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»Sie Gauner, Sie!«

Geschichte. Der Reichstagsbrandprozeß Ende 1933: Der Mitangeklagte bulgarische Kommunist Georgi Dimitroff bringt Hermann Göring aus der Fassung

Vom 21. September 1933 bis zum 23. Dezember 1933 fand vor dem für Hoch- und Landesverrat zuständigen 4. Strafsenat des Reichsgerichts in Leipzig der sogenannte Prozeß gegen die vermeintlichen Reichstagsbrandstifter statt. Angeklagt waren der Maurer und Invalide Marinus van der Lubbe aus Leiden (Niederlande), der Vorsitzende der kommunistischen Reichstagsfraktion, Ernst Torgler, und die bulgarischen Emigranten Georgi Dimitroff, Blagoj Popoff und Vasil Taneff. Dimitroff war Schriftsteller und führendes Mitglied der Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP). Er hatte bis Anfang 1933 das westeuropäische Büro des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI) in Berlin geleitet. Der Jurastudent Popoff gehörte, wie auch der Schuhmacher Taneff, dem ZK der BKP an.

Ihnen allen warf die Anklage die versuchte »gewaltsame« Änderung der »Verfassung des Deutschen Reiches« sowie vorsätzliche menschengefährdende Brandstiftung vor, »begangen in der Absicht, um unter Begünstigung derselben Aufruhr zu erregen«. Van der Lubbe wurde darüber hinaus dreier weiterer Brandstiftungshandlungen (am Wohlfahrtsamt in Berlin-Neukölln, am Berliner Rathaus und am Stadtschloß) angeklagt. Die drei Exilbulgaren waren bereits kurze Zeit nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 verhaftet worden. Motiviert von der für die Ermittlung von Mittätern ausgesetzten Belohnung von 20000 Reichsmark, hatte der Kellner Johann Helmer am 7. März 1933 Anzeige gegen einen Kreis von »verdächtigen Ausländern« erstattet. Unter ihnen will Helmer neben den drei Bulgaren auch van der Lubbe erkannt haben – eine offenkundige Falschbezichtigung, wie sich schon bald herausstellte.

Nach den von der Hitler-Regierung rückwirkend erlassenen Gesetzen stand auf die den Angeklagen vorgeworfenen Verbrechen – Brandstiftung und Hochverrat – (zwingend) die Todesstrafe. Die Angeklagten Popoff und Taneff sprachen wenig bzw. kein Deutsch und waren daher darauf angewiesen, von ihrem Wortführer Dimitroff mit verteidigt zu werden. Der hatte sich noch in der Haft mit der deutschen Strafgesetzgebung und Strafprozeßordnung vertraut gemacht. In einer Vielzahl von Anträgen bemühte er sich erfolglos um die Zulassung eines ausländischen Verteidigers seiner Wahl. Schließlich wurden die drei Bulgaren von Dr. Paul Teichert verteidigt, Rechtsanwalt am Landgericht Leipzig und langjähriges aktives »Stahlhelm«-Mitglied. Der beschränkte sich darauf, die Alibis seiner Mandanten zu festigen und so auf einen Freispruch hinzuarbeiten. Anders als Torgler, der sich von seinem Wahlverteidiger, dem Nazistaranwalt Dr. Alfons Sack, nicht politisch, sondern ausschließlich als privat Beschuldigter verteidigen ließ, nutzte Dimitroff den Gerichtssaal als Tribüne für seine politischen Anklagen gegen den »Nationalsozialismus«. Der rhetorisch versierte Bulgare bestand darauf, sich selbst verteidigen zu dürfen, arbeitete dabei allerdings mit seinem Offizialverteidiger zusammen. Das Resultat war überzeugend und provozierte das Gericht derart, daß es Dimitroff fünfmal für jeweils mehrere Tage von der Verhandlung ausschloß.

