(S) Bewährungsstrafen für Antifas

Am Montag den 22.1.24 wurden zwei Antifas vor dem Amtsgericht Bad Cannstatt zu Bewährungsstrafen von 1 Jahr und 3 bzw. 4 Monaten verurteilt. Ihnen wurde vorgeworfen eine IB Gruppe angegriffen zu haben.

Hintergrund war eine der ersten großen Querdenker-Kundgebungen auf dem Cannstatter Wasen im Mai 2020, an der damals schon rechte und faschistische Kräfte aller Couleur teilgenommen hatten. Am Tag selbst war es zu mehreren Auseinandersetzungen gekommen – laut eigenen Angaben wurde eine 9-köpfige IB-Gruppe zweimal hintereinander angegriffen. Einer der Angriffe wurde den beiden Angeklagten zur Last gelegt.
Vor Gericht zeigte sich wiedereinmal, dass es für den Stuttgarter Staatsschutz keine belastbaren Beweise braucht, um Linke anzuklagen und letztlich verurteilen zu lassen:
Auf verpixelten Videoaufnahmen von einer S-Bahnhaltestelle in der Nähe der Auseinandersetzung, will der ambitionierte Staatsschützer Moritz Klaiber die beiden Angeklagten, trotz mieser Qualität und Mundnasenschutz, erkannt haben. Auf einem Foto das angeblich den Angriff zeigt und das einer der Faschisten erst ein Jahr später weitergeleitet hatte – sollen ebenfalls die Angeklagten zu sehen sein.

Ein von der Staatsanwaltschaft beauftragter „anthropologischer Gutachter“, gab sich zwar alle Mühe die beiden Antifas zu belasten: U.a. beschrieb er zahlreich und detailliert Merkmale, die nur auf polizeilichen Vergleichsbildern von alten Erkennungsdienstlichen Behandlungen zu sehen waren, aber nicht auf den Tataufnahmen. Letztlich räumte aber auch er ein, dass es sich hier „nicht um eine Identifizierung“ handle und die Angeklagten höchstens mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 zu 40% zu erkennen seien.

Dennoch und obwohl 7 von 9 IB´lern nicht vor Gericht erschienen und es nicht einmal feststand, ob der Angriff nicht von den Faschisten selbst ausging, verurteilte Richter Eisele die beiden Angeklagten letztlich. Er entblödete sich dabei nicht einmal als belastendes Indiz zu werten, dass die Personen auf beiden Aufnahmen ähnliche Kleidung getragen hätten: nämlich schwarze Jacken und Jeans… Mit dem Urteil von 1 Jahr und 3 bzw. 4 Monaten, übertraf er sogar die Forderungen der Staatsanwältin.

Beide Angeklagten haben Berufungeingelegt. Vor Gericht nutzten die Gelegenheit und hielten gemeinsam eine politische Prozesserklärung, in der sie auf den Rechtsruck aller bürgerlichen Parteien, die Repression als Teil des Rechtsruckes und die Notwendigkeit antifaschistischen Widerstands eingingen.

Prozesserklärung:

„Wir wollen zusammen ein paar Worte zu den Aspekten sagen, die hier heute erwartungsgemäß wieder zu kurz gekommen sind:
Denn natürlich ist der Prozess heute ein politischer Prozess, in dem es eigentlich nur am Rande um gerötete Finger, Schürfwunden und äußerst stark verpixelte Fotos geht. Die wesentliche politische Aussage, die unabhängig vom Urteil bleibt, ist dass zwei langjährig aktive Antifaschisten, zwei Kommunisten, mitten im bedeutendsten Rechtsruck der letzten Jahrzehnte wegen einer angeblichen Auseinandersetzung mit Mitgliedern der faschistischen IB vor Gericht gezerrt werden. Die Ironie dabei: keine zwei Wochen nachdem bekannt wurde, dass der Chef der IB, zusammen mit Vertretern von AfD und CDU, über millionenfache Deportationen beratschlagt hat.

Dazu zuerst ein paar mehr Worte:
Das Bekanntwerden des rechten Treffens hat eine bedeutende Protestwelle gegen die AfD hervorgerufen. Das ist gut und längst überfällig. Es greift aber zu kurz, den Rechtsruck auf die Aktivitäten von Akteuren wie der IB oder Umfragewerte der AfD zu beschränken. Dass die IB zwar um ein hippes Auftreten bemüht sind, aber ein faschistisches Programm vertritt, ist lange bekannt. Offener Rassismus und Pläne Menschen massenhaft zu deportieren sind selbstverständlich Teil ihrer Ideologie. Ähnlich ist es bei der AfD, die sich seit ihrer Gründung immer weiter nach rechts entwickelt hat und deren Vertreter auch schon davon gesprochen haben – Zitat – „Migranten immer noch vergasen“ zu können (Christian Lüdth ehem. Pressesprecher AfD-Bundestagsfraktion). Selbst die Beteiligung von CDU-Mitgliedern an einem solchen Treffen überrascht nur wenig, angesichts von Figuren wie dem CDU-Mitglied und Ex Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen oder dass ein großer Teil des Personals der AfD eben aus den Unionsparteien und der FDP kommt.

