klassenkampf

Tarifabschluss im öffentlichen Dienst: Den Arbeiter:innen ins Gesicht gespuckt

Der Streik im öffentlichen Dienst ist beendet, für die die Verhandlung führenden Gewerkschaft ver.di ist der Tarifabschluss “respektabel”.

Unsere Autor:innen, die beide im Gesundheitsbereich arbeiten, sehen das anders: Das ist Selbstbeweihräucherung auf Kosten der Arbeiterklasse!

Mit dem Tarifabschluss der Gewerkschaft Ver.di und dem “Verband der Komunalen Arbeitgeber” (VKA) hat sich etwas einmaliges ergeben. Neben den Anpassungen der Tarifentgelte, Angleichung der Arbeitszeiten zwischen Ost/West und der Auschüttung einzelner Prämien, gibt es für alle beklatschten, systemrelevanten Arbeiter:innen etwas ganz besonders oben drauf: Spucke ins Gesicht.

Wir (die Autor:innen) wissen noch nicht so ganz wer uns da eigentlich ins Gesicht gespuckt hat. Der VKA oder die Intressenvertretung der Arbeiter:innenschaft in Form der Gewerkschaft Ver.di?

Naja, auf der anderen Seite, was war denn diesmal anders? Ein paar Warnstreiks, ein paar Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, eine Seite die mauert und eine, weckt große Erwartungen. Das Ergebnis – ebenfalls wie immer – ernüchternd. Dieses Jahr allerdings dabei: Verlängerung der Übernahmegarantie von Auszubildenden. Ähm Moment, bitte was? Übernahmegarantie von Auszubildenden? Sagt mal hackt’s?

Alle labern sie von Fachkräftemangel und Personalnot, und dann ist es Verhandlungssache ob die betriebseigenen Auszubildenden übernommen werden oder nicht? Wow. Ich muss mal kurz ans Fenster klatschen gehen. Danke Ver.di! Danke VKA! Danke, das eine:r der beiden Autor:innen nach ihrer Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpfleger:in auch als solche in ihrem Betrieb weiter knechten darf. Richtig korrekt von euch.

Natürlich ist diesmal etwas anders. Wir haben eine scheiß Pandemie am Start, die den Kapitalismus so stark ins Wanken gebracht hat, dass Christian Lindner sich wahrscheinlich immer noch in den Schlaf weint.

Ihr redet von einem respektablen Abschluss, trotz der Corona Pandemie. Wir reden von einer heuchlerischen Selbstbeweihräucherung auf Kosten der Arbeiterklasse. Die Krise heißt immer noch Kapitalismus, wie es so schön heißt, und lässt sich am Beispiel der Krankhäuser auch leicht verdeutlichen.

Für Pflegende gesprochen: es geht nicht nur um Geld, wenn ihr genauer zugehört hättet, hättet Ihr gemerkt, dass es um materielle Arbeitsbedingungen geht, die uns das Leben schwer machen. Arbeiten mit zu wenig Personal, weil die Arbeitgeber:innen sie gekündigt haben, unter Zeitdruck, unter immer höher werdendem Aufwand, immer mehr Operationen, mehr Betten belegend, mehr Geld einnehmen. Es geht darum, nicht nur Kostenfaktor zu sein, der dem Profit im Wege steht. Es geht darum, sich weder psychisch noch physisch weiterhin kaputt zu machen. Burn Out, Depression, abgerichtet werden; das ist unser Ausblick in die Zukunft. Nicht nur für die Pflegende, für alle “Systemrelevanten”. Und natürlich geht es auch ums Geld, und viele Menschen unserer Klasse sind darauf angewiesen und freuen sich über ein paar Euros mehr im Monat. Aber seien wir mal ehrlich: Auf Dauer ist diese Form der Abspeisung keine Lösung.

Und noch viel wichtiger: es geht darum, dass die Krise nicht auf unserem Rücken ausgetragen wird! Die 4,5 Prozent Lohnsteigerung sind ein Witz, wenn man vergleicht, was den Unternehmen über Kurzarbeitsregeln oder direkte Investitionen wie bei der Lufthansa in den Rachen geworfen wird.

