Türkische Ultranationalisten sind in Deutschland gut organisiert, die Politik guckt weg
Viele Mitglieder der »Grauen Wölfe« engagieren sich in deutschen Institutionen. Die Interventionistische Linke informierte auf einer Tour über die oft gut getarnten Rechtsextremen.
Von Josephine Schulz nd 8.6.
Die Liste ihrer Feinde ist lang: Juden, Armenier, Griechen, Kommunisten und allen voran die Kurden. Die Grauen Wölfe, die sich selbst auch als »Idealisten« (Ülkücüs) bezeichnen, träumen von einem Großtürkischen Reich, ethnisch homogen, vom Balkan bis nach China. Auch in Deutschland haben die türkischen Ultranationalisten längst ein weitreichendes Netz von Vereinen etabliert. Intern schwören sie auf einen »Kampf bis zum letzten Tropfen Blut« für das zu schaffende Reich »Turan«. Für Außenstehende sind die Wölfe jedoch oft nicht leicht zu erkennen. Ihre Strategie hierzulande: Tarnung und Unterwanderung von Parteien, Jugendorganisationen und Ausländerbeiräten.
Ein Sprecher der niedersächsischen Linksjugend Solid hat im Internet Hinweise gesammelt, die auf einen Grauen Wolf bei den Jungliberalen schließen lassen. Er veröffentlichte Fotos, auf denen der Anhänger der Ülkücüs mit dem Landesvorsitzenden Lars Alt posiert und als neues Mitglied begrüßt wird. Der Linksjugendsprecher erzählt, dass er daraufhin unzählige Drohungen und Hasskommentare erhalten habe. Lars Alt versprach ihm, den Vorfall zu klären. Dass graue Wölfe in Parteien mitmischen, ist keine Seltenheit. Gründervater Alparslan Türkes hatte die Ülkücüs kurz vor seinem Tod aufgerufen, sich in der CDU zu engagieren. Einige, die diesem Aufruf folgten, sind bekannt. Gegen den Lokalpolitiker Zafer Topak wurde ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet, er legte Widerspruch ein, nun muss das Landesparteigericht entscheiden. Topak saß im Vorstand der CDU in Hamm. Bei Frontal 21 sagte er, dass es in der CDU »jede Menge Sympathisanten oder Mitglieder dieser Organisation« gebe, die nicht ausgeschlossen würden, da die Partei sie »als Stimmenbringer« benötige. Aber nicht nur in deutschen Parteien versuchen die Grauen Wölfe ihren Einfluss geltend zu machen, auch in Integrationsräten machen sie sich als Sprachrohr ihrer Community breit.
Ihre faschistische Ideologie würden sie in diesen Institutionen jedoch nicht preisgeben, meint Orhan Sat. Der Gewerkschafter hat sich lange mit den Grauen Wölfen beschäftigt. Er kommt selbst aus der Türkei, hat die Ülkücüs dort als Jugendlicher erlebt. Zusammen mit der Interventionistischen Linken ging er kürzlich auf Tour durch Deutschland, um über die Wölfe aufzuklären. Er stellte fest: Auch unter Linken wissen nur die wenigsten um die weitreichende Organisation der Ultranationalisten. Sat findet es gefährlich, dass Politik und Sicherheitsbehörden die »Idealisten« so ungestört schalten und walten lassen. Dass die nicht wüssten, mit wem sie es zu tun hätten, hält er für ausgeschlossen. »Die Entstehung dieser Netzwerke wurde von der Politik ignoriert. Nach dem Motto: Hauptsache sie organisieren sich nur nach innen und stören nicht.« Tatsächlich scheint kaum jemand etwas von den radikalen Netzwerken wissen zu wollen. Die Linksfraktion konfrontierte die Regierung in einer kleinen Anfrage: Was über die Unterwanderung der Parteien bekannt sei, ob »Idealisten« als Kandidaten für Wahlen aufgestellt wurden und auf welche Weise Jugendliche von dem Spektrum angeworben würden. Über all das weiß die Bundesregierung ihrer Antwort zufolge angeblich nichts. Und das, obwohl sich die ersten Idealistenvereine in Deutschland vor knapp 40 Jahren gründeten. Mit der »Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa« (ADÜTDF) schaffte sich die türkische, rechtsextreme »Partei der Nationalen Bewegung« (MHP) von Alparslan Türkes Ende der 70er eine Auslandsabteilung in Frankfurt. In der Türkei verübten die Anhänger der MHP über Jahrzehnte Pogrome, bei denen hunderte Menschen getötet wurden.
Neben der ADÜTDF gibt es in Deutschland zwei weitere Dachorganisationen in denen Ülkücüs organisiert sind: die »Union der türkisch-islamischen Kulturvereine in Europa« (ATIB) und der »Verband der türkischen Kulturvereine in Europa« (ATB). Zusammen unterhalten sie über dreihundert Vereine, offiziell wird die Anzahl der Mitglieder auf etwa 20 000 geschätzt. Orhan Sat glaubt, dass die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher ist. Einen wichtigen Grund für den Einfluss der »Idealisten« sieht Sat in der Tatsache, dass es sich bei den Organisationen auch um große Dienstleister handelt.
»Die Ableger der MHP haben in Deutschland starke wirtschaftliche Strukturen aufgebaut. Mit Reisebüros, Bestattungsunternehmen und anderen sozialen Angeboten generieren sie massive Einnahmen.« So binden die Vereine auch Jugendliche und ihre Familien an sich, für nahezu jedes Bedürfnis, jedes Alltagsproblem bieten sie eine Lösung. Sat meint jedoch: »Ihre Stärke ist gleichzeitig ihre Schwäche. Damit sie ungestört bleiben, müssen sie unauffällig sein, um Ärger mit Sicherheitsbehörden und Finanzämtern zu vermeiden.«
Tatsächlich bleibt es aber auch in Deutschland längst nicht bei rechten Lesezirkeln. 1980 wurde der Gewerkschafter Celalettin Kesim von türkischen Rechtsextremen ermordet, 15 Jahre später ein 21-jähriger Kurde. Gegenüber Kurden kommt es immer wieder zu Gewalttaten. Im Zuge des Wahlkampfes wurde im vergangenen Jahr das Büro der prokurdischen Partei HDP in Berlin-Kreuzberg Ziel von Brandanschlägen. Von den Sicherheitsbehörden würden solche Vorfälle singularisiert, als individuelle Gewaltakte dargestellt, meint Sat. »Aber innerhalb dieser Community werden die Täter wie Helden verehrt.« Die Aufforderung zu Taten passiere oft indirekt. Ein Beispiel: »Wenn Erdogan im Zuge der Armenien-Resolution öffentlich sagt, Cem Özdemir habe womöglich unreines Blut, dann macht er ihn damit zum Ziel der Grauen Wölfe.«