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»Ob ich jemals freigelassen werde, weiß ich nicht« nd 13.4.19

Der Bankräuber Thomas Meyer-Falk gehört zu den über 500 Gefangenen in Sicherungsverwahrung, die ihre Strafe abgesessen haben und doch inhaftiert bleiben

Sie sind nach Ihrer Inhaftierung 1996 ein politisch aktiver Mensch geblieben. Was heißt es, sich hinter Gittern zu engagieren?

Ich versuche, in Gesprächen mit Mitgefangenen über ihre allzu oft sehr einseitige, verzerrte Sichtweise zu sprechen. Nicht unbedingt im Sinne eines Agitierens, denn das führt bloß zu Abwehr, sondern durch Hinterfragen ihrer jeweiligen Lebensanschauungen. Und ich versuche, auch ganz lebenspraktisch zu helfen, manchmal reicht da schon bloßes Zuhören. Viele von meinen Mitgefangenen tragen eine schwere Last mit sich herum, sind froh, wenn sie mal ganz offen reden können, ohne befürchten zu müssen, dass sich später davon etwas in ihren Akten finden wird. Oder ich helfe beim Formulieren von Eingaben, um die spärlichen Rechte, die die Gesellschaft uns Gefangenen gelassen hat, effektiver durchzusetzen.
Stoßen Sie dabei an Grenzen?
Mir werden relativ wenig Steine in den Weg gelegt. Aber das hängt auch von den jeweiligen Gegebenheiten ab. Als ich vor Jahren in der JVA Bruchsal mit Mitgefangenen Unterschriften gegen die miserable Beheizung der Zellen sammelte, kam ein leitender Beamter empört zu mir und unterstellte, diese Unterschriftensammlung sei schon fast ein Versuch der Meuterei. Das war ein Vorstoß, selbst so bürgerliche Aktionen wie eine Unterschriftensammlung in den Schein des Unrechts zu rücken.

Wie verfolgen Sie aktuelle politische Debatten?
Für mich sind Nachrichten wesentlich für mein Dasein. Das körperliche Abgeschnittensein von der Welt auf der anderen Seite der Mauer wird verschärft durch das Verbot, Smartphones zu nutzen. Auch das Internet ist eine »verbotene Zone«. Und so ist man auf Papiererzeugnisse beschränkt – aber die immerhin kann man sich zuschicken lassen. Tageszeitungen, auch das »nd«, sind wichtige Informationsquellen, auch für viele andere Verwahrte. Mit Sorge verfolge ich deshalb die Berichte um ein etwaiges Zeitungssterben. Wenn es in ein paar Jahren keine gedruckten Tageszeitungen mehr geben sollte, wird das bedeuten, dass sich Gefangene noch viel mehr als heute schon auf Nachrichtensendungen im Fernsehen beschränkten müssen. Dies würde nicht nur einen erheblichen Verlust im Meinungsspektrum bedeuten, sondern auch Gefangenen Informationsquellen nehmen, die den Marginalisierten Gesicht und Stimme verleihen.

Wir erleben in Europa eine gesellschaftliche Verschiebung nach rechts. Zeigt sich die auch im Knast?
Diese Verschiebung spiegelt sich in mindestens zwei Richtungen auch im Gefängnis. Zum einen gibt’s zunehmend rassistische Äußerungen seitens der Insassen gegenüber Migrant*innen. Zum anderen äußern sich auch immer wieder JVA-Beamte unverhohlen fremdenfeindlich und feindselig: Migrant*innen seien angeblich besonders unhöflich, ja sogar aggressiv im Haftalltag. Solche Erfahrungen scheinen dann das Weltbild der Gefängnisbeamten nachhaltig zu prägen. Mein Eindruck ist, mit den Jahren ist das schlimmer geworden.
Mit der Sicherungsverwahrung soll künftigen gefährlichen Straftaten vorgebeugt werden. Wenn sie gerichtlich angeordnet wird, gibt es also die Vermutung, dass der Verurteilte erneut straffällig wird. Auf welcher Grundlage fällen Richterinnen und Richter solche Entscheidungen?
Das Thema Kriminalprognose ist recht schillernd. Aufgrund von Statistiken wird erst mal ein sogenanntes Basisrisiko ermittelt. Das heißt, wie haben Menschen in vergleichbarer Situation mit vergleichbaren biografischen Merkmalen gehandelt? Wer zum Beispiel aus zerrütteten Familienverhältnissen stammt, der hat schon das erste Negativkriterium erfüllt. Die Gutachten werden in der Regel von Psychiater*innen im Auftrag des Gerichts erstellt. Diese sprechen dafür mit den Insassen und beziehen das Strafurteil und diverse Berichte, die die Anstalten fertigen, mit in ihre Überlegungen ein.
Den Gutachten schließen sich die Gerichte meist ohne viel Widerspruch an. Wie sollten sie es auch anders halten? Die psychiatrische Fachkompetenz liegt nun mal bei den Psychiater*innen. Dabei sind deren Prognosen, was wiederum diverse Untersuchungen belegen, nicht zuverlässiger als die Wetterprognosen! Nach menschlichem Ermessen ist eine zuverlässige Prognose über Wochen, Monate oder gar Jahre hinaus nicht möglich. Selbst bekannte Forensiker, wie Professor Norbert Nedopil aus München, räumen unumwunden ein, dass mindestens 60 bis 70 Prozent der als »gefährlich« diagnostizierten Verwahrten keine Straftaten begehen würden, kämen sie in Freiheit. Sein Fazit lautet: »Das ist gesellschaftlich so gewollt.«
Sicherungsverwahrung ist eine Besonderheit im deutschen Strafrecht.
Die Sicherungsverwahrung oder SV, wie wir sie hier abkürzen, ist eine Maßregel, die die Nazis 1933 eingeführt hatten, das wird gerne vergessen oder verschwiegen. Es war übrigens Kurt Tucholsky, der noch in der Weimarer Republik in einem großen Artikel in der »Weltbühne« mutig gegen eine Einführung der SV anschrieb. In den 1950ern verbot das oberste Gericht der DDR die SV. Die Begründung war damals, die SV stelle »nationalsozialistischen Ungeist« dar. Selbstverständlich hatten die BRD-Juristen solche Bedenken nie. Bis heute nicht!
Was passiert mit haftunfähigen Gefangenen, deren Haft aufgrund ihres Gesundheitszustands ausgesetzt werden müsste?
Kurz gesagt, man verwahrt sie hier. Ihnen wird gesagt, es sei doch auch für sie »besser«, hier zu bleiben, wo sich Mitgefangene und Beamte kümmern. Als ich 2013 hier ankam, begegnete ich einem von einem Schlaganfall schwer gezeichneten älteren Mann, der nur in Trippelschritten gehen konnte. Wenn er sprach, war er kaum zu verstehen, wegen einer Lähmung im Gesicht. Es dauerte Jahre, bis er freikam. Einem anderen Insassen wurde ein Bein vollständig amputiert. Nun sollte man meinen, damit sei er ungefährlich, weil bettlägerig. Weit gefehlt: Die Anstalt stellte extra Personal für ihn ein, damit er nachts hätte regelmäßig gewendet werden können. Er überlebte allerdings den Transport vom Gefängniskrankenhaus in die Haftanstalt nur um einen einzigen Tag.