Schließlich tauschten in den Augen vieler Beobachter Ankläger und Angeklagter mit zunehmender Dauer der Verhandlung mehr und mehr die Rollen: Dimitroff wurde zum Kläger, die NS-Machthaber zu Angeklagten. Mit seinem unerwartet schlagfertigen und unerschrockenen Auftreten brachte Dimitroff Gericht, Oberreichsanwaltschaft und Politische Polizei in die Bredouille und stellte sie vor aller Öffentlichkeit bloß. So wies er zum Beispiel glaubhaft nach, daß ihm die im Auftrag Hermann Görings ermittelnden Kriminalisten gefälschte Beweismittel untergeschoben hatten. Das veranlaßte die Naziherrschaft bald, die ursprünglich umfassenden Rundfunkübertragungen des Prozesses stark zu reduzieren und schließlich ganz einzustellen. Auch die anfänglich umfangreiche Berichterstattung in der deutschen Presse wurde mehr und mehr reduziert.

Bereits vor Eröffnung des Prozesses hatten die Veröffentlichung des »Braunbuchs über Reichstagsbrand und Hitlerterror« (Braunbuch I) im August 1933 wie auch der Londoner Gegenprozeß – er endete am 20. September 1933 – dazu beigetragen, daß die öffentliche Meinung nicht auf Seiten der faschistischen Machthabern stand. Das Gericht sah sich daher gezwungen, schon am ersten Verhandlungstag den Kampf gegen das Braunbuch und dessen »Lügen« zu »entlarven« – wie das die gleichgeschaltete Presse nannte. Dabei schreckte das Gericht selbst vor der Verfälschung von Zitaten nicht zurück. Die Angst vor dem Braunbuch, das im Prozeß praktisch zu Dimitroffs Nebenkläger wurde, spiegelte sich auch darin wider, daß Dimitroff, der an Geistesgegenwart und rhetorischer Bildung Richtern wie Anklägern deutlich überlegen war, die Aushändigung des Buches zwecks Vorbereitung seiner Verteidigung trotz mehrfacher Bitten und Eingaben verweigert wurde. (Er soll allerdings trotzdem in dessen Besitz gelangt sein.)

Im Laufe der Verhandlung gelang es dem bulgarischen Kommunisten, das Gericht mit seinen provozierenden, ins Schwarze treffenden Fragen immer wieder in die Enge zu treiben und den Spieß umzudrehen, so daß sich der Vorsitzende Richter, Senatspräsident Dr. h.c. Wilhelm Bünger, oft nur dadurch zu helfen wußte, daß er Dimitroff zeitweise vom Verfahren ausschloß. Die NS-Führung sann daher auf Abhilfe. Ein Auftritt des »Führers« persönlich wurde erwogen, dann aber wieder verworfen. Denn ein inzwischen immer wahrscheinlicher werdender Freispruch »Torglers und der Bulgaren« hätte dann »eine Blamage des Reichskanzlers« dargestellt, wie Görings Pressechef Martin Sommerfeldt in einem Geheimbericht vom 6. Oktober 1933 ausführte, »während es sich sonst nur um eine Blamage der Oberreichsanwaltschaft handelt«. Hitler begnügte sich schließlich mit einem inszenierten Auftritt bei einer Rahmenveranstaltung, dem vom 29. September bis 2. Oktober 1933 in Leipzig stattfindenden Deutschen Juristentag, für den der Reichstagsbrandprozeß eigens unterbrochen wurde.

Dimitroff befragt Göring

An Hitlers Stelle trat Hermann Göring, mittlerweile preußischer Ministerpräsident, am 4. November 1933 als Zeuge der Anklage auf. Nachdem der zweitmächtigste Mann im Staat mit einer Stunde Verspätung zu seiner Vernehmung erschienen war, erhielt er Gelegenheit zu einem nahezu einstündigen Monolog, in dem er in gewohnter Manier gegen den Kommunismus polterte und den Kampf der NSDAP – und natürlich seiner Person – gegen den Kommunismus großspurig glorifizierte. Dimitroffs anschließende Frage, ob nicht die einseitige Untersuchung Spuren, die in eine andere Richtung als die der Kommunisten wiesen, verwischt habe, wies Göring mit theatralischer Empörung zurück. Schon im nächsten Moment jedoch bestätigte er: »Es war ein politisches Verbrechen, und im selben Augenblick war es für mich klar, und ist es heute ebenso klar, daß Ihre Partei die Verbrecher gewesen sind.« Und kurz darauf: »Herr Dimitroff, aber noch das zugegeben; wenn sie [die Untersuchung, A.B.] sich in dieser Richtung hat beeinflussen lassen, so hat sie nur in der richtigen Richtung gesucht.«

