chr.geissler

Trommeln in der Nacht

Wie ein Roman einen Aufruhr erzeugt: Eine Erinnerung an den Schriftsteller Christian Geissler (k)

Echt nur mit »k«: Der kommunistische Schriftsteller Christian Geissler mit Angehörigen von RAF-Gefangenen während der Besetzung der »Spiegel«-Cafeteria in Hamburg, 4.3.1981
Christian Geissler (1928–2008) war einer der ästhetisch und politisch radikalsten Autoren der westdeutschen Linken. Das »(k)«, das sich oft hinter seinem Namen fand, bedeutet »Kommunist«. Sein vielfältiges Schaffen umfasst Romane (u. a. »Das Brot mit der Feile«, 1973), Gedichte, Erzählungen und Hörspiele, seit 1962 arbeitete er auch verstärkt fürs Fernsehen und als Dokumentarfilmer.

Er war Kuratoriumsmitglied der Kampagne für Abrüstung und Ostermarsch, prägte als Mitherausgeber die marxistische Literaturzeitschrift Kürbiskern. Die Christian-Geissler-Gesellschaft widmet sich der Pflege und Erforschung seines Werkes, das seit 2013 im Berliner Verbrecher-Verlag wiederaufgelegt wird. Zuletzt erschien Geisslers Hauptwerk »Kamalatta«.

Um uns von unserer Vergangenheit zu befreien, resümiert Protagonist Dave Robicheaux in James Lee Burkes Roman »Neonregen« beim Grübeln in finsteren Stunden des Vietnamkrieges, ließen wir sie in unserer Erinnerung verblassen. »Gleichzeitig ist sie jedoch das einzige, was uns eine gewisse Identität verleiht. Es ist durchaus nichts Geheimnisvolles an unserem Selbst – wir sind einfach das, was wir tun und wo wir gewesen sind.«

Unwillkürlich trugen mich diese Worte aus dem schwülen Bayou im Mississippi­delta Louisianas, wo der abgehalfterte Cop lebte, in die kühle norddeutsche Tiefebene am Dollart, der Bucht südlich der Seehafenstadt Emden, wo Ems und Westerwoldse Aa ins Nordseewatt münden. Mir war, als hätte ich ein magisches Ticket zurück in die Vergangenheit gelöst. Was war der Trigger? Vielleicht Daves Worte, dass wir sind, »was wir tun und wo wir gewesen sind«? Aber, dachte ich, sind es nicht vor allem bedeutende Begegnungen mit ganz bestimmten Menschen, an denen unsere Identität wächst?

Vor meinem geistigen Auge sah ich mich unter einem blauen Himmel mit dahintreibenden Cumuluswolken an einem Tag des Jahres 1997 ins Rheiderland fahren, um meinen Genossen und Kollegen, den Schriftsteller Christian Geissler, zu besuchen. Er lebte und arbeitete schon einige Jahre dort hinter dem Deich in einer Kate der Aaltukerei. Das Häuschen gehörte zu einer Handvoll Behausungen, deren Bewohner früher ihr Dasein mit dem Fangen und Räuchern von Aalen fristeten. »Aaltuke« ist ein ostfriesisches Wort für die Aalpricke, einen Dreizack zum Aalfang.

Aus der ostfriesischen Krummhörn kommend, wurde ich auf meinem Weg zu Christian zunächst ausgebremst. Die Emsfähre in Petkum war auf Stunden durch wimmelnde Feriengäste blockiert. Wartezeit für die Überfahrt nach Ditzum. Also kehrtgemacht und die Deichstraße an der Ems entlang und durch den Emstunnel im großen Bogen ans Ziel. Seit ich im tropischen Klima Puerto Ricos und Kubas entdeckt hatte, wie sehr ich das Grau und Blau des norddeutschen Himmels zum Leben brauche, war mir kein Weg durch das platte Land der grünen Tiefebene zu weit. Gemächlich kauend, sahen mir Kühe von den satten Weiden am Rand der mal windungsreichen, mal schnurgeraden Straßen nach. Hohe Gräser und Laubbäume am Wegesrand neigten sich mir zu. Die von der See her unermüdlich über das Land fegende steife Brise ließ hier kein Gewächs gerade in den Himmel wachsen. Gruppen von Moorbirken tauchten wie Inseln zwischen den Ackerkulturen auf.

