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»Taksim ist überall«

An der Seite der Protestbewegung: Die Fans des Fußballclubs Besiktas Istanbul sind der Regierung zu kritisch

Von wegen Fußball ist »Opium fürs Volk«. Ein Blick nach Istanbul zeigt, Fußballfans können sich politisieren. Die türkische Regierung von Recep Tayyip Erdogan hat ihnen jetzt einen Maulkorb verpaßt.

Seit den Auseinandersetzungen um den Gezi-Park am Taksim-Platz in Istanbul, die sich innerhalb kürzester Zeit zu einem Aufstand im ganzen Land ausgeweitet hatten, schlägt die Regierung um sich. Seit Juni gab es etliche Verhaftungswellen, Hunderte politisch Engagierte sind in Gefängnissen verschwunden. Allein, das geht der regierenden AKP nicht weit genug. Mittlerweile wurden die Zuständigkeiten in Sachen Sicherheit an Hochschulen neu geregelt. Wurden die ohnehin in ihrer Handlungsfreiheit total eingeschränkten, auf Schritt und Tritt von Überwachungskameras beobachteten Studenten bisher von privaten Security-Firmen »beschützt«, soll diese Aufgabe fortan die Polizei übernehmen. Die wird an türkischen Universitäten nun allgegenwärtig sein. Die Maßnahme wurde – man mag es kaum glauben – mit der eskalierenden »Gewalt in Fußballstadien« begründet.

Tatsächlich richtet die türkische Regierung inzwischen einen besonderen Fokus auf den Sport. Sie sieht sich von den »oppositionellen« Fußballfans bedroht. Getroffen hat das z.B. »Carsi«, den Fanclub von Besiktas Istanbul. Der hatte sich vom ersten Tag an auf seiten der Gezi-Demonstranten positioniert und diese gegen die brutale Polizeigewalt verteidigt. Dafür wurde »Carsi« jetzt zu einer »terroristischen Organisation« erklärt. 22 Mitglieder des Fanclubs sitzen im Knast.

Auf »Carsi« wird das nicht beschränkt bleiben. Die Regierung möchte »alle« Fußballfans mäßigen und vom »Terrorismus« abhalten. Parolen wie »Überall ist Taksim, überall ist Widerstand« gelten einer neuen gesetzlichen Regelung zufolge als »illegal«, werden sie im Stadion gerufen.

Anfang August erklärte der türkische Innenminister Muammer Güler: »Wir bekommen ständig Informationen darüber, daß es überall in der Türkei Bemühungen gibt, die Aktionen, die mit Gezi begannen, anzukurbeln und die gesellschaftliche Stimmung weiter anzuheizen.« Einige würden es »natürlich auch ausnutzen«, daß die Universitäten ihren Betrieb wieder aufnehmen bzw. das neue Schuljahr beginnt – und nicht zu vergessen, »daß auch bald die Sportwettkämpfe anfangen«. Güler: »Das ist für ›die‹ ein idealer Nährboden.« Seine Drohung: Dagegen werde man »Sicherheitsvorkehrungen« treffen. Es stehe außer Frage, daß »illegale Kundgebungen« und »schlimme Parolen« unterbunden werden müssen – als handle es sich dabei um gefährliche Pyrotechnik. Um jeglicher Kritik entgegenzutreten, kam Güler mit der schon zum Standardrepertoire gehörenden Aussage, daß dies »im Ausland ohnehin zur Norm gehört«.

Auf Nachfragen eines Journalisten detaillierte Muammer Güler, was man unter schlimmen Parolen zu verstehen hat: »Alle Parolen, die mit dem Sport nichts zu tun haben. Darunter zählen auch politische und ideologische.«

Wie aber will die Erdogan-Regierung das kontrollieren? Ganz einfach: Sie hat die Fußballvereine dazu verpflichtet. Wer z.B. eine Dauerkarte für die neue Saison kaufen möchte, muß vorher unterschreiben, sich nicht »ideologisch oder politisch« zu verhalten. Bleibt abzuwarten, welche Lebensbereiche in der Türkei demnächst eingeschränkt werden. Denn wie heißt es so schön: »Her yer Taksim, her yer direnis – überall ist Taksim, überall ist Widerstand.«

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