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»VERFOLGUNGSERMÄCHTIGUNG« »Sie wurden plötzlich des Terrorismus bezichtigt«

Verfahren nach »Ermächtigung«: Paragraph 129 b StGB ermöglicht politische Steuerung der Justiz. Ein Gespräch mit Stephan Kuhn

Stephan Kuhn ist Rechtsanwalt in Frankfurt am Main

Donnerstag 14. März, 19 Uhr, Volkshaus, Werrastraße 29, Frankfurt am Main: Azadi, Atif, Rote Hilfe und Stephan Kuhn berichten über Haftbedingungen und die laufenden Prozesse

Politische Gefangene gibt es auch in der Bundesrepublik. Häufig handelt es sich um Mitglieder von Parteien und Organisationen des Auslands.

Wieviele kurdische politische Gefangene gibt es aktuell?

Nach meiner Kenntnis sind mindestens acht linke kurdische Aktivistinnen und Aktivisten im Gefängnis: Von den zehn seit 2016 vor dem Oberlandesgericht in München Angeklagten der Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten, kurz: TKP/ML, sind aktuell noch drei inhaftiert. Das Verfahren dauert an. Weitere fünf gibt es im Zusammenhang mit einer Mitgliedschaft der DHKP-C, einer marxistisch-leninistischen Organisation.

Die Verfahren finden nach Paragraph 129 b des Strafgesetzbuchs statt, wegen »Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation«, mit einer sogenannten »Verfolgungsermächtigung« des deutschen Justizministeriums. Ihr Mandant Müslüm Elma geht davon aus, dass die Initiative nicht aus der Türkei kommt. Wie sehen Sie das?

Es gibt verschiedene Motivationen zur Strafverfolgung der kurdischen Linken in Deutschland, eine davon kann die genannte sein. Die deutsche Justiz verfolgt sie kontinuierlich seit Ende der 1980er Jahre. Deutschland hat so ein außenpolitisches Pfund, mit dem es gegenüber der Türkei wuchern kann. Seit etwa zwei Jahren häufen sich Äußerungen, mit denen hochrangige Regierungsvertreter aus Erdogans Partei, der AKP, Druck auf deutsche Strafverfahren ausüben und über die aus ihrer Sicht zu lasche deutsche Justiz schimpfen. Möglicherweise sind die Verfahren zur politischen Verhandlungsmasse geworden.

Wie ist es historisch zur »Verfolgungsermächtigung« nach 129 b gekommen?

Bereits vor den Attentaten in New York am 11. September 2001 lagen Gesetzentwürfe vor, die eine europaweite bzw. internationale Kriminalisierung von Terrorismusverdächtigen per Gesetz beabsichtigten. Sie wurden dann aus der Schublade gezogen. Damals gab es die Debatte, dass zwischen Befreiungsorganisationen und tatsächlich strafwürdigen Vereinigungen unterschieden werden müsse. Aus dieser Erwägung heraus kam es zur Regelung, dass die deutsche Regierung eine »Verfolgungsermächtigung« erlassen müsse. Somit gibt es mit der Anwendung des Paragraphen 129 b kein rein justizförmiges Gerichtsverfahren mehr, sondern die Bundesregierung – also die Exekutive – kann politisch steuern.

Welche Konsequenzen hat das?

Es ist ein Eingriff in die Gewaltenteilung der Bundesrepublik. Der Paragraph 129 b ist aus Sicht seiner Verfechter eine Erfolgsgeschichte; aus meiner Sicht bringt er politische Willkür mit sich.

Wie kommt es, dass die Entscheidungsfindung, wenn das Justizministerium eine Verfolgungsermächtigung erlässt, im geheimen erfolgt – ohne dass die Öffentlichkeit es hinterfragt?

Das ist in der Tat ein Problem. Die linken Aktivisten zum Beispiel, die jetzt der Mitgliedschaft in der TKP/ML bezichtigt werden, haben jahrelang in Deutschland politische Aktionen und Versammlungen bei den Behörden offiziell angemeldet. Bei ihnen war Vertrauen gewachsen, sich hierzulande legal politisch betätigen zu können. Dann plötzlich wurden sie festgenommen und des Terrorismus bezichtigt, ohne dass sich an ihrem Verhalten irgendetwas geändert hätte. Teilweise waren die Verfolgungsermächtigungen schon lange verfügt; nur die Betroffenen hatten nichts davon erfahren, dass sie angeblich eine große Gefahr darstellen – was ja auch konstruiert war. Zusätzlich wurden sie erschwerten Haftbedingungen unterworfen und isoliert; selbst Besuche von Anwälten konnten nur hinter einer Trennscheibe stattfinden.

Müsste da nicht aus antifaschistischen Kreisen ein Aufschrei kommen?

Nicht nur von dort – meiner Auffassung nach müssten auch Richter sich verwehren, aus der Politik Vorgaben zu erhalten, wen sie zur Verurteilung vorgeführt bekommen. Rechtsstaatlich ist das ein Skandal.
https://www.jungewelt.de/artikel/350885.verfolgungsermächtigung-sie-wurden-plötzlich-des-terrorismus-bezichtigt.html