Nicht erst seit dem 11. September 2001 und den damaligen Ereignissen in den USA wird verstärkt über den Einsatz von Folter oder anderer „harter Verhörtechniken“ diskutiert; seit mehreren Jahren wird Folter aber auch z.b. gegenüber Kindesentführern ganz ernsthaft erörtert.
Der Fall Gäfgen
Magnus Gäfgen wurden am 4. August 2011 vom Landgericht Frankfurt a. Main 3000 Euro Entschädigung dafür zugesprochen, dass er nach seiner damaligen Verhaftung von Polizeibeamten mit Folteranwendung bedroht wurde. Er stand in Verdacht, den Sohn eines Frankfurter Bankiers entführt zu haben; der Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner vermutete, das Kind lebe noch und Gäfgen sollte gezwungen werden, das Versteck preis zu geben. Er ordnete an, dass Gäfgen vermittelt werden solle, er würde die „Schmerzen seines Lebens“ erleiden müssen, gebe er nicht endlich das Versteck preis. Ferner ließ Daschner einen Kampfsportler und einen Arzt anfordern, um, würde sich Gäfgen weiter weigern auszusagen, zur Folterung schreiten zu können.
Angesichts der Drohungen packte Gäfgen aus; das Kind hatte er schon zuvor getötet und führte die Beamten somit nur noch zum Fundort des Leichnams. Verurteilt wurde Gäfgen u.a. wegen Mordes zu lebenslanger Haft; dennoch bestand er darauf, dass die angedrohte Folter rechtswidrig gewesen sei.
Der Fall Daschner
Der (damalige) Polizeivizepräsident erfuhr breite Unterstützung für die Vorgehensweise im Fall des entführten Bankierssohnes.
Beispielsweise äußerte der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Mackenroth, Verständnis für die Androhung der Folter (später brachte es dieser Richter immerhin zum Justizminister in Sachsen). Insbesondere auf „der Straße“ war Daschner fast so etwas wie ein Held; und auch sein Dienstherr zeigte viel Verständnis. Nach einer kurzen Schamfrist beförderte man Daschner und so konnte er wenige Jahre später, ausgestattet mit einer höheren Pension als er sie als Polizeivize hätte erreichen können, seinen Hut nehmen.
Strafrechtlich beließ es eine Frankfurter Strafkammer mit der mildesten Sanktion des Erwachsenenstrafrechts: Einer Verwarnung mit Strafvorbehalt.
Der Fall Ennigkeit
In den Medienberichten konzentrierte sich die Aufmerksamkeit meist auf Daschner, aber sein Erfüllungsgehilfe war Kriminalhauptkommissar Ortwin Ennigkeit. Dieser übermittelte Gäfgen die Drohungen, man werde ihn „unter ärztlicher Aufsicht durch Zufügung von Schmerzen (keine Verletzungen)“ – so der Aktenvermerk Daschners – zu einer Aussage bewegen. Am 5. Oktober 2011 räumte RTL in der Sendung „Stern TV“ Ennigkeit breiten Raum ein, sein damaliges Verhalten darzustellen und Werbung für sein jüngst erschienenes Buch („Um Leben und Tod – wie weit darf man gehen, um das Leben eines Kindes zu retten?“) zu machen.
Unkritisch bis an die Schmerzgrenze interviewte Steffen Halaschka (Nachfolger von Günter Jauch bei „Stern TV“) den Kriminalbeamten. Dieser bekräftigte, er werde in einer ähnlichen Situation genauso wieder handeln. Mit Fassungslosigkeit habe er verfolgt, wie man Gäfgen 3000 Euro Geldentschädigung zubilligte. Im übrigen bestritt Ennigkeit nachdrücklich, dass die Folterdrohungen zu einem Geständnis geführt hätten. Vielmehr sei seine geschickte Vernehmungstaktik ursächlich gewesen. Hinsichtlich der Folterankündigung verstehe er bis heute nicht, dass Daschner und er bestraft worden seien, schließlich handele es sich hier um eine „rechtliche Grauzone“.
In besagter Stern TV-Sendung durften die ZuschauerInnen via Internet abstimmen, ob die Folterandrohungen in Ordnung gewesen wären. Stolz verkündete Halaschka, der Moderator, am Ende, das „95 %“ mit „Ja“ abgestimmt hätten.
