esra özakca

»Morgen kann es für sie schon zu spät sein«

Über den Hungerstreik der türkischen Akademiker Nuriye Gülmen und Semih Özakca. Ein Gespräch mit Onur Güler
Interview: Kevin Hoffmann, junge Welt 21.7.17

Onur Güler ist Kovorsitzender der Föderation der Arbeitsimmigranten aus der Türkei in Deutschland e. V. (AGIF) aus Duisburg

Seit etwa zwei Wochen befinden Sie sich in Duisburg im Hungerstreik, um die Wissenschaftlerin Nuriye Gülmen und den Lehrer Semih Özakca, die in der Türkei gefangen sind, zu unterstützen. Wer sind die beiden?

Insbesondere nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 wurden von seiten der Erdogan-Regierung viele Oppositionelle in Gewahrsam genommen. Angeblich war das Teil des »Kampfes gegen den Putsch«. Hunderttausenden Staatsbediensteten, Demokraten und Revolutionären wurde ohne Angabe von Gründen gekündigt. Zwei von Ihnen sind Nuriye Gülmen und der Semih Özakca. Des weiteren wurden die zwei deutschen Journalisten Deniz Yücel und Mesale Tolu, ebenso wie unzählige ihrer türkischen Kollegen, verhaftet. Gegen die Kündigungen ist Nuriye mit einem Plakat mit der Aufschrift »Ich möchte meine Arbeit zurück« auf die Straße gegangen. Daraufhin schloss sich Semih mit der Forderung »Ich möchte meine Schüler zurück« an. Ihr Kampf um ihre Arbeitsplätze dauert nun bereits mehr als 250 Tage an. Jeden Tag protestierten die beiden auf der Yüksel-Straße in Ankara. Jeden Tag griff die Polizei sie mit Gewalt an und verhaftete sie. Schließlich begannen sie einen unbefristeten Hungerstreik und wurden am 75. Tag ihres Hungerstreiks dauerhaft inhaftiert und befinden sich seit Ende Mai im Gefängnis.

Wie geht es beiden Akademikern jetzt?

Nuriye und Semih sind nun seit mehr als 130 Tagen im Hungerstreik und sind somit sehr geschwächt. Es ist kaum noch möglich, sich mit ihnen länger zu unterhalten. Sie können sich nicht konzentrieren und kaum sprechen. Es ist sehr mühsam für sie, längere Zeit zu sitzen. Nuriye wiegt mittlerweile weniger als 35 Kilogramm. Da ihre Knochen soweit aus ihrem Körper herausstehen, kann sie kaum liegen. Ihr Antrag auf ein spezielles Bett wurde abgelehnt. Nachts überprüfen die Gefängniswärter regelmäßig, ob die beiden noch leben. Wir müssen jetzt etwas tun, denn morgen kann es für das Leben der beiden schon zu spät sein. Jeden Tag versuchen Menschen weiterhin, für die beiden und ihre Arbeitsstellen auf der Yüksel-Straße zu demonstrieren; jeden Tag schlägt die Polizei diesen Protest mit Gewalt nieder.

SODI Serbien
Seit etwa zwei Wochen sind auch Sie im Hungerstreik. Was wollen Sie erreichen?

Ausschlaggebend waren zwei Faktoren für mich. Einerseits die Situation von Nuriye und Semih sowie die allgemeine Lage in der Türkei und Kurdistan. Aufgerüttelt hat mich auch die Polizeigewalt, die wir in Hamburg gegen die Anti-G-20-Proteste gesehen haben. Ein Freund von mir, sitzt nach wie vor in Hamburg in Untersuchungshaft. Das Handeln der Polizei in Hamburg erinnerte mich sehr an das der Polizei in der Türkei. Aus diesen zwei Gründen mache ich den Solidaritätshungerstreik. Ich will mehr Menschen damit erreichen. Seit Beginn meiner Aktion haben alleine in den sozialen Medien über drei Millionen Menschen die Fotos und Videos meiner Aktion gesehen.

Wie reagieren andere Menschen auf Ihren öffentlichen Protest?

Viele Passanten reden mit mir, und viele sprechen ihr Mitgefühl aus. Oft werde ich auch gefragt, wie man helfen kann. Des weiteren wurden nun auch in anderen Städten Aktionen organisiert. In Mannheim, Nürnberg, Aachen, Leverkusen und Köln wurden symbolische Hungerstreiks organisiert, und es werden für das kommende Wochenende öffentliche Proteste geplant. Selbst in England gab es einen dreitägigen Hungerstreik.

Der Protest von Nuriye und Semih wird so lange weiter gehen, bis ihre Forderungen erfüllt sind. Und auch wir wollen in Deutschland so lange weiter kämpfen, bis sie ihren Hungerstreik erfolgreich beendet haben. Wir werden sie nicht alleine lassen, sondern ihren Forderungen eine Stimme verleihen.