Was macht es mit einem Menschen, wenn er weiß: Hier komme ich vermutlich nie raus, hier werde ich sterben?
Mittlerweile kommen nicht mehr, so wie früher, alte Männer in die SV, die dem Ende ihres Lebens näher sind als ihrer Jugend. Im Gegenteil. Heute treffen hier junge Männer mit Ende 20, Anfang 30 ein. Die meisten unterschätzen dabei die Gnadenlosigkeit, mit der die Sicherungsverwahrung vollstreckt wird. Nun ist allerdings die Hoffnung nicht totzukriegen. Viele hoffen, dass sie es sein werden, die eines Tages frei kommen, dass sie selbst also die Ausnahme sein werden. Dabei erleben sie hier in der JVA jedoch, wie immer mehr Menschen um sie herum vor allem aus Altersgründen sterben. Das drückt die Stimmung im Alltag sehr. Verzweiflung, Wut, Trauer und Schmerz über die ausweglos scheinende Situation sind tagtäglich spürbar und mitunter brechen sich die Gefühle auch Bahn. Leider meistens recht destruktiv: Insassen verletzen sich selbst oder andere. Sicherlich ist keiner der Insassen in der SV »unschuldig«, aber wir alle hier haben unsere Strafen bis zum letzten Tag abgesessen! Dennoch werden wir hier allein aufgrund der Spekulation, künftige Straftaten könnten nicht ausgeschlossen werden, verwahrt. Seit 2013 gibt es zwar vermehrt therapeutische Angebote, aber an der Perspektivlosigkeit hat sich im Kern nichts geändert.

Und wie ergeht es Ihnen?
Ob ich selbst jemals freigelassen werde, das weiß ich auch nicht. Statistisch sterben mehr Insassen in Sicherungsverwahrung als freikommen. Ich setze mich deshalb auch mit der Frage meines eigenen Lebens in Haft und etwaigem Sterben auseinander, aber eher in abstrakter, philosophischer Weise. Das hilft mir zu leben und zu überleben, denn die Perspektivlosigkeit nagt an der Seele, auch an der meinigen. Andererseits halte ich nichts davon zu jammern, denn das würde am Status quo nichts ändern, schon gar nichts verbessern. Mir selbst ist eine gewisse Gelassenheit wichtig, die alte stoische Philosophie sprach von »atharaxia«, dem ruhigen Dahinfließen des Lebensstroms. Das ist meine Art, mit der relativen Perspektivlosigkeit umzugehen.

Interview
Thomas Meyer-Falk, geboren 1971, schreibt seit 20 Jahren über menschliche, soziale und politische Begebenheiten im Gefängnis. Er versteht sich als Redskin, Teil einer linken Strömung innerhalb der Skinheads. Wegen eines Bankraubs mit Geiselnahme, bei dem Geld für linke Projekte organisiert werden sollte, wurde er 1997 verurteilt. Seit sechs Jahren sitzt er in einer Abteilung der JVA Freiburg für Sicherungsverwahrung. Im Verlag Dialog-Edition sind seine Kolumnen und Essays »Notizen aus der Sicherungsverwahrung« (108 S., 10 Euro) erschienen. Niels Seibert hat den Gefangenen schriftlich interviewt.

nd 13.4.19