unabhängiges Radio – Grußbotschaft von Mumia

Mumia Abu-Jamal, seit 1981 politischer Gefangener in den USA, arbeitete viele Jahre als Nachrichten Journalist von National Puplic Radio (NPR), einem öffentlichen Radio Netzwerk in den USA und auch in anderen Ländern. Im Gegensatz zu den Konzern Medien á la Fox, ABC oder auch Murdochs Medien Imperium orientiert sich NPR an einer grundsätzlicheren Art der Berichterstattung.

Obwohl es nie die Bedeutung seines britischen Gegenparts – der BBC – erreichen konnte, schätzen es viele US Amerikaner_Innen als einen sinnvollen Versuch ein, Hintergründe und tatsächliche Informationen in die öffentliche Debatte einzuführen, die der Bevölkerung ansonsten weitesgehend vorenthalten werden.

Zwar gibt es in den USA genauso wie überall sonst ein weit verzweigtes Netz unabhängiger Medien und mit „Democracy Now“ sogar einen unabhängigen, US-weiten Fernseh- und Radio Verband. Trotzdem teilen sich nur drei Medien Konzerne über 90% des Medien Marktes in den USA und üben so enorme politische Macht aus.

Am vergangenen Wochenende traf sich in Kansas City eine „Grass Roots Conference“ von Radiomacherinnen und Machern, um über die Zukunft ihrer Arbeit zu diskutieren. In über 30 Work Shops und Diskussionsrunden tauschten sich unabhängige Radio Journalist_Innen und Produzenten aus. Mumia Abu-Jamal, der bis zum sog. „Mumia Gesetz“ von 1995 (1) noch selbst aus der Todeszelle Radiosendungen auf NPR bestritt, übersandte eine Grußbotschaft an die Konferenz, in der er über seine Sicht von unabhängigem Radio sprach.
Die folgende Grußbotschaft von Mumia Abu-Jamal wurde am 19. August auf der „Grass Roots Conference“ – zu deutsch: Basis Radio Konferenz – von Radiomacherinnen und Machern in Kansas City verlesen.

Rede auf der Basis Radio Konferenz
von Mumia Abu-Jamal, 14.08.2011

In Bewegung! Lang lebe John Africa!

Liebe Freunde, Anwesende auf der Basis Radio Konferenz! Danke für eure Einladung. Ich nehme heute gerne – notgedrungen – über diesen Weg mit euch allen zusammen teil. Teilen wir doch alle unsere gemeinsame Liebe zum Radio, einem noch immer sehr lebhaften Medium.
Diese Zeit stellt große Herausforderungen an uns, was auch immer das Gebiet unser Bemühungen ist.
Das liegt an dem neuartigen ökonomischen Druck der Globalisierung und der kapitalistischen Verwertung, die unsere Türen niederrennen und versuchen, alles von Wert aufzukaufen – um es zu privatisieren, es an den höchsten Bieter zu verkaufen.

Für viele lokale und unkomerzielle Sender bedeutet das (nun) genau das, was es (zuvor) für die Konzern Medien bedeutet hat und was noch immer anhält: seine Zerstörung als ein Medium, welchem die Leute vertrauen können.
Wir sahen die Bedeutung dessen in dem Desaster, welches Irak darstellt: stellt euch das verzehnfacht oder verhundertfacht vor! Wir brauchen nicht weiter als bis nach England zu schauen, wo ein Medien Mischkonzern (UK Zeitungen wie die News Of The World) buchstäblich – für Jahrzehnte – den Prime Minister ausgesucht hat und dadurch entschied, welche Gesetze verabschiedet wurden – (bis hin zu) sozialen, ökonomischen und Sicherheitsfragen. Sie zapften tausende von Telefonen an, bestachen Polizisten für Informationen und erpressten Politiker_Innen mit Angst vor Bloßstellungen.
Unterm Strich führte dieser Mischkonzern die Regierung zugunsten seiner eigenen Interessen und machte aus der Demokratie eine Farce.

Und trotz der jüngsten Skandale wird noch immer verdunkelt, dass dieses Konzern Medium viel weiter als bis zum Einbruch in die Privatsphäre ging – das waren Verbrechen gegen die Demokratie selbst.
Als Basis Radiomacher_innen und Macher ist es eure Aufgabe, der Demokratie eine Stimme zu geben und ihr Leben (einzuhauchen). Das bedeutet, eure Mikrofone (und Kameras) den Grund des Brunnens ausstrahlen zu lassen. Die vielen Menschen, die heute Abend hungrig sind – hungrig, trotz dem Nahrungsüberfluss, der die Supermarkt Regale überschwemmt oder mit Regierungszuschüssen zerstört, begraben und rückerstattet wird.

