Am 18. Juni kam es beim Oberlandesgericht Düsseldorf zur Verlesung der Anklageschrift gegen Latife Adigüzel, die Vorsitzende der Anatolischen Föderation Wuppertal. Es zeigte sich gleich zu Beginn, daß die Staatsanwaltschaft das Ziel verfolgt, ganz allgemein antifaschistische und antirassistische politische Aktivitäten zu kriminalisieren.
Die Anklageschrift stellt ausführlich die türkische Organisation DHKP vor, deren Ziel es sei, den Kapitalismus in der Türkei zu beseitigen. Der einzig mögliche Weg hierzu sei der bewaffnete Kampf, da das türkische Regime faschistisch sei. Die Partei habe für diesen Kampf einen bewaffneten Arm, die DHKP-?C. Eine lange Liste bewaffneter Aktionen wird verlesen, ohne daß deutlich wird, daß selbige sich ausschließlich gegen Mitglieder der türkischen Repressionsorgane richten oder Einrichtungen von NATO oder des US-Imperialismus.
Gleichzeitig betreibe die Partei legale Arbeit. Europa werde als Rückzugsgebiet genutzt, zur Rekrutierung von neuen Mitgliedern und zur Beschaffung von Geldern. Zur Durchführung dieser Ziele benutze man legale Tarnorganisationen. Die Anatolische Föderation sei eine solche. Latife sei Funktionärin der DHKP und ihre gesamte politische Arbeit im Rahmen der Anatolischen Föderation darum nur „Tarnung“ und in Wirklichkeit als „Terrorunterstützung“ zu werten.
Ihr wird Verstoß gegen §129b vorgeworfen. §129b kriminalisiert die „Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung“. Was eine terroristische Vereinigung ist, definiert die US-?Regierung und in ihrem Schlepptau die Bundesregierung. Wer auf die entsprechende schwarze Liste kommt hängt von den — wechselnden — konkreten Interessen des Imperialismus ab. So wurden die Taliban, solange sie gegen die Russen kämpften, als „Freiheitskämpfer“ mit Waffen aufgepumpt, dann aber zu Terroristen, als die Freiheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt wurde.
Auch bei den aktuell Kinder kreuzigenden Takfiris des „Islamischen Staat“ in Syrien handelt es sich um Freiheitskämpfer, während die syrische Armee „ihr eigenes Volk mit Chemiewaffen bekämpft“. Die PKK war immer schon eine terroristische Organisation und Hamas und Hisbollah sowieso. Ganz aktuell handelt es sich beim „rechten Sektor“ in Kiew um „friedliche Demonstranten“ für mehr Demokratie, wohingegen neben jedem Wahllokal im Donbas ein Russe mit AK47 stand um die Wähler zu terrorisieren. Kein Konstrukt ist absurd genug um es nicht in den gleichgeschalteten Medien zu propagieren, die Dreistigkeit der Lügen ist grenzenlos.
Im Kern geht es um den Charakter des Nato-?Bündnispartners Türkei. Es geht allein darum, die Türkei als demokratischen Musterstaat auszuweisen, jeden Widerstand gegen den faschistischen Staatsapparat als „terroristisch“ zu kriminalisieren. Mit aller Gewalt soll mit den Mitteln des Strafrechts durchgesetzt werden, daß die Türkei ein demokratischer Rechtsstaat ist und nicht ein Polizeistaat, welcher ausländische terroristische Organisationen massiv unterstützt.
Angeklagt sind im Prozeß alle Demokraten, die im Namen von Freiheit, Demokratie und Sozialismus für den Sturz des faschistischen türkischen Regimes kämpfen.
Konsequent wird Latife nicht vorgeworfen Bomben gelegt zu haben oder Mordanschläge geplant und ausgeführt zu haben, was man mit dem Begriff Terror ja eigentlich in Verbindung bringen würde.
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Es bedarf für die Staatsanwaltschaft im Prozeß gegen Genossin Latife keinerlei Beweises überhaupt für eine Straftat. Ihre antifaschistischen und antirassistischen politischen Aktivitäten selbst sind für sie ausreichender Beweis — da sie angeblich nur zur Tarnung für ihr eigentliches Ziel betrieben würden.
In der Anklageschrift wird dieser zentrale Vorwurf der Mitgliedschaft in der DHKP und die Behauptung, die Anatolische Föderation sei nur eine Art Marionette der Partei um nichtsahnende gutwillige Menschen einzufangen und für terroristische Zwecke zu missbrauchen, mit keinem Wort belegt.
Statt dessen werden ihre antifaschistischen und antirassistischen Aktivitäten im Rahmen der Anatolischen Föderation detailliert beschrieben.