Es geht ums Leben
Auf einen meiner letzten Briefe hatte mir Christian geantwortet: »dein brief ist für mich sehr wichtig. im raum aus blind gegen blind plötzlich ein gesicht. dass du von deinen kindern sprichst, wenn du an mumia denkst – das z. b.« Zur drohenden Hinrichtung von Mumia Abu-Jamal hatte ich Christian geschrieben, ich hoffe, Mumia werde »eines Tages über unsere Türschwelle schreiten und dass meine Kinder ihn, den Todgeweihten, mit großen Augen ansehn und dann sein wundervolles Lachen durch unser Haus rollen« werde.

Unser Gedankenaustausch war Teil unseres Einsatzes für politische Gefangene, so auch für Mumia Abu-Jamals Leben und Freiheit. Der ging schon ins siebte Jahr, als Christian und seine Frau, die Schriftstellerin Sabine Peters, zusammen mit vielen anderen die Herausgabe von Mumias erstem Buch »Live from Death Row« in deutscher Sprache unterstützten. Mit ihren Namen öffneten sie viele Türen und halfen, Netze der Solidarität zu flechten. Sabine dazu im Buch: »Staaten, in denen die Todesstrafe herrscht, verachten Menschen. Uns aber ist das Leben lieb. Wir wollen, dass es uns gehört. Die Todesstrafe muss jetzt weltweit abgeschafft werden.« Und Christian: »Gegen das Todesurteil, das sie auf einen Menschen schmeißen, die Hand zu heben, ist selbstverständlich. Gegen die Hinrichtung eines schwarzen Kollegen international organisiert aufzustehen, ist das Mindeste. Gegen die Abschlachtung eines Genossen aufzuschreien, ist zuwenig. Das Pack braucht von uns anderen Unterricht. Wo sind wir? Einer von uns zeigt in seinem Buch sein Gesicht. Lest das nach. Es geht ums Leben.«

Die unverbrüchliche Solidarität der Klasse zieht sich durch Christians literarisches Schaffen und politische Praxis. Wer kämpft, sei auch bedürftig, bedürfe der Hilfestellung des Kollektivs, das auch den trägt, der strauchelt, sagte er mir. Er konnte noch Maos schlichte Weisheit entziffern: »Zwischen uns und dem Feind einen klaren Trennungsstrich ziehen«, und mit Brecht fragen: »Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?« Diese Botschaft gab er in der ihm eigenen Sprache weiter, schärfte den Blick auf den Verlauf der Barrikade quer durch die Gesellschaft. Und darauf, dass es überlebenswichtig ist, im Kampfgetümmel niemals zu vergessen, dass die Menschen links und rechts neben dir deine Gefährten sind.

Mit Christian wollte ich darüber reden, dass er selbst gerade mittendrin steckte in politischen Auseinandersetzungen mit Genossinnen und Genossen über prinzipielle Fragen des antiimperialistischen Kampfes. Er übte Kritik, rang um neue Übereinkünfte, wollte verbale Gewalt im politischen Streit unter Genossen nicht einfach hinnehmen. Stellte Forderungen. Von einigen Mitstreitern bekam er dafür die volle Breitseite, andere reagierten mit Schweigen, schnitten ihn. Uns an der Küste zu treffen war deshalb gut. Gemeinsam durchatmen, sich Luft machen.

Zunächst wäre ich beinahe an seinem Haus vorbeigefahren. Als ich endlich auf die Haustür zuging, trat Christian schon heraus und begrüßte mich mit heißem Tee. Nach der kühlen Brise auf dem Deich empfing mich drinnen wohlige Wärme. Der Küchenofen loderte.