All jene, die obdachlos sind – in der reichsten Nation seit Rom; die (Kriegs-) Veteranen, welche ohne Arme und Beine nach Hause kamen. Was denken die von ihren „Anführer_Innen“, welche sie mit Lügen in einen Krieg geschickt haben?
Wenn es der Job der Konzern Medien ist, Angst, Konflikte und Unwissen zu verkaufen (und genau das ist er!), dann liegt es an euch, Mut zu beweisen inmitten all dem Elend, der Zusammenhänge innerhalb der Gesellschaft, der Unübersichtlichkeit sowie dem bloßen Genie und dem Glanz, der in der gesamten Menschheit existiert. Es liegt an euch, zu zeigen, dass Krieg ein Sport der Könige ist – und immer gewesen ist.
Während die landesweite Ökonomie einstürzt, werden wir sehen, wie die Lage der Armen, der Arbeiter_Innen Klasse und derjenigen, die sich bisher als Mittelklasse einstuften, zusehends hoffnungsloser wird. Eure Berichterstattung kann die Größe und das Ausmaß zeigen.
Die meisten Medien beruhen auf Zeitungen – aber das könnte sich ändern. Denn Zeitungen verlieren überall im Land durchschnittlich 10% ihrer Leser_Innenschaft pro Jahr. Für die meisten Jüngeren sind die abendlichen Fernseh-Netzwerk Nachrichten nicht nur langweilig, sondern bedeutungslos.
Sicherlich spüren diese Medien die Effekte der Zuwendung zum Internet. Aktuellen Berichten zufolge sind Kabel- und Satelliten Abonnements zum ersten Mal zurück gegangen. Vielleicht ist das ein Spiegel der Wirtschaft – jeden Cent mehrfach umzudrehen.

Aber ratet mal, welches Medium wächst? Radio.
NPR (National Public Radio) hat seine Zuhörerschaft in den letzten Jahren praktisch verdoppelt. Einige werden zweifeln, ob deren Stationen, besonders die lokalen, wirklich mit den Konzern Medien mithalten können. Unter dem Telekommunikations-Gesetz von 1996 hat die Freigabe dieses Wirtschaftszweiges zu enormen Konzerneigentum geführt. Und zur Abschaffung der Fairness Regeln sowie für viele afroamerikanischen Stationen zu einem Ende der Nachrichten überhaupt.
Warum sollte das lokale, fortschrittliche und öffentliche Radiomacherinnen und Macher interessieren? Eine Studie der Universität von Chicago unter afroamerikanischen Jugendlichen ergab, dass 60% – 60% – der Hörer_Innen das Musik Programm der Station (gemeint ist NPR) nicht mochten.
Diese Hörerschaft wird also mit einer Musikauswahl belästigt, die sie kaum aushalten können! Aber was wäre, wenn sie am Rande des Äthers Musik, Nachrichten und Informationen finden könnten, die sie mit grundsätzlichem Respekt ansprächen? Die ihre Geschichten erzählten, ihnen eine Stimme, Vermittlung und einfache menschliche Würde gäbe?
Wie könnte das nicht unwiderstehlich sein?

Es könnte bahnbrechend sein. Und beobachtet das Wiedererstarken des Öffentlichen Radios, welches gleichzeitig den nullachtfünfzehn, respektlosen und an die niederen Instinkte appellierenden Konzernansatz über Bord wirft, der das Radio so leer gemacht hatte.
Der Grund, warum Radio funktioniert, ist sehr einfach. Es ist die menschliche Stimme – im dunkeln. Geschichten erzählen – Menschen mit Menschen verbinden.
Die talentierte Sängerin Macy Gray singt: „There is beauty in the world“ (- zu deutsch: Es gibt Schönheit in der Welt).
Das aufzuzeigen und zu teilen ist eure Aufgabe.
Denn es wird viel mehr als den puren Willen benötigen, um diese Gesellschaft zu verändern. Es werden Hoffnung, Liebe und Vertrauen benötigt.
Menschen müssen in der Lage sein, einen besseren Weg sehen und einschätzen zu können. Mit eurer Arbeit könnt ihr einen kurzen Eindruck davon vermitteln, wie sich dieser Weg anhört.
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(1) Mumia Abu-Jamal sendete bis 1995 regelmässig aus dem Todestrakt. Als eine Hinrichtung gegen ihn angesetzt wurde, besuchten ihn zahlreiche Kamera Teams und Zeitungen für Interviews. Das gab der Bewegung für das Leben und die Freiheit Mumia Abu-Jamals den notwendigen öffentlichen Nachdruck, um den geplanten Justizmord zu verhindern. Nach der gescheiterten Hinrichtung Abu-Jamals verabschiedete das Parlament Pennsylvanias ein Gesetz, dass es allen Gefangenen im Bundesstaat verbot, interviewt, aufgenommen oder gefilmt zu werden.