Einbruch von Vietnamkriegsgegnern beim FBI enthüllte den Überwachungsstaat
Am 8.März 1971 brachen Unbekannte in ein FBI-Gebäude in Philadelphia ein und stahlen nicht etwa Wertsachen, sondern Tausende Akten. Das Material landete bei der Washington Post, welche die Nation über die massive Überwachung der eigenen Bevölkerung informierte. So hatte das FBI die Bürgerrechts- und Friedensbewegung mit geheimdienstlichen Methoden nicht nur ausspioniert, sondern betrieb sogar ein systematisches Programm mit Maßnahmen zur Infiltrierung und Zersetzung entsprechender Gruppierungen. Fast 43 Jahre nach dem geheimnisvollen Einbruch enthüllten noch lebende Aktivisten nunmehr ihre Identität.
Ende der 1960er Jahre waren viele US-Bürgerrechtler, die vergeblich gegen den Vietnamkrieg und gegen Rassismus protestiert hatten, von der Effektlosigkeit ihrer Demonstrationen und Petitionen frustriert. Etliche spürten auch die systematische Überwachung der Friedensbewegung durch das FBI – darunter der Haverford-Kernphysiker Prof. Dr. William Davidon. Davidon war ein bekannter Friedensaktivist, dessen Warnung vor der Wasserstoffbombe 1959 sogar Chruschtschow zitiert hatte. Vor dem Vietnamkrieg hatte Davidon in Fort Dix in einem Kaffeehaus mit Truppen diskutiert und wurde 1965 festgenommen, weil er in der Nähe von Rüstungsbetrieben Flugblätter verteilt hatte.
Um Beweise für die systematische Überwachung von Friedensaktivisten zu sichern, schlug Davidon sieben Mitstreitern vor, in ein Gebäude der Bundespolizei Federal Bureau of Investigation (FBI) einzubrechen. Einige der Aktivisten waren bereits zuvor in Philadelphia dazu übergegangen, in Büros der Wehrdienstverwaltung einzudringen und Einberufungsakten zu zerstören. Zur Vorbereitung des Coups observierte die selbst ernannte „Bürgerkommission zur Untersuchung des FBI“ das Gebäude und seine Besucher zunächst von außen. Die Studentin Bonnie Raines betrat das Bauwerk unter dem Vorwand, sie interessiere sich für eine Stelle beim FBI, um auf diese Weise die Räumlichkeiten auszuspionieren. Dabei fiel ihr auf, dass es keinerlei Alarmanlagen oder Wachen gab, dafür aber eine ungesicherte Hintertür. Während dieser Phase achtete die Gruppe darauf, ihr sonstiges Engagement nicht zu vernachlässigen, um keine durch Verhaltensänderung erkennbare Spuren zu verursachen.
Als Termin wählten die Verschwörer den „Kampf des Jahrhunderts“ zwischen den legendären Boxern Muhammad Ali und Joe Frazier, der die Kapazitäten der nun einmal boxinteressierten Cops und anderer Passanten binden würde. Die Einbrecher tarnten sich mit seriöser Businesskleidung und Aktenkoffern. Keith Forsyth hatte einen Fernkurs im Schlösserknacken besucht, nutzte an diesem Abend aber ein Brecheisen, mit dem er sofort zum Ziel kam. Die „Bürgerkommission“ sackte eilig alles ein, was interessant schien. Bonnies Ehemann John, der ebenfalls einmal bei einer Demonstration verhaftet worden war, steuerte das Fluchtauto zu einer Quäkerfarm, wo die Gruppe das Material sichtete.
