Im Juni 2020 kam es mitten im scharfen Corona-Lockdown zu Ausschreitungen von Teilen der Stuttgarter Jugend. Laut Polizei sollen daran auch linke Aktivist:innen beteiligt gewesen sein. Am Montag musste nun Nico eine 3-Jährige Haftstrafe antreten. Die Proteste damals hatten einen politischen Ursprung. Ein Grund mehr für die Staatsbehörden, der revolutionären Jugendbewegung einen Schlag zu verpassen. – Ein Kommentar von Lilly Pfeiffner.
Am Montag wurde für viele das Befürchtete wahr: der Antifaschist Nico aus Stuttgart muss für 3 Jahre und einen Monat in Haft. Sein Haftantritt in der JVA Ulm zeichnete sich seit 2022 bereits ab. Dort wurde er für die mutmaßliche Teilnahme an der „Stuttgarter Krawallnacht“ vom Amtsgericht zu 3 Jahren und 2 Monate verurteilt. Das Landgericht senkte in der Revision das Urteil um einen Monat, das Ergebnis blieb jedoch das gleiche: Gegen die Proteste in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni 2020 sollte klare Kante gezeigt werden.
Damals kam es in Stuttgart zu teils heftigen Ausschreitungen: Nach einer langen Reihe von Polizeiwillkür und rassistischen Kontrollen, wehrten sich in dieser Nacht Jugendliche gegen die Behörden. Die Wut auf die erlebte Polizeigewalt, Willkür und Schikanen entlud sich, sodass es in einigen Tumulten zu Sachbeschädigungen in der Stuttgarter Innenstadt kam.
In großem Ermittlungseifer wurde schnell die Idee gesponnen, dass auch linke Kräfte diese „Krawalle“ anleiten würden. Auch Nico wird vorgeworfen, daran beteiligt gewesen zu sein.
Einfach „Krawall“?
Während die Behörden mutmaßten, ob eine linke Führung an den Protesten beteiligt war, leugneten sie gleichzeitig, dass die Proteste politischen Ursprungs waren. Dabei war es in der Tat so, dass sich Jugendliche dabei gegen Corona-Maßnahmen erhoben, die sich unterschiedlich hart auf Kinder und Heranwachsende auswirkten, je nachdem ob sie einen großen Garten hatten oder zusammengepfercht in kleinen Wohnungen lebten.
Gleichzeitig äußerte sich diese Klassenfrage auch in unterschiedlichen Begegnungen mit der Polizei: Die einen, die tägliche rassistische Schikane durch sie erleben und die anderen, die sie als „Freund und Helfer“ erleben. In der Stuttgarter „Krawallnacht“ entlud sich nicht die impulsive Schlagkraft der vermeintlichen „Linksextremist:innen“, sondern die Wut der Jugend auf eine Regierung und Behörden, die sie als Gruppe außen vorlässt, in Grenzen zwängt und ihnen keine Perspektiven bietet.
Nico selbst sagte dazu: „Es ist egal, ob ich tatsächlich in der Nacht vor Ort war oder nicht, ich hätte es sein sollen“. Damit zeigt er klar, wie er die Proteste politisch einschätzt. Denn wenn die Jugend sich gegen die Umstände hierzulande erhebt, dann sollten wir hinterfragen, wie es in diesem System um sie steht.
Ein politischer Prozess gegen einen politischen Menschen
Dabei war dieser Prozess niemals unpolitisch und darf es auch nicht werden. Denn anstatt die Beweggründe zu analysieren, nutzte der Staat diesen Anlass zum Durchleuchten linker Bewegungen und nun auch dafür, einem Antifaschisten die Freiheit zu nehmen. Der politisch aktive Mitte 20-Jährige war vorbestraft: Im Zusammenhang mit einer Solidaritätsaktion zu den revolutionären Kämpfen im kurdischen Rojava sowie einer antifaschistischen Aktion gegen die Partei „Die Rechte“ standen bereits Strafen an. Sein fortschrittliches politisches Engagement der Vergangenheit befeuerte also die Klassenjustiz.
Die vorgeworfenen Taten lassen auch hier schlussfolgern, dass Nico sich konsequent antifaschistisch engagierte: Seine Solidarität mit Rojava, einem Gebiet, das sich gegen die faschistoide Türkei und den Islamischen Staat stellt, zeigt nicht nur Nicos internationalistisches Denken, sondern auch seine ehrliche Solidarität.
Seine mutmaßliche Teilnehme an diesen Aktionen in der Vergangenheit lässt uns schlussfolgern, dass Nico keineswegs ein Randalierer oder Krawall-Süchtiger ist, sondern ein durchdachter Aktivist, der hier in einem Schauprozess als Extremist gezeichnet werden soll.
Dabei lässt sich schnell durchschauen, dass dies eine Ablenkungsstrategie der Behörden ist. Unter dem Deckmantel des Schutzes vor den „Randalierern“ wurde in Stuttgart die Kameraüberwachung erhöht und Repression gegen linke Strukturen aufgefahren. Zudem wurden Haussuchungen normalisiert und Messerverbotszonen in Viertel eingeführt, was die rassistische Prägung der Staatsbehörden untermauert.
Auch die hohe Strafe zeigt, welches politische Statement hier gesetzt werden soll: Jugendliche und Antifaschist:innen kriegen die Härte des Staates sehr schnell zu spüren. Es wird sich nicht mit ihren Anliegen und den tatsächlichen Missständen beschäftigt. Vielmehr werden diese bewusst ausgeklammert und Personen, die ihre Stimme erheben, mundtot gemacht. Wer Jugendliche da einfach als zügellose Randalierer versteht, macht es sich zu einfach.
Wie blicken seine Mitkämpfer:innen auf Nico?
Eine Bekannte von Nico, Marie E., äußerte sich zum Haftantritt gegenüber Perspektive: „3 Jahre Haft ist ein heftiger Schlag. Die Bewegung wird in dieser Zeit einiges vermissen. Einen Genossen mit Humor und Motivation, mit Mut, Überzeugung und Freude; einen Freund und einen Revolutionär, bei dem wir aber auch sicher sein können: Keine Repression, keine Strafe und kein Knast wird ihn kleinkriegen.”
„Kein Kampf wird enden, wir werden ihn weiterführen, und er wird das auch tun, solange es in dieser Welt Unterdrückung gibt, solange es noch arm und reich gibt. Daher sei gesagt: Nico, lass dich nicht unterkriegen, bleib stark, bleib standhaft, wir kämpfen für dich!“.
Am Montagnachmittag, 12. August, hat der aus dem Raum Stuttgart stammende Nico dann um 15 Uhr in der Justizvollzugsanstalt Ulm (JVA) seine Haft angetreten. Aus diesem Grund fand von 13 Uhr bis 15 Uhr eine Versammlung vor der JVA in Ulm mit rund 200 Demonstrant:innen statt – darunter viele vom „antifaschistischen Aktionsbündnis Stuttgart (AABS)”.