Wir redeten über unsere Liebe zu diesem Landstrich, in dem auch ich oft Erholung fand mit meinen Kids. Christians Kinder waren schon flügge. »Du hast also noch mal von vorn angefangen«, sagte er, und ich merkte, wie ihn eine unerklärliche Schwere überkam. »Ich würd das nicht mehr wollen heute. Was soll denn aus Kindern werden in diesen Zeiten …?« Aber, so wandte ich ein, gehe es nicht darum, gerade mit Kindern zusammen das Leben zu erobern und die Gesellschaft zu verändern, die ja ihre sein wird, wenn wir mal nicht mehr sind?

Christian widersprach mir nicht, ich spürte jedoch deutlich eine Enttäuschung in ihm, etwas, das ihn gegenüber diesem Gedanken verschlossen machte. Wir mussten also endlich über das reden, was der Grund unseres Treffens war. Wie sind Widersprüche unter Gleichgesinnten auszuhalten? Wie kann man widerstehen, wenn aus den eigenen Reihen Angriffe kommen, die einen ins Mark treffen? Was tun, wenn du plötzlich von Freunden, Genossen mit dem konfrontiert wirst, was der Dreck ist, den du nur auf der anderen Seite der Barrikade vermutest: Misstrauen, Ablehnung, Konkurrenz, Gerüchteküche, Anwürfe, Verleumdung, Lüge, Profilierungssucht?

Ja, sagte Christian, es gelte eben nicht allein, sich gegen den Panzer zu wehren, den einem andere überstülpen wollen. Weil es ja nicht um Verordnung von Politik gehe, sondern ums Lernen, darum, gemeinsam zu lernen, die Perspektiven des Klassenkampfs zu erarbeiten und uns international zu organisieren. Und wenn wir nicht weiterkämen, dann reiche nicht das Analysieren der Lage allein. »Dann müssen wir den Arsch hochkriegen, handeln.« Nicht im Sinne von draufhauen, sondern handelnd zu lernen, um zu begreifen, »welche Kralle uns packt«. Und sich zu wehren. Es gehe auch im Klassenkampf immer ums Leben an sich, denn »der Mensch, das ist seine Schönheit, lässt sich auf Dauer nicht erniedrigen und beleidigen …«

Jedes Buch eine Feile
An dem Punkt erzählte ich Christian noch mal genauer, wie ich überhaupt auf ihn gestoßen war. Das war Anfang der 80er Jahre, als ich selbst wegen Solidaritätsaktionen für die politischen Gefangenen im Knast saß. In der rheinischen Landesmetropole hatten wir Parolen zur Unterstützung eines Hungerstreiks von Gefangenen aus der Rote Armee Fraktion an Justizpaläste und andere öffentliche Gebäude gesprüht. Die staatsschützende Gerichtsbarkeit konstruierte Gesinnungsnähe zu den streikenden Insurgenten und teilte reichlich Knast aus. Auch »zur Abschreckung«, denn wir waren viele. Ich saß in dem 1853 als »Isolir-Strafanstalt zu Münster« erbauten alten Gemäuer ab, in dem einer meiner politischen Altvorderen, der Kommunist und Organisator des Mitteldeutschen Arbeiteraufstands Max Hoelz, schon in den 1920ern eingelocht war.

Schon bald fand sich ein aufmüpfiges Dutzend unter den Gefangenen zusammen, das sich im Knastalltag wehrte und sich Faschos und Duckmäuser vom Halse hielt. Sonntags trafen wir uns im katholischen Anstaltsgottesdienst von Pfarrer Backhaus. Weil dessen mildtätiges Hirtenherz für die »Schwachen« schlug, konnten wir dort ungestört zusammensein und voller Inbrunst alte Kirchenlieder über die Hoffnung auf ein anderes Leben und die Befreiung vom elenden irdischen Dasein singen. Die uniformierten Bewacher oben auf der Empore machte das nervös, weil sie ahnten, dass wir nicht von einem Paradies im Jenseits träumten. Und während der Pastor nach der Predigt in der Sakristei mit Gefangenen über ihre Nöte sprach und Kerzen gegen die lange Nacht im Knast verteilte, hämmerten wir auf dem Piano im Kirchenschiff unseren Blues in die Tasten.

