129.1

»Kriegsverbrechen des letzten Jahres werden ignoriert«

Kurdischer Politiker in Hamburg vor Gericht. Ihm wird »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland« zur Last gelegt. Gespräch mit Alexander Kienzle
Interview: Martin Dolzer, junge Welt 11.6.2016
Alexander Kienzle ist einer der Verteidiger von Bedrettin Kavak

In der kommenden Woche wird eine Delegation von Anwälten aus der Türkei den Prozess beobachten und Bedrettin Kavak besuchen. Am Dienstag, den 14. Juni, findet vor dem Oberlandesgericht um 8.30 Uhr eine Kundgebung statt, Sievekingplatz 2, Hamburg

Gegen den kurdischen Politiker Bedrettin Kavak findet seit dem 3. Mai ein Prozess wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, nach Paragraph 129b Strafgesetzbuch, statt. Am Dienstag geht es weiter. An zehn Prozesstagen wurde vor dem Oberlandesgericht Hamburg bereits verhandelt. Wie äußert sich Ihr Mandant vor Gericht?

Herr Kavak hat am ersten Verhandlungstag in einer kurzen politischen Erklärung mitgeteilt, dass er seit 41 Jahren kurdischer Politiker ist. Er hat dafür 24 Jahre in der Türkei in Haft gesessen und wurde eineinhalb Jahre Folter ausgesetzt. Letztlich sei in dem Hamburger Verfahren nicht er der Angeklagte, sondern das kurdische Volk, das Widerstand gegen systematisches Unrecht seitens der türkischen Regierung leiste. Kein Gericht habe das Recht, legitimen Widerstand als kriminelle Handlung zu verurteilen.

Welche politischen und völkerrechtlichen Komponenten stehen zur Diskussion?

Die Bundesanwaltschaft, BAW, klagt seit fünf Jahren angebliche »Sektor- oder Gebietsleiter der PKK« gemäß Paragraph 129b StGB an, da es sich um eine Organisation handele, deren »Tätigkeit auf die Begehung von Mord und Totschlag« gerichtet sei. Wir haben deutlich gemacht, dass der Widerstand der PKK nicht losgelöst von der momentanen Situation betrachtet werden kann. Der Einsatz von Panzern, Flugzeugen und Artillerie der türkischen Armee gegen kurdische Städte und Wohngebiete, der Hunderte Zivilisten das Leben kostete, grausame Massaker an der Zivilbevölkerung, schwerste Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen im vergangenen Jahr werden von der BAW ignoriert. Im Laufe der 129b-Verfahren werden meist keine strafbaren Handlungen in der BRD zur Last gelegt.

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Offensichtlich wurde die Verfolgungsermächtigung gegen die PKK im Justizministerium von einem Beamten unterzeichnet, der gar nicht dafür zuständig ist.

Das wird von der Verteidigung regelmäßig gerügt, von Gerichten aber als unproblematisch abgetan. Es reiche, wenn die Verfolgungsermächtigung von irgendeinem Vertreter des Justizministeriums unterschrieben sei. Auf eine Anfrage der Linke-Fraktion im Bundestag wurde zudem mitgeteilt, dass in die Entscheidung zur Verfolgung gemäß Paragraph 129b StGB neben dem Justizministerium auch das Innenministerium, das Auswärtige Amt und das Bundeskanzleramt eingebunden sind. Eine Entscheidung der Exekutive, gemäß außenpolitischen Interessen festzulegen, wer als »Terrorist« verfolgt wird, ist verfassungswidrig.

In einem Antrag kritisierten Sie, dass die Dolmetscher oftmals zuungunsten von Beschuldigten übersetzt.

Bereits aus der Akte ergab sich, dass die vom Bundeskriminalamt eingesetzten Dolmetscher nicht nur übersetzen, sondern auch ohne erkennbare Qualifikation Sprecher bei abgehörten Telefonaten »identifizieren«. Wer weiß, wie schwierig die Identifizierung anhand der Stimme ist – noch dazu, wenn man sie wie am Telefon akustisch verzerrt hört –, weiß, dass eine solche Identifizierung nicht mehr Beweiswert hat als »schwarze Magie«. Trotzdem werden unzählige »Beweisergebnisse« darauf gestützt. Hinzu kommt, dass die Übersetzungen teilweise sehr tendenziös im Sinne einer Belastung des Beschuldigten sind.

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Ist es nicht längst an der Zeit und völkerrechtlich geboten, das PKK-Verbot aufzuheben und die zehn Kurden freizulassen, die gemäß Paragraph 129b StGB inhaftiert sind?

Die BRD muss aufhören, der türkischen Regierung mit Strafverfahren zu Diensten zu sein. Es ist besonders in den vergangenen Tagen wieder deutlich geworden, wie wenig sich die Regierung Erdogan um Demokratie und Menschenrechte schert und selbst Rechte von gewählten Parlamentariern ignoriert – auch die von Bundestagsabgeordneten und nicht nur die der kurdischen HDP-Abgeordneten im türkischen Parlament. Es ist an der Zeit, den Paragraph 129b StGB abzuschaffen, da er sich zunehmend zum Instrument zur Unterdrückung von Befreiungskämpfen entwickelt. Um die Verbrecher des IS zu bestrafen, was oft als Rechtfertigung für seine Existenz genannt wird, reichen das allgemeine Strafrecht und das Völkerstrafrecht vollkommen aus.