Im weiteren Verlauf des Disputs verlor Göring zusehends die Contenance. Von Dimitroffs Frage, ob dem Ministerpräsidenten bekannt sei, daß »diese Weltanschauung, diese bolschewistische Weltanschauung […] diese Sowjetunion, das größte und beste Land in der Welt« regiere, ließ sich Göring zu einem Wutausbruch provozieren. Brüllend wandte er sich an Dimitroff: »Hören Sie mal, jetzt will ich Ihnen sagen, was im deutschen Volke bekannt ist. Bekannt ist im deutschen Volke, daß Sie sich hier unverschämt benehmen und hierhergelaufen kommen, den Reichstag anstecken und dann hier mit dem deutschen Volke noch solche Frechheiten sich erlauben. Ich bin nicht hierhergekommen, um mich von Ihnen anklagen zu lassen. (Angekl. Dimitroff: ›Sie sind Zeuge!‹) Sie sind in meinen Augen ein Gauner, der längst an den Galgen gehört!« (»Bravo«-Rufe im Zuhörerraum), was Dimitroff mit der Bemerkung quittierte: »Sehr gut, ich bin sehr zufrieden.«

Anstatt nun allerdings den preußischen Ministerpräsidenten ob dessen Grobheiten und der offen geäußerten Morddrohung gegen den Angeklagten zurechtzuweisen, reagierte sich der willfährige und machtlose Senatspräsident Dr. Bünger am Angeklagten ab: »Dimitroff, ich habe Ihnen bereits gesagt, daß Sie keine kommunistische Propaganda – (Der Angeklagte Dimitroff versucht weiter zu sprechen). Wenn Sie jetzt noch ein Wort sprechen, werden Sie weiter hinausgetan –, daß Sie keine kommunistische Propaganda zu treiben haben. Das haben Sie jetzt zum zweiten Mal getan und können sich dann nicht wundern, wenn der Herr Zeuge derartig aufbraust wie eben. Ich untersage Ihnen das jetzt aufs strengste. Wenn Sie überhaupt Fragen zu stellen haben, dann rein sachliche Fragen.«

Als Dimitroff daraufhin ein weiteres Mal bemerkte: »Ich bin sehr zufrieden mit dieser Erklärung des Herrn Göring«, fühlte sich der Senatspräsident zu einem noch schärferen Vorgehen veranlaßt: »Ob Sie zufrieden sind oder nicht, das ist mir vollkommen gleichgültig. (Angekl. Dimitroff: ›Sehr zufrieden!‹)« Worauf dem zunehmend nervöser werdenden Senatspräsidenten der Kragen platzte: »Ich entziehe Ihnen jetzt das Wort nach diesen letzten Äußerungen.« Dimitroff insistierte: »Ich stelle Fragen.« Bünger: »Ich entziehe Ihnen das Wort. Setzen Sie sich hin!« Dimitroff: »Ich habe sachliche Fragen zu stellen.« Darauf nochmals Bünger: »Ich entziehe Ihnen das Wort.«

Geschickt durchkreuzte Dimitroff im weiteren Verlauf der Vernehmung das verzweifelte Bemühen des Präsidenten, einen erneuten Wutausbruch Görings zu verhindern. Maliziös wandte er sich an den wutschnaubenden Göring: »Haben Sie Angst wegen dieser Fragen, Herr Ministerpräsident?« Worauf sich dieser nun vollends vergaß: »Sie werden Angst haben, wenn ich Sie erwische, wenn Sie hier aus dem Gericht raus sind, Sie Gauner, Sie!« Selbst diese weitere unverhohlene Drohung veranlaßte Bünger nicht, ein Machtwort zu sprechen. Statt dessen bestrafte er den Angeklagten auf Görings Stichwort »aus dem Gericht raus« mit einer in der damaligen Prozeßordnung noch nicht vorgesehenen Maßnahme: »Dimitroff wird auf drei weitere Tage ausgeschlossen. Sofort hinaus mit ihm.«