Reaktion der Medien auf das Entschädigungsurteil
Hier soll nicht auf Zeitungen wie BILD eingegangen werden, deren Volkszorn-Pöbeleien sind wohlbekannt. Exemplarisch sei auf Gisela Friedrichsen (DER SPIEGEL, 32/2011, S. 42) eingegangen. Sie pöbelt nicht weniger als BILD, allerdings auf intellektuell etwas höherem Niveau. Sie hält es für – Zitat – „unmenschlich“, dass die 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt dem „Kindesmörder“ 3000 Euro Entschädigung zubilligte. Dieser habe schließlich seinerzeit die Fahnder der Polizei „(ge)quält“ und „zermürbt“. Er habe die Polizeibeamten regelrecht „hinein(ge)trieben“ in die Folterandrohung.
Hier habe, mit seiner Zivilklage auf Schmerzensgeld, ein „gemeiner Mörder (…) skrupellos seine Interessen“ durchgesetzt. Der Leser, die Leserin spürt geradezu, wie Friedrichsen der Blutdruck gestiegen sein muss.
Zu differenzieren zwischen Mordtat (die unentschuldbar ist) einerseits und dem Verhalten der Polizei andererseits mag vielen nicht leicht fallen, ist aber zwingend notwendig.
Staatliche Folter ist niemals gerechtfertigt
Nicht beurteilt zu werden braucht hier die Frage, wie eine Konstellation zu bewerten wäre, fiele ein möglicher Tatverdächtiger z.b. den Eltern eines entführten Kindes in die Hände und diese würden dem Verdächtigen zusetzen. Aber für die staatlichen Repressionsorgane kann es niemals eine Rechtfertigung geben, zu foltern oder Folter anzudrohen.
Wie im übrigen der Rechtsanwalt von Gäfgen in einem Interview mitteilte, würden immer mal wieder Mandanten von Schlägen und Misshandlungen berichten, die auf deutschen Polizeirevieren vielleicht nicht an der Tagesordnung sein mögen, jedoch auch keine singulären Ereignisse darstellen. Nur rate er – der Anwalt – jedoch seinen Mandanten regelmäßig davon ab, diese Vorfälle weiter zu verfolgen, da sie diese schlicht nicht würden beweisen können. In den seltensten Fällen nämlich würde ein Polizist sein Vorgehen in einem Aktenvermerk niederlegen; so wie seinerzeit Daschner. Hätte dieser die Folterdrohungen nicht aktenkundig gemacht, wohl kaum jemand hätte Gäfgen später entsprechende Vorwürfe geglaubt.
Eine Gesellschaft muss aushalten, dass nicht alles getan wird, was Menschen sich auszudenken vermögen; und sei der Zweck noch so heilig.
Folgen des Urteils für die Polizei
Das Urteil des Zivilgerichts dürfte nichts an der täglichen Polizeipraxis ändern. Die schon erwähnte Friedrichsen, Sprachrohr des selbsternannten „Sturmgeschütz der Demokratie“ betonte in ihrem Kommentar, dass Daschner und seine Kollegen gestraft genug seien, schließlich sei ihr Vorgehen „von mehreren Gerichten missbilligt“ worden.
Ein sehr milde Sicht der Dinge. In der Realität dürften sich Polizeibeamte eher ermuntert fühlen zu „harten Verhörmethoden“ zu greifen, denn gerade an Daschner können sie verfolgen, wie schnell man anschließend die Karriereleiter hinauf fällt. Sind dann noch Kinder als Opfer im Spiel, findet sich auch genug mediale Unterstützung und Zustimmung.
Vermeidet man es ferner, sein Tun in einem Aktenvermerk zu dokumentieren, so ist die Wahrscheinlichkeit gleich Null, dass irgendetwas ans Licht kommen wird.
Um nicht missverstanden zu werden: Es gibt genug Staaten, in welchen es wesentlich brutaler zugeht auf den Polizeistationen (und auch in den Gefängnissen), dies ändert jedoch nichts daran, dass auch auf deutschen Polizeiwachen (und in Gefängnissen) geschlagen, getreten und misshandelt wird – und mitunter sogar Menschen sterben müssen!
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA – Z. 3113, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal