»Tag der Ehre«-Prozess in Budapest: Angeklagte wie Schwerverbrecherin vorgeführt
Die Anwälte der in Budapest inhaftierten Antifaschistin Ilaria S. aus Italien erwägen, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen. Sie werfen Ungarn vor, gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu verstoßen, der Personen vor unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe schützt. »Die Verletzung ist eklatant, wenn man bedenkt, wie sie an einer Kette in den Gerichtssaal geführt wurde«, erklärte der Anwalt von S., Eugenio Losco, am Mittwoch gegenüber ANSA. Dabei bezog er sich auf die veröffentlichten Bilder von S. vom ersten Prozesstag aus dem Saal des Budapester Stadtgerichts am Montag. Sie zeigten die 39jährige Lehrerin mit gefesselten Händen und Füßen im Gerichtssaal. »Wie ein Hund wurde sie geschleift«, so Losco.
Eine Onlinepetition, mit der die Rückkehr von S. nach Italien gefordert wird, unterzeichneten bis Dienstag abend mehr als 94.000 Personen. Selbst die Regierung der ultrarechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zog Konsequenzen aus dem »exzessiven« Vorgehen, so Außenminister Antonio Tajani. Er bestellte den ungarischen Botschafter in Rom ein, »um zu fragen, warum einige der grundlegendsten Normen in bezug auf die Bedingungen der Inhaftierten nicht eingehalten wurden«. S. sei einer »erniedrigenden und demütigenden« Behandlung unterzogen worden; diesmal seien die ungarischen Behörden »zu weit gegangen«.
»Versuchte lebensgefährliche Körperverletzung« in drei Fällen wird S. vorgeworfen. Im Februar 2023 soll sie im Rahmen des jährlich in Budapest stattfindenden rechten Aufmarschs »Tag der Ehre« an Angriffen auf Neonazis beteiligt gewesen sein. Anders als der deutsche Mitangeklagte Tobias E., der auf den Deal der ungarischen Behörden einging, weist S. die Vorwürfe zurück. Der 29jährige E. räumte am Montag ein, für die mutmaßlichen Angriffe gegen Neonazis zum »Tag der Ehre« eine »mit der linksextremen Ideologie sympathisierende Organisation« gegründet zu haben, und wurde zu drei Jahren Haft verurteilt. Eine weitere Person aus Deutschland ist mitangeklagt. Für S. fordert die Staatsanwaltschaft elf Jahre Haft, am 24. Mai geht der Prozess weiter.
junge Welt 1.2.24