu trinken.

Sie haben die Gefangenenorganisation 2012 gegründet, wie läuft Ihre Arbeit?

Es gibt keine Atmosphäre für Massenbewegungen des Gefängniswiderstands in Bulgarien. Daher ist eine legal registrierte NGO, mit der wir die Anstrengungen der wenigen widerständigen Inhaftierten verbinden können, eine gute Alternative. Wir haben viele Siege erzielen können. Mittlerweile kontaktieren uns die Mainstreammedien. Wir waren sehr aktiv bei der Durchsetzung von Gesetzesreformen, die Anfang 2017 rechtskräftig wurden und radikale Änderungen herbeiführten. Da ging es zum Beispiel darum, wie Bewährungen und andere wichtige Teile des Gefängnisrechts geregelt sind. Wir hatten ebenfalls viel Erfolg darin, Verträge mit Anwälten zu schließen, die gefolterte und missbrauchte Häftlinge vertreten.

Welche Unterstützung wünschen Sie sich – etwa aus der deutschen Linken?

Was mich persönlich betrifft, da gibt es nicht viel, was man tun kann. Außer die Menschen darüber zu informieren, was in Bulgarien passiert. Anders stellt sich die Situation hinsichtlich der Gefangenenvereinigung dar. Wir benötigen dringend eine beständige Finanzierung. Unglücklicherweise denken die meisten, dass sich Bulgarien, da es Teil der EU ist, nach den gemeinsamen Standards seiner EU-Partner richtet. Doch das hat nichts mit der Realität zu tun. Die EU hat die massiven Menschenrechtsverletzungen seitens der bulgarischen Polizei und in bulgarischen Gefängnissen ignoriert.
junge Welt 7.4.18 Interview: Kristian Stemmler