Seit Monaten sitzt der G-20-Gegner Peike S. in Hamburg in Haft – trotz äußerst dürftiger Beweislage. Ein Gespräch mit Alexander Kienzle
Politisch motivierte Verfahren: Die Verfolgung von G-20-Gegnern – hier eine Szene der Proteste in Hamburg am 7. Juli 2017 – dauert bis heute an
Alexander Kienzle ist Anwalt für Strafrecht und war Mitglied im Anwaltlichen Notdienst beim G-20-Gipfel Anfang 2017 Juli in Hamburg
Ihr Mandant Peike S. aus den Niederlanden sitzt seit dem G-20-Gipfel Anfang Juli 2017 in Haft. Ende August verurteilte ihn Amtsrichter Johann Krieten zu 31 Monaten Haft wegen zweier Flaschenwürfe auf Polizisten, die diese nicht körperlich verletzten – ein bundesweit als zu hart kritisiertes Urteil. Vorab die Frage: Wie geht es Ihrem Mandanten?
Die lange Zeit der Haft und die Trennung von Familie und Freunden sind nicht leicht. Der Mandant hat aber einen Umgang damit entwickelt, bildet sich politisch fort, nimmt aktiv seine Verteidigung wahr und freut sich über die breite Solidarität, die ihm von seiner Familie und seinen Unterstützern zukommt.
Seit Anfang Februar läuft das Berufungsverfahren vor dem Landgericht Hamburg. Wie ist der Stand?
Wir haben die angeblichen Tatzeugen, zwei Berliner Polizeibeamte, vernommen und eine Beamtin aus der Gefangenensammelstelle. Danach ist klar, dass bereits unmittelbar nach der Festnahme – vor jeder Ermittlung – von der Polizei entschieden worden war, einen langfristigen Freiheitsentzug anzustreben. Erst nach dieser Entscheidung wurden die Angaben eines der Beamten förmlich aufgenommen, worauf auch Haftbefehl erlassen wurde.
Vor der Befragung des zweiten Beamten schrieb die Sonderkommission bzw. Soko »Schwarzer Block« eine E-Mail an beide Zeugen, in der sie noch einmal über den belastenden Sachverhalt informierte. Von objektiven Ermittlungen kann daher nicht die Rede sein. Es wurde erst das Ziel definiert – eine Inhaftierung und ein Tatnachweis – und dann das Ermittlungsverfahren von Anfang an zielgerichtet geführt. Trotz allem schildern die beiden Zeugen sich teilweise gegenseitig ausschließende Sachverhalte.
Die Identifizierung von Peike S. als dem Werfer der beiden Flaschen steht auf wackligen Füßen. Worauf beruht sie?
Beide Zeugen wollen Schuhe wiedererkannt haben und teilten im Ermittlungsverfahren mit, dass sie eine Person mit »Rastahaaren« identifiziert, mehrfach wiedererkannt, verfolgt und dann auch festgenommen hätten. Das für sich genommen wäre schon keine Identifizierung, auf die eine Verurteilung gestützt werden könnte, aber dazu kommt, dass der Mandant gar keine »Rastahaare« hat, sondern lange, glatte Haare. Die Beamten ruderten jetzt zurück und behaupteten, es seien nicht »Rastahaare« gemeint, wenn sie »Rastahaare« sagen, sondern einfach »ungepflegte« Haare. Das Gericht misst diesem »Rettungsversuch« bislang nicht die Bedeutung bei, die er aus unserer Sicht haben müsste: Eine Identifizierung im strafprozessualen Sinne liegt einfach nicht vor.
Zuletzt hat die Verteidigung beantragt, Videoaufnahmen heranzuziehen, um genauere Aufschlüsse zu erhalten. Staatsanwaltschaft und Kammer versuchen das zu verhindern?
Ja. Zuletzt gab es in einem G-20-Verfahren einen Freispruch, weil das Gericht Videos angefordert hatte. Die Polizei hatte behauptet, dass auf dem Video keine Tathandlungen des Beschuldigten zu sehen seien. Diese Behauptung war richtig. Was sie aber verschwieg, war, dass auf den Videos gar kein strafbares Verhalten zu sehen war, die Angaben der Polizeibeamten waren damit widerlegt. In der Akte zu unserem Verfahren findet sich eine ganz ähnliche Behauptung der Ermittler. Statt die Videos zur Akte zu bringen, hält das Gericht das trotzdem nicht für erforderlich, so dass die Videos zur angeblichen Tatzeit nach wie vor fehlen. Wir halten das für einen Bruch mit der gerichtlichen Aufklärungspflicht.
Haben Sie den Eindruck, dass die politische Bedeutung des Verfahrens die Objektivität der Kammer beeinträchtigt?
Natürlich sind der öffentliche und politische Druck groß. Die Staatsanwaltschaft kann kaum endgültige »Erfolge« der Repression gegen G-20-Gegner aufweisen. Um so größer ist der Druck, dieses Urteil durch die Berufungsinstanz zu »retten«. Ob das Gericht unter politischem Druck steht, werden wir erst mit dem Urteil erfahren. Klar ist, dass aus unserer Sicht die von Anfang an dem Ziel der Inhaftierung und Belastung des Mandanten untergeordnete Arbeit der Polizei zu kritiklos hingenommen wird, was derzeit im Ergebnis auf eine zu Lasten des Mandanten unzureichende Aufklärung des wahren Geschehens hinausläuft. Das werden wir nicht hinnehmen, unabhängig von der Frage, ob politische oder andere Motive dahinterstehen.
Wann ist mit einem Urteil zu rechnen, und ist zumindest eine Strafminderung absehbar?
Ein Urteil ist noch nicht absehbar, weil wir mitten in der Beweisaufnahme stehen. Unser Ziel ist ein Freispruch des Mandanten. Wir werden nicht dabei stehenbleiben, eine geringere Strafe zu fordern.
Interview: Kristian Stemmler, junge Welt 17.5.18