Sowjetunion macht Druck

 

Welcher unbefangene Beobachter konnte bei diesen Szenen noch daran zweifeln, daß die Nerven der NS-Gewaltigen blanklagen, die Verhandlung eine Farce war? Der Prozeß entglitt der Führung zusehends. Unübersehbar war nun für die gesamte Weltöffentlichkeit auch die Unsicherheit des Gerichts, das bei seinem ständigen Lavieren zwischen dem Bemühen, den Erwartungen der Nazioberen zu genügen und gleichzeitig den Anschein eines Rests richterlicher Würde und Unabhängigkeit zu wahren, einen würdelosen und peinlichen Eiertanz vollführte.

Im Ausland wurde Görings Entgleisung allgemein als Bestätigung der Braunbuch-Thesen beurteilt, hatte die faschistische Führung hier doch ihr wahres Gesicht gezeigt. Eine Verurteilung der kommunistischen Angeklagten war indes nach diesem Auftritt Görings kaum mehr möglich. »Torgler und Dimitroff nach den Mordphantasien Görings am Galgen hängend – das wäre für die ganze Welt ein unauslöschliches Symbol für den Untergang des Rechts in Deutschland gewesen«, urteilte bereits der Autor einer 1934 in Prag erschienenen Schrift. Unbedachte Ausfälle des preußischen Ministerpräsidenten gegen die Zahlungsmoral der Sowjetunion verursachten darüber hinaus am Rande eine kleine diplomatische Krise, da man ausgerechnet zu Görings Auftritt vor dem Gericht erstmals zwei sowjetische Korrespondenten zugelassen hatte. Die Intervention der sowjetischen Botschaft in Berlin sowie insbesondere die Bedeutung der wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands zur UdSSR zwangen die Hitlerregierung, die Verleumdungen Görings unverzüglich dementieren zu lassen.

Am 23. Dezember 1933, nach 57 Verhandlungstagen, verkündete das Reichsgericht sein Urteil: »Die Angeklagten Torgler, Dimitroff, Popoff und Taneff werden freigesprochen. Der Angeklagte van der Lubbe wird wegen Hochverrats in Tateinheit mit aufrührerischer Brandstiftung und versuchter einfacher Brandstiftung zum Tode und dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt.«

Daß van der Lubbe den Brand im Reichstag nicht alleine gelegt haben konnte, stand für das Reichsgericht nach den »übereinstimmenden und überzeugend begründeten Gutachten« der Sachverständigen indes außer Zweifel. Zumindest bei der Brandlegung im Plenarsaal mußte van der Lubbe einen oder mehrere Helfer gehabt haben. Die Richter ließen auch keinen Zweifel daran, wo es diese Mittäter vermutete: in den Reihen der Kommunisten! Der während des gesamten Prozesses völlig sediert wirkende van der Lubbe wurde aufgrund des eilig beschlossenen und rückwirkend geltenden Gesetzes über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe vom 29. März 1933 (Lex van der Lubbe) zum Tode verurteilt. Er wurde bereits am 10. Januar 1934 auf dem Schafott hingerichtet.

Dagegen erwartete die freigesprochenen Bulgaren eine Odyssee. Trotz ihres Freispruchs wurden sie sofort nach Beendigung des Prozesses durch »Schutzhaftbefehl« im Auftrag des Reichsinnenministeriums weiter in der Haftanstalt Leipzig eingekerkert. Vermutlich auf Rat von Reichsaußenminister Konstantin von Neurath, der vor einer Lynchjustiz gegen Dimitroff gewarnt und sich für dessen beschleunigte Ausweisung eingesetzt hatte, ordnete Hitler an, die Bulgaren nicht der Gestapo zu übergeben, sondern weiter in Leipzig in Haft zu lassen. In der Folge gelang es jedoch Göring mit seiner Gestapo, die drei Bulgaren in seine Gewalt zu bringen. Am 2. Februar 1934 wurden sie in das Gestapo-Gefängnis nach Berlin überführt. Um die Weltöffentlichkeit zu beschwichtigen und Dimitroffs Befürchtungen zu zerstreuen, er und seine Gefährten sollten von der Gestapo gelyncht werden, ließ man zwei Interviews mit Dimitroff zu, in denen dieser auf die Gefahr aufmerksam machte und mit einem Hungerstreik drohte.

