Das Strafvollzugsgesetz sieht vor, ‚geeigneten Gefangenen‘ Bildung anzubieten (vgl.§ 38 Strafvollzugsgesetz-Bund). Wie setzt diesen Auftrag die Justizvollzugsanstalt Freiburg um?
Bildungszentrum der JVA Freiburg
Schon seit über 40 Jahren wird innerhalb der im Südwesten der Bundesrepublik gelegenen Haftanstalt Ausbildung und insbesondere Schulunterricht angeboten. Zu Anfang ging es um eher schlichtere Angebote; aber im Verlauf der Zeit wurde das Angebot immer differenzierter, so dass letztlich vom Alphabetisierungs-Kurs bis zum Hochschulabschluss die gesamte Palette des Schulsystems umfasst ist. Selbstverständlich gibt es auch Sprachkurse (‚Deutsch für Migranten‘, Französisch, Spanisch, Englisch).
Laut einer Mitarbeiterin des pädagogischen Dienstes sei innerhalb der JVA das Bildungszentrum ‚der größte Arbeitgeber‘, d.h. keiner der Anstaltsbetriebe beschäftige mehr Gefangene als die Schule.
Beispiel Abitur
Ich selbst bin seit dem 21. September 2015 Kursteilnehmer. Zusammen mit sechs Insassen soll in 2-3 Jahren die Schulfremden-Prüfung für die allgemeine Hochschulreife gemeistert werden können. Erfreulich ist die multikulturelle Zusammensetzung der Klasse; es findet sich ein türkischer Migrant, ebenso wie jemand, dessen Eltern aus Eritrea geflohen sind oder der aus Rumänien in die BRD umsiedelten.
Als Lehrkräfte sind Lehrerinnen und (ein) Lehrer aus Gymnasien Freiburgs und umliegender Städte im Einsatz, die dann für ihren jeweiligen Unterricht an das Bildungszentrum der JVA abgeordnet werden, ansonsten jedoch weiter an ihren jeweiligen Schulen unterrichten.
Auffällig war gleich zu Anfang, die Veränderung der didaktischen Methoden; ich selbst hatte zuletzt Ende der 80er eine Schule besucht. Damals war noch nicht viel davon die Rede ,gemeinschaftlich etwas zu erarbeiten oder den Fokus mehr auf die Ressourcen als auf die Defizite zu legen. Insofern ist es erfreulich zu beobachten, wie heutzutage versucht wird, Schüler zu motivieren, ihnen Wissen zu vermitteln.
Im Rahmen von Vollzeitunterricht werden wir in den Fächern Deutsch, Englisch, Französisch, Biologie, Mathematik, Ethik und Geschichte mit den Anforderungen der gymnasialen Oberstufe im Verlauf der nächsten zwei bis drei Jahre vertraut gemacht.
Die Anstalt stellt dabei das meiste des benötigten Materials (z.B. Hefte, Stifte, Bücher), lediglich der für den Mathematik-Unterricht benötigte Taschenrechner muss auf eigene Kosten erworben werden.
Exkurs: Der gescheiterte Taschenrechnerkauf
Der noch recht jugendliche erscheinende Mathematiklehrer Herr S. bestellte, nach Absprache mit uns Schülern für jeweils 119 Euro einen wissenschaftlichen, grafikfähigen Taschenrechner, der auch im Abitur verwendet werden darf.
Als dieser Rechner dann in der Anstalt eintraf, wurde er von der JVA beanstandet, so dass ein Klassensatz anderer Taschenrechner bestellt werden sollte. Was war passiert?
Der vom Lehrer favorisierte Taschenrechner verfügte über einen Akku, welcher über ein USB-Kabel geladen wird. Und USB-Kabel sind ‚des Teufels‘ in Haftanstalten, zumindest in Freiburg, denn damit könnte man auch Handys laden – und deren Besitz ist (bekanntermaßen) in Gefängnissen streng verboten.
Folglich ging die ganze Lieferung zurück an den Absender,allerdings erhalten wir diesen Taschenrechner nun doch und die Aufladung der Batterie wird über die JVA erfolgen.
