Der Vorwurf des „Subjektivismus“ … Es wird dabei zwischen den Begriffen Subjektivismus und Subjektivität kein Unterschied gemacht, obwohl es Gegensätze sind. Subjektivismus ist eben eine Ideologie des zusammenhanglos existierenden Einzelnen, er ist das Denken des sich einzeln Durchschlagenden – wobei einige Elemente der Kritik der Entfremdung darin enthalten sind – aber keine Kollektivität, kein Angriff und kein Begriff von der gesellschaftlichen Entwicklung und schon gar nicht vom konkreten Zusammenhang der internationalen Klasse.
Diese neue Innerlichkeit und einiges Zeug der „Alternativen“, das ist ein Ausdruck des Subjektivismus: Rückzug, Ohnmacht, kein Begriff von der Entwicklung und vom Kampf, versenken in eine imaginäre Welt bei gleichzeitiger passiver Anwesenheit in den „Realitäten“. Es ist also kein Bruch und das Gegenteil von Subjektivität – das ist auch der Boden des Pessimismus und der Aufgabe und dementsprechend als „Handlungsanleitung zum Überleben“ das passive Selbstversenken in sich selbst.
Eine Ursache dieser ganzen Scheiße ist meiner Ansicht nach das Denken innerhalb der Grenzen, die die unmittelbare Erfahrung in den BRD-Provinzen setzt und damit der scheinbaren Abwesenheit radikaler sozialer Bewegungen. Man ist gelähmt von dem Potential des Gegners – Staat/Kapital – und ist nicht in der Lage, die konkreten internationalen Zusammenhänge und Entwicklungen wenigstens zu begreifen.
Und daraus kommen dann auch die Vorwürfe, die seit 68/69 immer wieder neu umgerührt werden, die aber nie was neues in der Kritik gebracht haben. Ich kenne diese Debatten noch von damals, sie kamen damals von den „politisch legalen Gruppen“: man müsse in der „politischen Arbeit“ von dem entfremdeten Bewußtsein von Teilen des Metropolenproletariats ausgehen, dann werde man über diese legale Arbeit zu qualitativ radikaleren Aktionen kommen und gleichzeitig die „revolutionäre Organisation“ quantitativ entwickeln. Das Schema also: Aufklärung – Erfahrung – Aktionen – sich entwickelndes Bewußtsein. Wobei hier mal die Inhalte weggelassen werden, obwohl immer Inhalt, Struktur und Ziel von Anfang an eine Einheit ausdrücken müssen, na ja. Diese Konzepte sind in der Metropole seit Anfang der 70er also geschichtlich gescheitert, es kam die Alternativbewegung, die in dieser Kritik der Guerilla aber die gleichen Argumente brachte, nun aber statt Entwicklung der „revolutionären Organisation“ der Legalen die “ Beispielhaftigkeit“ usw. der Alternativprojekte.
Dagegen geht die Guerilla von der Tatsache der Entfremdung aus, aus der sich erstens die Notwendigkeit der Befreiung ergibt und zweitens die Organisationsstruktur, in der Subjektivität und Kollektivität, Aneignung und totaler Bruch mit dem jetzigen Zustand/der Entfremdung sich entwickeln, wo die Ziele des Kampfes (Befreiung) von Anfang an in allem enthalten sind. Das ist der Unterschied und alles andere geht am Kern der Auseinandersetzung vorbei.
Die Alternativbewegung will zwar – theoretisch oder besser ideologisch – die entfremdete Existenz des Subjekts aufheben (die Änderung des alltäglichen Lebens ist Teil des Anspruchs/des Projekts), aber sie kämpft nicht, sie gettoisiert sich im Bewußtsein und bleibt tatsächlich mit dem herrschenden Dreck verbunden – und daraus entsteht dann Subjektivismus, neue Innerlichkeit und – wenigstens in einigen Teilen – Rückgriff auf Elemente des Edelfaschismus der Bewegung der 20er Jahre.
Noch mal zur Subjektivität: sie ist der im kollektiven Zusammenhang sich entwickelnde Prozeß der Aufhebung der Entfremdung im Kampf, im Angriff.
Das ist nur zu verwirklichen – in der Metropole wie die BRD – in der kämpfenden Gruppe und dann in der Bewegung der Befreiung. Im Begriff Befreiung ist das enthalten und dafür kämpfe ich. Subjektivität und Kollektivität setzen in der Gruppe oder in der Bewegung … die wirkliche Aufhebung des gesamten herrschenden Drecks, den völligen Bruch, Aneignung im Angriff. Die Alternativbewegung gettoisiert sich und behauptet, sie habe mit der kapitalistischen Gesellschaft und deren Staat gebrochen – faktisch sind sie aber mit tausend Fäden an dieser Scheiße gebunden. Sie leben in ihrer Ideologie gettoisiert und faktisch am Rande, aber nicht alternativ und abseits.
Die Guerilla (wohl auch die Autonomie in Italien) steht mit der herrschenden Entfremdung, dem System und dem Regime in Kommunikation: nämlich durch den bewaffneten Angriff, der im Zusammenhang mit den Kämpfen der internationalen Klasse konkret gesetzt ist. Bei der Guerilla ist der internationale Zusammenhang der Punkt, im Bewußtsein und praktisch, bei der italienischen Autonomie meiner Ansicht nach faktisch aber kaum bewußt (…).
So entsteht auch in der Gruppe oder Bewegung „herrschaftsfreie Kommunikation“ (Krahl).
D.h. die Herausbildung neuer Verkehrsformen in der Metropole im Kampf setzt nicht nur als Ort die kollektive freie anti-hierarchische Organisationsform und die radikale Subjektivität gegen den gesamten herrschenden Dreck, sondern z.B. auch die Veränderung der Sprache und die herrschaftsfreie Kommunikation ( nicht als „Vermittlung“). Aber das alles bleibt insofern begrenzt, weil es „negatorisch“ gegen die Lebensverhältnisse in den Metropolen erkämpft wird und immer deren Elemente noch in sich trägt – solange, bis die völlige Umwälzung und die internationale verallgemeinerte Selbstverwaltung durchgesetzt ist. Das Ziel des Kampfes erfordert seine Anwesenheit von Anfang an in den Mitteln der sich kollektiv befreienden Individuen: die Organisationsform, die zum Kampf notwendig ist, die Entwicklung der Subjektivität gegen die totale Entfremdung, die herrschaftsfreie Kollektivität, die Entwicklung autonomer Kommunikationsmittel. Das alles muß jetzt schon im Kampf gesetzt sein – denn warum sonst Kampf?
Alles andere wäre Aufrechterhaltung der ganzen Scheiße nur unter anderer Ideologie, unter den Gesten des Opfers und neuer Mystifikationen.
Aber das Problem dabei ist: in den Mitteln des Kampfes sind die Elemente der Befreiung in der Organisation, der Kommunikation usw. enthalten – aber der Kampf geschieht gegen die kapitalistische Organisation der Gesellschaft und die Entfremdung und in seiner Form sind bis zur Befreiung der Gesellschaft Momente von Einschränkung der Subjektivität und bestimmte Zwänge enthalten – was sich aus den Bedingungen des bewaffneten Kampfes ergibt. Darüber wird auch die ständige Spannung gesetzt, die verhindern muß, daß diese alten Momente sich wieder durchsetzen. Aber klar ist, daß sich nur im Angriff und im internationalen Zusammenhang die „Bewegung der Aufhebung“ entwickelt. Diese Momente der Einschränkung beziehen sich konkret auf die Situation der BRD …
19.7.80