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»Staat versucht seit geraumer Zeit, uns zu kriminalisieren«

Am Freitag stürmte SEK-Einheit eine Wohnung linker Aktivisten in Duisburg – wegen Spuren von Holzkohle. Gespräch mit Sofie Kneip
Interview: Kevin Hoffmann junge welt 14.12.16
Sofie Kneip ist Aktivistin der sozialistischen Jugendorganisation Young Struggle aus Duisburg (Name geändert)

Am Freitag morgen um 5.54 Uhr wurde Ihre Wohnung von einem Sondereinsatzkommando gestürmt und von Sprengstoffexperten durchsucht. Was ist genau vorgefallen?

Es gab auf einmal einen sehr lauten Knall, und kurz danach sahen wir maskierte Männer mit Taschenlampen und Pistolen, die »Alle auf den Boden!« schrien. Sie hielten uns die Pistolen an die Köpfe und nahmen Peter sofort fest. Mit Handschellen gefesselt lag er auf dem Bauch und wurde mehrere Male gegen den Kopf geschlagen und durch den Raum geschleift, obwohl er sich nicht wehrte. Ein Durchsuchungsbeschluss wurde uns erst nach 15 Minuten gezeigt. Ein Anruf auf dem Handy unseres Anwalts wurde uns verwehrt, da wir die Nummer nicht auswendig kannten. Statt dessen rief die Polizei die Anwaltskanzlei an, in der natürlich um 6.30 Uhr morgens niemand zu erreichen war. Kurz danach begannen Beamte des Staatsschutzes, die Wohnung zu durchsuchen, wobei einiger Schaden entstand. Peter wurde als Hauptbeschuldigter um ca. 7.45 Uhr abgeführt und aufs Präsidium gebracht, auch dort war er Polizeigewalt ausgesetzt. Stunden später wurde er entlassen. Nachdem die erste Durchsuchung abgeschlossen war, kam ein Bombenentschärfungskommando, weswegen unsere Wohnung geräumt, das ganze Haus evakuiert wurde. Bis kurz vor 10 Uhr waren Staatsschutz und Bombenentschärfungskommando alleine in der Wohnung, ohne dass jemand Einsicht hatte, was dort gemacht wurde.

Was wird Ihnen vorgeworfen?

Der Vorwurf im Durchsuchungsbeschluss lautet wörtlich auf »Verdacht des versuchten Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion u. a.«. Gesuchte Beweismittel seien chemische Substanzen, technische/elektronische Bauteile zur Herstellung von Rohrbomben, Dokumente und Lichtbilder, die Hinweise auf Anschlagsplanungen beinhalten, Mobiltelefone, elektronische Speichermedien wie PC, USB-Sticks und Speicherkarten. Laut dem Beschluss wurden wir seit Monaten überwacht. Ausschlaggebend für die Durchsuchung sollen Spuren von Holzkohle an einer vor mehr als zwei Monaten entsorgten Plastiktüte sein. Man könne Holzkohle zum Herstellen von Sprengstoff benutzen, heißt es in dem Beschluss.

In einer Erklärung der Jugendorganisation »Young Struggle« wird von massiven Rechtsverletzungen und Polizeigewalt während des Einsatzes gesprochen. Können Sie das bitte erläutern?

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Wir hatten nicht die Möglichkeit, die Durchsuchung komplett zu verfolgen, da Peter im Wohnzimmer und ich im Schlafzimmer festgehalten wurde. Auch ein unabhängiger Zeuge durfte nicht benachrichtigt werden. Der Flur, die Küche, das Badezimmer sowie der Keller wurden ohne unsere Anwesenheit durchsucht, obwohl wir mehrmals darauf bestanden haben, dass jeder Raum einzeln und in unserem Beisein gefilzt wird. Des weiteren wurde auch der Keller unserer Nachbarin komplett durchsucht.

Laut Presseerklärung der Polizei wurden die gesuchten Beweismittel, also Sprengstoff oder Chemikalien, um solchen herzustellen, nicht gefunden. Wurden dennoch Sachen beschlagnahmt?

Sie beschlagnahmten willkürlich Handys, Laptops, Pfeffersprays, eine Geldkassette, ein Tischfeuerwerk, USB-Sticks, ein Notizbuch und zahlreiche weitere Gegenstände.

Haben Sie mit solch einer Repression gerechnet?

In der letzten Zeit gab es viele Repressionen gegen uns und Genossinnen und Genossen in unserem Umfeld – von Anquatschversuchen bis zu Hausbesuchen. Als ich mich vergangenes Jahr den ICOR-Brigaden anschließen wollte, um in Kobani ein Gesundheitszentrum zu bauen, wurde mir, wegen »Terrorgefahr«, die Ausreise verwehrt. In allen diesen Fällen war der Staatsschutz Duisburg federführend.

Der Staat versucht seit geraumer Zeit, unsere politischen Aktivitäten zu kriminalisieren und uns einzuschüchtern. Hausdurchsuchungen, Anzeigen, Observationen und solche großangelegten Razzien dienen nur als Vorwand, um uns zu isolieren, einzuschüchtern und politische Aktivitäten zu diffamieren. Trotz dieser Einschüchterung haben wir noch am Tag der Durchsuchung praktische Solidarität von Nachbarn und Genossen erfahren.