So habe sie Reden auf Versammlungen gehalten, Schulungen durchgeführt, Veranstaltungen gegen Rassismus und gegen den Terror der NSU organisiert, Demos gegen Faschisten und gegen Repression gegen Migranten angemeldet. Insbesondere habe sie an Soliaktionen für politische Gefangene teilgenommen, habe sogar an der Hauptverhandlung eines 129b-?Prozesses teilgenommen und anschließend an einer spontanen Demo „in roten Jacken und mit Transparenten“ teilgenommen. Ferner habe sie in 2011 in Izmir am Symposium gegen Isolation teilgenommen und dort eine Rede zum Thema §129b gehalten. Im ersten Prozeß beim OLG Düsseldorf gegen Faruk Ereren, der inzwischen nach 7 Jahren U-?Haft im zweiten Prozeß freigesprochen wurde, sei sie wegen „Störung“ festgenommen worden. Vor der Zentrale des Verfassungsschutzes in Köln habe sie eine Kundgebung organisiert unter dem Motto „Vereinigen wir uns gegen den Faschismus“. Weiter habe sie ein Jugendcamp organisiert, an dem auch ihre Tochter teilgenommen habe und die Teilnehmer „indoktriniert“. Dann wird eine lange Liste von Demos verlesen, an denen Latife teilgenommen habe, ohne weitere Angaben zu Thema und Ziel der Demos. Die Teilnahme man Demos überhaupt sieht die Staatsanwaltschaft als Beweis für „Unterstützung einer ausländischen terroristischen Organisation“.
Weiter wird Latife vorgeworfen, sie habe Eintrittskarten für das Konzert von Grup Yorum verkauft und dabei 6410 € eingenommen. Diese Musikgruppe ist nach Ansicht der Staatsanwaltschaft auch eine Tarnorganisation der Terroristen und somit stellt der Verkauf von Eintrittskarten einer absolut legalen Musikveranstaltung, an der über 10.000 Menschen teilnahmen, angeblich eine Geldbeschaffung für den bewaffneten Kampf in der Türkei dar. Tatsächlich endete das Konzert mit einem hohen Verlust für die Veranstalter und das Geld für die Eintrittskarten floß keineswegs in die Türkei oder zur DHKP, vielmehr allein zu den Organisatoren des Konzertes.
Latife habe zudem Geld gesammelt, um die politischen Gefangenen mit Vitamin B1 zu versorgen.
Schließlich habe sie im Rahmen eines Bildungswerkes Veranstaltungen falsch abgerechnet; auf den Teilnehmerlisten fände sich ein bereits verstorbener und teilweise hätten Veranstaltungen gar nicht stattgefunden. Auch auf diese Weise habe Latife Geld für den „Terror“ in der Türkei beschafft.
In einer ersten Stellungnahme hob Latifes Verteidiger, RA Meister, hervor, daß in der Anklageschrift mit keinem Wort auf den Charakter des türkischen Staates hingewiesen worden sei. Dieser unterstütze massiv den „Islamischen Staat“, eine „fundamentalistisch-?faschistische“ Terrororganisation, die wahllos andersdenkende abschlachte. Er erinnerte daran, daß die Mitglieder der „Weissen Rose“ auch wegen „Terror“ verurteilt wurden, ein „Terror“, der heute als gerechtfertigter Widerstand gegen ein Unrechtsregime angesehen werde.
Nach ihrer Festnahme 2013 kam Latife wegen der Notwendigkeit der Betreuung ihrer minderjährigen Tochter unter der Bedingung frei, sich auf keinerlei Weise politisch zu betätigen. Nach der Verlesung der Anklageschrift stellte RA Meister einen Antrag, diese Auflagen nunmehr aufzuheben. Bei ihrer politischen Arbeit handele es sich um antifaschistisches und antirassistisches Engagement. Dies sei vom Grundgesetz ausdrücklich geschützt und auch das OLG müsse sich daran halten. Die Auflagen stellten eine Aufhebung ihrer grundgesetzliche garantierten Grundrechte dar. In der Verfügung heißt es, Latife dürfe sich an keiner Veranstaltung beteiligen, zu der die Anatolische Föderation aufriefe. Das würde z.B. bedeuten, daß sie nicht an einer Demo gegen den NSU-?Terror teilnehmen dürfe, zu der zusammen mit der Anatolischen Föderation viele andere Organisationen aufgerufen hätten. Ebenfalls dürfe sie sich nicht an Aktionen gegen den jüngsten Mordanschlag vor dem Autonomen Zentrum durch einen Pegida-?Fanatiker beteiligen, weil auch dazu die Anatolische Föderation aufgerufen habe.
Der vorsitzende Richter Schreiber erklärte daraufhin, daß aus seiner Sicht die Auflage nur für Veranstaltungen gelte, die allein oder führend von der Anatolischen Föderation durchgeführt würden. Ein erster kleiner Erfolg.
Dieser Prozeß geht uns alle an. Wenn die Teilnahme an antifaschistischen und antirassistischen Aktivitäten und das Organisieren von linken Konzerten verfolgt wird, als sei es ein Schwerverbrechen, dann ist das ein konkreter Angriff auf die wenigen Rechte, die uns noch eingeräumt werden zum Protestieren.
Kommt zum Prozess. Solidarisiert euch mit unserer türkischen Genossin !
Fortsetzung ist am
25.6. 10.30 Uhr
Oberlandesgericht Düsseldorf
Kapellweg 36
40474 Düsseldorf