Liebe Ver.di, dieser Arbeitskampf war eure Chance, vielleicht die letzte greifbare, etwas grundlegendes zum Wohle eurer Mitglieder zu erreichen. Wie lange wurde “Systemrelevanz” in den Medien und im Voksmund rauf und runter gebetet? Wie vielen Arbeiter:innen habt ihr nicht zugehört, als sie erzählt haben, was sich in ihrem Arbeitsleben ändern muss? Und warum müssen wir immer die gleiche Scheiße bei Tarifverhandlungen durchmachen, obwohl die Basis und “kleinere” Sekretär:innen durchaus selbstbewusste Klassepolitik betreiben. Es geht euch um Mitglieder, um Verhandlungsbasis, aber gleichzeitig vergrault ihr Mitglieder und hört nach nur grade mal zwei Warnstreiks auf. Danke. Für. Nichts.

Wenn ihr nicht wollt, dass Gewerkschaften in der gleichen Belanglosigkeit wie die Sozialdemokratie verschwinden und sich die Arbeiterschaft nicht weiter den rechten Rattenfänger:innen und Verschwörungsfutzzis hinwenden, dann hört auf mit dem Burgfriedenbullshit des “Sozialpartnerschaftsprinzips”. Hört auf hinter verschlossenen Türen zu verhandeln, hört auf der Neoliebralen Mär vom Erhalt der Arbeitsplätze nachzufolgen. Fangt lieber damit an, auf eure Basis zu hören, auf die Prekärsten unter uns.

P.S: Liebe (radikale) Linke, vielleicht ist es an der Zeit sich mal wieder vermehrt mit der Arbeiter:innenbewegung und Gewerkschaften auseinander zu setzen. Ja wir wissen, dass es den meisten zuwider ist, sich mit dem chauvinistischen Betriebsratvorsitzenden auseinander zu setzen. Bzw. hat der studierende Teil von euch bestimmt noch nie etwas mit Personalräten/Betriebsräten oder Gewerkschaften zu tun gehabt; oder die Leute dort passen nicht zu eurer Peer Group, aber zwei schlaue Revolutionäre haben mal gesagt:

Will man der „Masse“ helfen und sich die Sympathien, die Zuneigung, die Unterstützung der „Masse“ erwerben, so darf man sich nicht fürchten vor Schwierigkeiten, […] und muß unbedingt dort arbeiten, wo die Massen sind[…] um systematisch, hartnäckig, beharrlich, geduldig gerade in allen denjenigen – und seien es auch die reaktionärsten Einrichtungen, Vereinen und Verbänden Propaganda und Agitation zu treiben, in denen es proletarische oder halbproletarische Massen gibt. Die Gewerkschaften und die Arbeitergenossenschaften (diese wenigstens mitunter) sind aber gerade Organisationen, die Massen erfassen.

(Wladimir Iljitsch Lenin Der „Linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus)

„Nicht in den reaktionären Gewerkschaften arbeiten heißt die ungenügend entwickelten oder rückständigen Arbeitermassen dem Einfluß der reaktionären Führer, der Agenten der Bourgeoisie, der Arbeiteraristokraten oder der verbürgerten Arbeiter“ (Engels’ Brief von 1858 an Marx über die englischen Arbeiter)

# Text: Alena Will & Benny Ehlers
Alena Will ist Auszubildende zur Gesundheits- und Krankenpfleger:in in Hamburg; Benny Ehlers ist Gesundheits – Krankenpfleger:in und arbeitete auf einer Intensivstation, ebenfalls in Hamburg. Beide sind aktive Gewerkschafter:innen.

https://lowerclassmag.com/2020/10/26/tarifabschluss-im-oeffentlichen-dienst-den-arbeiterinnen-ins-gesicht-gespuckt/?fbclid=IwAR0HDwfEWEcDUkpmFymw9btwkN5CtkWAg7KTnRvJNzuhUTOHwHo_CgEKS0Y