Als ich wegen meiner Weigerung, Zwangsarbeit für BASF zu leisten, mehrfach in Einzelhaft gesteckt wurde, besuchte Backhaus mich, brachte mir Obst, nahm sich Zeit für Gespräche und versorgte mich mit Lesestoff. So mit der Autobiographie eines blinden Christen, der Widerstand gegen die deutschen Faschisten geleistet hatte. Mit den Worten »Das ist gut für den Kopf und den Mut« legte er mir das Buch in die Hand.

Lesenswerte Bücher, die verborgene Türen ins Reich der Freiheit öffneten, gingen unter den Gefangenen von Hand zu Hand. Beim Hofgang drückte mir eines Tages ein Kumpel ein Taschenbuch in die Finger. »Hier, musste lesen. Geht um Widerstand gegen die ganze Scheiße … und … um uns …« Ich nahm die abgewetzte Schwarte in die Hand: Christian Geissler, »Das Brot mit der Feile«? Nie zuvor gehört. Aber ein vielversprechender Titel. Auf dem Umschlag ein Haufen von Metallfeilen. Ein Werkzeug, dessen strenge Schönheit sich nur demjenigen erschließt, der keinen eigenen Hausschlüssel mehr in der Hosentasche hat.

Dann lag ich auf meiner harten Pritsche unter einer grauen Pferdedecke und las, was der Griot von der Waterkant über unsere Geschichte der ’60er und ’70er Jahre geschrieben hatte. Aus Hamburger Sicht zwar, aber so ähnlich hatten wir das damals auch an Rhein und Ruhr erlebt. »Alles bloß immer Hund!« sagt der Schlosser Jan Ahlers im Roman. Immer nur arbeiten, Stunden runterreißen und nie ganz zufrieden sein. »Alles ganz schön kaputt.« Das musste aufhören. Und so beschreibt Christian Geissler das progressive Moment des Aufstands der Klasse mit allen Widersprüchen, Verzagtheit, Dummheit und Verrat.

Licht an!
Aus den Knackis, die sich beim Pfarrer trafen, wurde ein verschworenes Kollektiv, das sich beim Aufschluss in eine der Zellen hockte, um bei Instantkaffee über dieses und andere Bücher zu reden und darüber, was unsere eigenen Erfahrungen mit Chefs, Bullen und Schließern damit zu tun hatten. Mattes, der Schlosser war wie Ahlers, hatte schon fast zehn Jahre Jugendstrafe hinter sich, weil er im Suff einen totgeschlagen hatte. Nun berichtete er, wie seine Arbeitskolonne im Knast Köln-Ossendorf die Eisenarmierung in die Wände der Zellen des neuen Hochsicherheitstrakts einbaute, der für »die Terroristen« vorgesehen war. Und dass Politbullen da waren, die sie beim Arbeiten überwachten. Und wie er dann später im anderen Knast irgendwann beim Hofgang einen von den Politischen traf und wie klar der im Kopf war und wie der ihm Mut gemacht hatte.

Und aus all dem Reden über das Buch mit der Feile und Singen beim Pfarrer und Köpfe-zusammen-Stecken kam es dann zum Aufruhr in der Silvesternacht. Da lag was in der Luft, musste was passieren. Der Scheißfraß, die Schikanen von Ex-Unteroffizieren, die als Schließer Karriere machten, die Ohnmacht, die toten Stunden auf Zelle Tag um Tag, die einige nicht aushielten. Ihre Schreie verhallten ungehört. Und dann zwei Stunden vor Mitternacht »Licht aus!«, und ringsum in den Reihenhäusern feiern die Leute auf das »Neue« 1982 hin. Und dann tritt der erste Knacki gegen die Tür. Bumm, bumm! Und wieder. Und er schreit: »Licht an, ihr Schweine!« Nach und nach treten und schreien immer mehr. Und ich stecke das Schlauchstück vom Wasserhahn durch den glaslosen Spion in der Zellentür und trompete in den hallenden Flügel. Dann nimmt der erste seinen Putzeimer und macht ihn zur Bongotrommel, und aus dem Treten und Schlagen auf Türen und Gitter wird ein Trommeln, ein Rhythmus. Eine stampfende Riesenmaschine rast durch den Bau. Dazu der Gesang wie von Indianern um den Totempfahl. Von den wenigen Schließern des Nachtdienstes traut sich keiner in diese heilige Hölle, sie beobachten nur von der sicheren Zentrale aus.