Am 15. Februar 1934 erkannte die Sowjetunion Dimitroff, Popoff und Taneff die sowjetische Staatsbürgerschaft zu und setzte sich auf diplomatischem Weg für ihre sofortige Freilassung ein. Um Schwierigkeiten zu vermeiden, drängte in der Folge insbesondere das Auswärtige Amt auf die Erfüllung der sowjetischen Forderungen. Von Neurath und sein Staatssekretär Bernhard von Bülow fühlten sich veranlaßt, erneut bei Hitler im Sinne einer Freilassung der drei Bulgaren zu intervenieren – mit Erfolg: Aufgrund der sowjetischen Forderung sowie des Drucks der Weltöffentlichkeit ordnete der »Führer« am 26. Februar 1934 die sofortige Ausweisung der Bulgaren an. Am 27. Februar 1934, also auf den Tag genau ein Jahr nach dem Reichstagsbrand, erreichten sie mit dem Flugzeug Moskau.

Gestapo-Chef wäscht sich rein

In seinen Memoiren »Luzifer ante Portas« aus dem Jahr 1949 berichtet der erste Gestapo-Chef Rudolf Diels, Organisator der Massenverhaftungen nach dem Reichstagsbrand, ausführlich über die Vorgeschichte der Abschiebung der drei Bulgaren nach Rußland. Diels stellt die Sache indes so dar, als habe er sich persönlich für den von seinem Chef Göring bedrohten Dimitroff eingesetzt. So will Diels einen von der SA im Auftrage Görings gefaßten Plan zur Ermordung des Kommunisten beim Transport von Leipzig nach Berlin in mutiger und riskanter Intervention verhindert haben. Indem es ihm gelungen sei, Dimitroffs weitere sichere Verwahrung zunächst im Leipziger Polizeigefängnis und dann im »kleinen Gefängnis des Staatspolizeiamtes« in Berlin zu erwirken, habe der Gestapo-Chef den Bulgaren dem Zugriff von Görings Schergen entzogen. Gegen die ihm dann Mitte Februar von Hitler persönlich angekündigte Abschiebung Dimitroffs nach Rußland habe er, Diels, opponiert und für eine Freilassung und Unterstellung des Gefangenen unter Polizeiaufsicht plädiert. Den über den Abschiebungsentscheid Hitlers empörten Göring will Diels dadurch beruhigt haben, daß er Dimitroff das Versprechen abgenommen habe, vom Ausland aus nicht gegen Göring und Deutschland zu hetzen.

Akten belegen das Gegenteil

Die zeitgenössischen Archivakten lassen die angeblichen Bemühungen Diels’ um Dimitroffs Wohl freilich in ganz anderem Licht erscheinen. Danach setzte sich jener ganz im Sinne und auf Weisung des schwerbeleidigten und auf Rache sinnenden Göring bereits vor dem Leipziger Urteil für eine »unverzügliche Rücksistierung« der freigesprochenen Angeklagten an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin ein. Mitte Dezember 1933 korrespondierte Diels’ Mitarbeiter Kriminalrat Heller im gleichen Sinne mit dem Sicherheitsdienst (SD) des Reichsführers SS. Auch in der Folge setzte sich der Gestapo-Chef konsequent und wiederholt ganz im Sinne Görings und in dessen direktem Auftrag für eine weitere »Schutzhaft« des Bulgaren ein und damit gegen gegen die durch außenpolitische Rücksichten bestimmte Bereitschaft aller übrigen beteiligten Ministerien, insbesondere des Auswärtigen Amtes, und schließlich auch Hitlers zur Freilassung Dimitroffs und dessen Abschiebung in die Sowjetunion.