Der Unterricht
In (meist) recht lockerer Atmosphäre sitzen wir in unserem Klassenzimmer. Mit viel Engagement vermitteln die Lehrkräfte das Wissen und lassen sich auch auf Diskussionen über verschiedene Themen ein, wenn sie in den jeweiligen Kontext passen. Gerade weil lediglich eine der Lehrerinnen ‚Hafterfahrung‘ (sie unterrichtete schon zuvor in einer JVA, wie auch der forensischen Psychiatrie) mitbringt, staunen die LehrerInnen gelegentlich über die Skurrilitäten des Gefängnisalltags.
Exkurs: Die verschlossene Türe
Geschlossene Türen sind in einem Gefängnis zu erwarten; also bedarf es berechtigter Personen, die über die Schlüssel verfügen, um besagte Türen zu öffnen. Herr Hauptsekretär Sch. , fast ein Vollzugsveteran, so viele Jahre arbeitet er schon in Freiburgs JVA, sollte mir eine Verbindungstüre öffnen, damit ich vom Zellentrakt zum Klassenzimmer gelangen konnte. Es entspann sich dann eine Diskussion darüber, ob so eine Aufgabe zu seinem Arbeitsgebiet zähle, oder doch eher nicht. Ich verwies auf einen amtlichen Aushang, der an besagter Türe, wie an allen Türen der Zellentrakte befestigt war. Letztlich öffnete er mir dann doch noch den Weg zum Klassenzimmer, jedoch nicht ohne mir nachzurufen, dies sei eigentlich nicht seine Aufgabe, egal was da auf dem Aushang stehe.
Nachdem ich auf schriftlichem Wege versuchte zu klären, ob Herr Sch. die Situation hier zutreffend beurteilt hatte, staunte ich nicht schlecht, als ich am nächsten Tag feststellte, dass irgendwer – mit viel ‚Liebe‘ und Tatkraft – besagte amtliche Aushänge von den Türen der Stationen 2 und 3, jenes Traktes entfernt hatte, in welchem ich tagsüber eine Zelle bewohne (abends kehre ich, über den Gefängnishof, zurück in den Trakt der Sicherungsverwahrung).
Auch die Klassenlehrerin unseres Kurses, Frau R.-S. musste darüber schmunzeln.
Letztlich erklärte sich Herr Sch. dann doch bereit, künftig die entsprechende Türe zu öffnen, sofern es ihm dienstlich möglich sei, er also nicht durch Dienstgeschäfte anderweitig zu tun habe.
Ausblick
Es geht-verständlicherweise- nicht ganz reibungsfrei zu im Unterricht; insbesondere ein Mitschüler, Mitte 20, gibt sich gegenüber Lehrerinnen mitunter passiv-aggressiv, jedoch gehen diese souverän damit um.
Schwieriger dürfte abzuschätzen sein, welches Menschen- und Politikbild die Lehrkräfte zu vermitteln beabsichtigen. So wurde im Englisch- Unterricht sogleich umfänglich auf ’national-identity‘ eingegangen, ohne eine wirklich umfassende kritische Reflexion. Auch scheint ein recht kapitalismusfreundliches Bild bei den Lehrkräften zu bestehen, wobei das letztlich nicht überraschen dürfte, sind es doch LandesbeamtInnen die hier tätig werden.
Zumindest betonen alle Lehrkräfte, wir -Schüler- seien frei in unseren Antworten, müssten jedoch unsere Ansichten zumindest gut begründen können, d.h. es gehe ihnen nicht darum, uns von ihrer jeweiligen Ansicht zu überzeugen.
Freiburgs Bildungszentrum ist in Haftkreisen bundesweit bekannt, weshalb auch extra ein Schüler aus der JVA Schwerte sich hat hierher verlegen lassen, um das Abitur machen zu können.
Aus meiner Sicht ist Bildung mit das Wichtigste was Menschen auch und insbesondere in einer Haftanstalt ‚mitnehmen‘ können, für sich, für ein Leben später in Freiheit und damit dann auch für das Umfeld, in welchem sie künftig leben.
Thomas Meyer-Falk
c/o JVA (SV)
Hermann-Herder-Str. 8
79104 Freiburg
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