„Unser Protest ist, war und bleibt legitim“ – Prozess gegen Aylin erfolgreich beendet

Mehrere Aktivist:innen in Köln wurden nach palästina-solidarischen Aktionen an der Universität zu Köln von der Uni-Leitung angeklagt. Rund um die angeklagte Aktivistin Aylin organisierte sich eine politische Kampagne gegen die Repression. Am 12.05. begleiteten wir als Perspektive Online die Aktivistin zu ihrem Gerichtstermin.
An einem sonnigen Montagmorgen wird das sonst eher trist aussehende Amts- und Landesgericht Köln durch laute Parolen, Musik und kämpferische Redebeiträge geweckt: Vor dem Amtsgericht hat sich eine Kundgebung aufgebaut. Rund 40 Menschen haben sich vor dem Amtsgebäude versammelt – mit Palästina-Fahnen in der Hand, Kuffiyehs um den Hals und einer klaren Message: „Unser Widerstand ist legitim!“

Der Anlass: Die Kriminalisierung von Palästina-Solidarität und die Anklage gegen elf Aktivist:innen durch die Universität zu Köln, darunter die junge Auszubildende Aylin. Obwohl sie selbst nicht zur Uni geht, hat sie sich dennoch im Sommer 2024 an den Protestwellen in und um Universitäten beteiligt, um auf die Mittäterschaft des deutschen Staats am Genozid in Palästina aufmerksam zu machen und die Verbindungen deutscher und israelischer Universitäten offen zu legen. Am 12. Mai wurde sie dafür vor Gericht gezerrt.

Auf politische Repressionen politisch antworten!
Anstatt sich von dem gelben Brief der Staatsanwaltschaft, dem Gerichtsprozess oder der drohenden Geldstrafe einschüchtern zu lassen, wurde sich dazu entschieden, diese öffentlich zu machen und selbst zu einem politisierenden Ereignis zu machen.

Aylin und die sozialistische Jugendorganisation Internationale Jugend organisierten Info-Tische an der Universität, verteilten Flyer, hängten Plakate auf und veranstalteten einen Spendenabend. Immer wieder kamen sie mit Menschen über den anhaltenden Genozid in Palästina, die Unterstützung durch den deutschen Staat und die aggressiven Repressionen insbesondere gegen die palästina-solidarische Bewegung ins Gespräch – und darüber, warum trotz alledem Protest wichtig und notwendig ist.

Im Vordergrund stand dabei immer, dass keine Repression, möge sie auch noch so hart sein, den Kampfgeist und Widerstandswillen der Unterdrückten brechen könne: „Egal wie hoch die Geldstrafe heute ausgefallen wäre, egal, ob ich mit einer noch viel härteren Strafe heute verurteilt worden wäre: Unser Widerstand wäre weiterhin legitim und wird es auch immer sein“, so Aylin nach ihrem vierstündigen Gerichtstermin.

Der Prozess – kämpferische Stimmung im Saal
Rund eine Stunde nach Beginn der Kundgebung wird der Prozess um 11:42 Uhr eröffnet. Richterin, Staatsanwalt, Verteidiger und Aylin setzen sich. Am anderen Ende des Raums müssen Stühle hinzu gestellt werden, zu viele solidarische Menschen sind gekommen. Circa 30 Personen, einige von ihnen mit Kuffiyeh, begleiten den Prozess, klatschen, jubeln und lachen, draußen wird laut Musik gespielt. Von Einschüchterung, Niedergeschlagenheit oder Betrübnis aufgrund des Gerichtsverfahrens keine Spur.

Nachdem die Staatsanwaltschaft den Vorwurf der gemeinschaftlichen Nötigung und des Hausfriedensbruchs verlesen hat, meldet sich Aylin zu Wort. Nach einem kurzen Abriss über die aus den USA auf die ganze Welt übergeschwappten Studierendenproteste in Solidarität mit den Menschen in Palästina beendete sie ihre Einstiegsrede mit folgender Aussage: „Palästinasolidarität, Antikriegsprotest wird durch Strafen unmöglich gemacht und delegitimiert. Unser Protest am 4. Juli 2024 ist, war und bleibt legitim. Es ist und bleibt legitim, gegen Aufrüstung, Krieg und das Morden in Gaza zu protestieren. Es ist und bleibt legitim, gegen Kriege zu sein.“

Diese einleitenden Worte begleiteten den Prozess von Anfang bis Ende. Denn während sich viele Paragraphen und juristische Schlupflöcher um die Ohren geworfen wurden, stand trotzdem immer wieder die politische Intention hinter den Blockaden im Vordergrund. Selbst die Richterin betonte die Notwendigkeit von demokratischem Protest in der aktuellen gesellschaftlichen Lage und wiederholte ihren Wunsch, das Verfahren ohne Urteil fällen zu wollen. Auch ein geladener Zeuge betonte die politische Prozessführung, verweigerte die Aussage und rief zum Schluss die Parolen: „Nieder mit der deutschen Kriegsmaschinerie! Freiheit für Palästina!“.