Auf einer interministeriellen Sitzung im Innenministerium am 4. Januar 1934 hat Diels laut der Notiz seines Mitarbeiters eindringlich und ausführlich die Gefährlichkeit des »politischen Verbrechers« Dimitroff geschildert. Der habe vom Ausland aus dank seiner genauesten Kenntnisse der deutschen innenpolitischen Verhältnisse und seiner Einblicke in das deutsche Strafrecht und den deutschen Strafprozeß schwerwiegende antideutsche Kampagnen entfachen können und werde das weiter tun. Im Auftrag Görings habe Diels weiter erklärt: »Man könnte die weitere Behandlung Dimitroffs geradezu eine ›Stilfrage‹ für den Nationalsozialismus nennen. Die Absicht der maßgebenden preußischen Kreise [d.h. Görings, A.B.] ginge dahin, Dimitroff in ein Konzentrationslager zu bringen und ihn dort genauso zu behandeln wie die anderen maßgeblichen kommunistischen Funktionäre Thälmann, Schneller usw. […].«

Eine andere Aufzeichnung über die o.g. Besprechung hält Diels’ Intervention ebenfalls fest: »Diels übermittelte das dringende Ersuchen des Herrn Preußischen Ministerpräsidenten, Dimitroff unter allen Umständen in Gewahrsam zu behalten und nicht auszuweisen, da er andernfalls eine außerordentlich schädliche Propagandatätigkeit ungehindert ausüben würde. An Popoff und Taneff erklärte er sich für uninteressiert.«

Bereits am folgenden Tag wandte sich Diels an den Stabschef der SA, Reichsminister Ernst Röhm, und an den SS-Reichsführer Heinrich Himmler. Darin nahm er Bezug auf die Besprechung im Reichsinnenministerium vom Vortag, wobei er betonte: »Ich allein habe mich gegen eine Ausweisung und für die Verbringung Dimi­troffs in ein Konzentrationslager ausgesprochen«. Diels’ Schreiben schließt mit der Bitte: »Da die Erörterung im Reichskabinett bevorsteht, wäre ich dankbar, wenn Sie sich ebenfalls in diesem Sinne einsetzen, wodurch Sie zugleich einem besonderen Wunsche des Herrn Ministerpräsidenten entsprechen würden.« Diese Bitte beantwortete Himmler persönlich am 15. Januar 1933 seinem »lieben Kameraden Diels« mit der Versicherung: »Es ist selbstverständlich, daß ich mich in der Angelegenheit ›Dimitroff‹ in dem Sinne einsetze, wie es Ministerpräsident Göring und Sie taten.«

In weiteren Schriftsätzen vom Januar und Februar 1934 bekräftigte Diels diese Haltung. Noch am 26. Februar 1934 forderte er in einem von Göring unterzeichneten Schreiben an das Auswärtige Amt und die Reichskanzlei, daß Dimitroff wegen seiner außerordentlichen Gefährlichkeit und der von ihm im Falle seiner Freilassung zu erwartenden »ungeheuerlichen Hetze gegen das nationalsozialistische Deutschland« nicht freizulassen sei. Göring und Diels haben sich also bis zum letzten Moment dafür eingesetzt, Dimitroff ins KZ zu bringen. Von diesen Bemühungen erfuhr Hitler. Um außenpolitische Schwierigkeiten zu vermeiden, hatte sich der Reichskanzler aber auf Anraten von Reichsinnenminister Wilhelm Frick, vor allem aber unter dem Druck der Weltöffentlichkeit und nicht zuletzt aufgrund zweier russischer Verbalnoten vom 15. und 21. Februar 1934 bereits für die Freilassung der Bulgaren entschieden.

Diels’ dokumentarisch belegter Einsatz für eine Verschleppung Dimitroffs in ein deutsches Konzentrationslager desavouiert nicht nur dessen Nachkriegsdarstellung als billigen Reinwaschungsversuch. Das Tauziehen innerhalb der NS-Führung um die Freilassung der Bulgaren widerlegt auch die u.a. von dem US-amerikanischen Historiker Stephen Koch 1994 geäußerte Vermutung, die Abschiebung Dimitroffs in die Sowjetunion sei bereits vor Prozeßbeginn zwischen Hitler und Stalin vereinbart worden – und Dimitroff habe von dieser Absprache gewußt.