Dann geht draußen um den Knast das Feuerwerk los. Ich stecke Luftballons, die in einem Geburtstagsbrief waren, durch das Spionloch und blase sie nacheinander bis zum Platzen auf. Wie Böller knallen sie unter dem Jubel der Kumpel. Mit Schuhwichse als Brandbeschleuniger eingeschmierte Papierknäuel fliegen brennend als unser Feuerwerk aus den Fenstern in den Hof. Nach und nach wird das rhythmische Trommeln leiser. Zwischen den Zellenfenstern fliegen Worte über die »geile Mucke« hin und her. Irgendwann sind alle müde, und in der Stille der Nacht sind nur die Schritte und das Flüstern der Wache zu hören. Die Schließer gehen von Zelle zu Zelle und notieren die Namen der »Rädelsführer« des Silvesterkonzerts.

Beim Hofgang am Morgen ist die Stimmung gelöst wie lange nicht unter uns Blaumännern. Aber wir ahnen, was kommt. Nach dem Feiertag heißt es dann: »Einschluss für alle.« Zellen werden gefilzt und einige von uns sofort in andere Knäste verlegt. Ich bleibe und werde zu zwei Monaten Einzelhaft verdonnert. Unsere Gruppe ist zerschlagen, nicht zuletzt auch wegen der Zinker unter den Duckmäusern, die den Schließern längst gesteckt hatten, wer zu der Gruppe gehört, die den »Aufruhr« angezettelt hat.

Entsolidarisierung und Verrat zögen sich wie eine Pest durch die ganze Geschichte der Arbeiterbewegung und der Klassenkämpfe, sagte Christian. »Deswegen müssen wir nicht nur machen, was wir machen, sondern die Erfahrungen vermitteln, damit andere davon lernen können.« Das habe er mit seinen Büchern versucht und sei Inhalt seiner Besuche bei politischen Gefangenen, seiner Briefe und Auseinandersetzungen gewesen. Ich würde jetzt nicht bei dir sitzen, Christian, wenn ich nicht im Knast auf dein Buch »Das Brot mit der Feile« gestoßen worden sei, sagte ich. Er lachte: »Da siehst du, wie wichtig das ist, dass wir aufschreiben, was für die Klasse wichtig ist. Lass dir nicht einreden, Schreiben sei Nebensache! Also schreib das auf, was eure Sache ist!« forderte er. »Einer muss das machen. Nicht auf andere warten. Den eigenen Begriff der Sache formulieren, alles Wesentliche aufschreiben. Auf dass die Klasse zu sich findet im Kampf ums Leben. Und die Ergebnisse dieses Prozesses immer wieder offen machen, damit andere für sich prüfen können: Was ist richtig, was falsch? Und vor allem: Die Gefangenen zu Wort kommen lassen, wir müssen Sprachrohr für sie sein, damit sie in den Dialog treten können!« Mumia bleibe doch auch über das gearbeitete Wort am Leben. »Es braucht den Plan, sonst wird das nie!«

Da fiel mir die Stelle ein, als Aneken, Christians Ulrike-Meinhof-Figur im Buch mit der Feile, zur Studentin Antje sagte: »Wir wissen nicht, was wir tun, weil wir nicht tun, was wir wissen.« Draußen kündigte sich die Abenddämmerung an. Lass uns jetzt genau an dem Punkt für heute einen Schnitt machen, kamen wir überein. Lass uns die Verbindung halten, entschieden wir neben dem lodernden Küchenofen. Beim Abschied legte sich weicher Nieselregen übers Land. Es geht nur zusammen. Und wenn wir aus der Geschichte der Klasse lernen. »… und manchmal nur noch der nackte Mut«, sagte Christian. »Mach’s gut. Und schreib das auf. Fang das an! Lass nicht nach, Genosse, hörst du?«

Von Jürgen Heiser, junge Welt 20.4.19