Doch nicht nur der politische Inhalt des Prozesses machten ihn besonders. Zum ersten Mal war auch der Rektor der Universität als Zeuge vor Ort, sagte gegen die Aktivistin aus und betonte mehrere Male, dass er eine Einstellung des Verfahrens nicht in Betracht ziehen wolle. Hinzu kam, dass Aylins Prozess im Vergleich zu den Verfahren gegen andere Aktivist:innen um einiges länger dauerte: Statt der erwarteten 30 Minuten zog sich der Prozess über mehr als vier Stunden und endete gegen 15:30 Uhr.

Universität und Staatsanwaltschaft: Nicht auf unserer Seite!
Der Rektor der Universität und die Staatsanwaltschaft beharrten jedoch auf einer strafrechtlichen Verfolgung der Aktivistin. Während die Richterin bereits zu Anfang des Prozesses klar machte, dass der Vorwurf der gemeinschaftlichen Nötigung zu keinem Zeitpunkt erfüllt sei, kramten sich die Ankläger:innen immer wieder neue Argumente zusammen: Sie behaupteten, dass alle Eingänge zur Universität blockiert gewesen seien und dadurch der Uni-Betrieb gestört worden wäre und dass Personen von den Protestierenden geschubst und gezwungen worden seien, einen anderen Eingang zu nehmen. Weder konnten diese Behauptungen bestätigt werden, noch hätten sie irgendeine Relevanz für die politische Legitimität des Protestes gehabt.

Was hier deutlich wurde, ist, dass nicht nur deutsche Universitäten mit dem israelischen Staat kollaborieren. Sie geben sich auch die Hände mit dem deutschen Staat und seinen Repressionsbehörden, wenn es darum geht, politischen Protest im Land zu unterbinden. Die Universität in Köln ist nämlich nicht die Einzige, die der polizeilichen Willkür und Gewalt gegen die zum Teil eigenen Studierenden freie Bahn lässt – sei es in Leipzig nach einer Besetzung im Mai letzten Jahres oder in Berlin, wo vier jungen Menschen bis vor kurzem noch die Abschiebung drohte, weil sie sich an Palästina-Protesten beteiligten.

„Wir können gewinnen!“
Zwar wurde das Verfahren nicht eingestellt, trotzdem wurde gefeiert. Denn erstens konnte der Vorwurf der gemeinschaftlichen Nötigung nicht bestätigt und die ursprüngliche Geldstrafe von 800 Euro auf 300 Euro auf Bewährung für ein Jahr gesenkt werden. Zudem hat der Tag bewiesen, dass politische Aktivist:innen Kämpfe selbst vor Gericht gewinnen können. Der Tag hat gezeigt, dass Organisierung, Solidarität und der politische Kampf für eine bessere Welt die Einschüchterungsversuche des deutschen Staats bei Weitem in den Schatten stellen können.

Für die Protestierenden bedeutet das einmal mehr, dass den Kopf in den Sand zu stecken keine Option ist. Und das gilt nicht nur angesichts drohender Gerichtstermine und Repressionen. Gerade in Zeiten der weltweiten Kriegsvorbereitungen, des Aufstiegs faschistischer Kräfte bis in die Regierungsspitzen einiger Länder, der zunehmenden Angriffe auf die Unterdrückten und Ausgebeuteten der Welt bleibt für sie der optimistische Blick in die Zukunft und das Vertrauen in die eigene Kraft, die Welt zu verändern, essentiell.

So zog auch die Moderation zum Abschluss der Prozesskundgebung das Fazit: „Solange das Kapital herrscht, wird es Aufrüstung und Kriege geben. Unser Kampf wird anhalten, bis wir eine Gesellschaft erkämpft haben, in dem der Frieden gesiegt hat.“

https://perspektive-online.net/2025/05/unser-protest-ist-war-und-bleibt-legitim-prozess-gegen-aylin-erfolgreich-beendet