Nein, was wir in den letzten Monaten erlebt haben, ist ein Rechtsruck fast aller bürgerlichen Parteien: Die Ampel-Regierung hat wesentliche Forderungen der AfD nicht nur übernommen, sondern setzt sie auch um. Wenn SPD und Grüne jetzt über ein AfD-Verbot sprechen, dann erinnern wir uns an die Ankündigung von Kanzler Scholz, dass – Zitat – „wir endlich im großen Stil abschieben müssen“. Und während sie Lippenbekenntnisse gegen Rechts abgeben, hat die Ampel am Dienstag ein Gesetz verabschiedet, dass Abschiebungen erleichtert und selbst Seenotrettung kriminalisieren kann. Unbegleiteten Minderjährigen die auf der Flucht sind zu helfen, wird dadurch künftig mit bis zu 10 Jahren Haft bedroht.

Diese Entwicklung ist nicht einfach nur Folge der – sicherlich gegebenen – Charakterschwäche des politischen Personals der Ampel. Der Rechtsruck aller bürgerlichen Parteien ist vor allem eine politische Reaktion auf die Folgen der Krise des Kapitalismus: Es braucht Sündenböcke und es braucht Ablenkung von der Teuerung bei Lebensmitteln und Energie, von der Inflation, von den erdrückend hohen Mieten und natürlich davon, dass sich die Krise wieder unübersehbar in Kriegen entlädt. Kriege die nicht nur vor unserer Haustür stattfinden, sondern die auch von der deutschen Regierung immer weiter befeuert werden.

Die Debatte um schnellere Abschiebungen und der Rassismus der mit ihr einhergeht, betrifft, diskriminiert und bedroht Millionen Menschen in diesem Land. Bisher noch weit weniger sind von einem anderen zentralen Aspekt des Rechtsrucks betroffen: Der Repression gegen linke Bewegungen. Dass die Repression zunimmt, lässt sich sowohl bundesweit, als auch lokal feststellen: Die langjährigen Haftstrafen im Wasenprozess, das Urteil gegen Lina und andere Antifaschist:innen aus Leipzig, das 129-Verfahren gegen den Roten Aufbau Hamburg, Mehrjährige Haftstrafen in den Krawallnachtsprozessen, die auf äußerst mangelhaften Gutachten beruhten, eine Flut an kleineren und größeren Geldstrafen oder mittlerweile grundsätzlich mit gezogenen Schusswaffen ausgeführte Razzien, verdeutlichen diese Tendenz einer neuen Stufe der Repression. Diese Liste ließe sich fortsetzen und beispielsweise ergänzen um bundesweite Öffentlichkeitsfahndungen gegen Linke die wegen der Beteiligung an einer Schlägerei mit Anhängern der Waffen-SS in Budapest gesucht werden, während über 600 untergetauchte Nazis weitgehend in Ruhe gelassen werden. Und so ist es kein Wunder, dass die Knäste sich wieder mit Linken füllen.

Auch der Prozess heute reiht sich in diese Repressionswelle ein. Es gibt aber eine besondere Stuttgarter Methodik, die bei einer ganzen Reihe ähnlicher Verfahren zum Tragen kam: Ein paar verpixelte Bilder werden vom Staatsschützer Klaiber darauf untersucht, ob man sie nicht irgendwie bekannten linken Aktivistinnen und Aktivisten zuordnen könne. Der Anfangsverdacht wird dabei klar politisch bestimmt. Wie aus mehren Akten der letzten Jahre hervorgeht, wird gezielt untersucht wie man denjenigen die seit einigen Jahren in der revolutionären Linken aktiv sind, denjenigen die öffentlich auftreten, denen die Demonstrationen anmelden, etwas anhängen kann. Die politische Polizei und die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft wissen: dass der Beschuldigte Kommunist oder zumindest aktiver Linker ist, reicht fast immer für eine Verurteilung. Das ist unter anderem gemeint, wenn wir von Klassenjustiz sprechen!

Das alles passiert nicht zufällig: Es ist – wie auch die rassistische Kampagne der letzten Monate – eine Reaktion auf den Kreislauf aus sich wechselseitig verschärfenden Krisen, in denen der Kapitalismus sich befindet. Dieses System bietet für immer mehr Menschen keine Perspektive mehr. Wo eine Perspektive innerhalb des bestehenden Systems fehlt, bleibt letztlich nur verschärfte Repression gegen alle die nach Alternativen zum kapitalistischen Krisenchaos suchen. Und zwar unabhängig davon, ob durch die Linke momentan eine reale Gefahr für den Kapitalismus ausgeht. Allein der Suche nach einer revolutionären, nach einer sozialistischen Perspektive – die nie nur eine theoretische, sondern immer eine praktische Suche sein muss – wird präventiv mit Repression begegnet.

Was bedeutet das alles jetzt?
Natürlich ist die AfD die unmittelbarste und größte Gefahr für jede fortschrittliche politische Entwicklung. Und darüber hinaus stellt sie eine persönliche Gefahr für Millionen Menschen dar, denen die Partei kein Recht in diesem Land zu leben zugesteht. Ähnliche Pläne wie die Deportationspläne von Sellner und Co. hatte auch schon die NSDAP und wir alle wissen, dass sie im größten Menschheitsverbrechen und im 6-millionenfachen Mord mündeten. Natürlich gilt es also zu verhindern, dass die AfD irgendeine weitere Machtposition erlangt. Es muss uns aber genauso klar sein, dass der Staat in diesem Kampf – abseits von Lippenbekenntnissen – kein Verbündeter, sondern Gegner ist. Ein Gegner, der uns und viele andere regelmäßig für genau diesen Kampf vor Gericht und leider auch immer öfter hinter Gitter bringt.
Oder um es mit der Musikerin und Auschwitz-Überlebenden Esther Bejerano zu sagen: „Wer gegen die Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen!“

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