Die Ausbeute übertraf die Erwartungen bei Weitem. Der sinistre J. Edgar Hoover hatte die von ihm aufgebaute Bundespolizei FBI in einen politischen Geheimdienst verwandelt, der nicht nur die eigene Bevölkerung mit nachrichtendienstlichen Methoden ausspionierte, sondern auch aktive Zersetzungsmaßnahmen gegen die Friedensbewegung sowie die Bürgerrechtsorganisationen der Schwarzen durchführte. Die Kriegsgegner sollten mit der Suggestion einer paranoiden Atmosphäre eingeschüchtert werden, dass das FBI sie umfassend überwache, buchstäblich hinter jedem Briefkasten ein FBI-Mann lauere.
Die schockierten Einbrecher sandten ihr Material anonym u.a. an die Washington Post, wo die Journalistin Betty Medsger die Affäre ins Rollen brachte. Justizminister John Mitchell, der für Nixon den Wahlkampf gemanagt hatte, versuchte, die Zeitung wegen angeblicher Gefahr für Menschenleben von der Veröffentlichung abzuhalten – vergeblich. Das FBI setzte fast 200 Agenten ein, um die Einbrecher vor Ablauf der strafrechtlichen Verjährungsfrist zu finden und fahndete insbesondere nach der mysteriösen Besucherin. Unter den schließlich Verdächtigen war gerade einmal einer der Beteiligten.
In dem Material stießen Journalisten erstmals auf die Codebezeichnung COINTELPRO – Counter Intelligence Program. FBI-Agenten hatten die kritischen Vereinigungen nicht nur beobachtet und abgehört, sondern durch eigene Leute unterwandert und störten diese von Innen. Von Außen versuchte man gezielt, Aktivisten durch gefälschte Briefe etc. in Misskredit zu bringen oder mit Drohbriefen unter Druck zu setzen. Polizei und FBI machten Zielpersonen mit gefälschten Beweisen und falschen Aussagen zu Straftätern, die man gegebenenfalls aus dem Verkehr ziehen konnte. Insbesondere die Schwarzen-Bewegung wurde durch gewaltsame Anschläge eingeschüchtert. Oberspion Hoover, dessen Geheimnisse nun selbst ausspioniert waren, beendete sein eigenmächtiges COINTELPRO 1972 noch vor den Enthüllungen.
Justizminister Mitchell geriet schließlich selbst wegen Abhöraktionen ins Zwielicht, darunter ein weiterer Einbruch, den er selbst zu vertreten hatte: den ins Watergate-Hotel. Als Mitchells Frau die Verwicklungen öffentlich machte, stellte er sie zunächst erfolgreich als psychisch krank dar, wurde später jedoch wegen Verschwörung, Behinderung der Justiz und Meineid verurteilt. Nixon kam einem Amtsenthebungsverfahren zuvor. Die Entrüstung über das Ausspionieren von US-Bürgern mündete schließlich in offiziellen Kommissionen zur Untersuchung der US-Geheimdienste Mitte der 1970er Jahre. Dabei wurde der nach Senator Frank Church benannten Kommission auch ein vom Auslandsgeheimdienst CIA betriebenes Überwachungsprogramm im Inland bekannt. In dieser „Operation CHAOS“ führte die CIA eine mit dem FBI und der NSA abgestimmte Watchlist von 300.000 Kriegsgegnern. Auch die Daten der Steuerbehörde IRS wurden verwendet. CIA-Chef Richard Helms räumte rein, die CIA sei auch zum Töten (etwa durch Gift) vorbereitet.
Die Enthüllungen des Church Committee zogen massive Einschnitte bei FBI und CIA nach sich und führten vor allem bei der CIA zu Massenentlassungen. Bei der NSA wurde der FISA-Court eingerichtet, der zumindest der Idee nach den Schutz von Bürgerrechten gewährleisten sollte. Der aufgrund seines Herrschaftswissens unantastbare FBI-Chef Hoover war bereits 1972 verstorben. Seit den 1980er Jahren stellt das FBI auch Ermittler mit schwarzer Hautfarbe ein.
Das „Bürgerrechtskomitte“ von Davidon hatte seinen Zweck erfüllt. Wie vereinbart hielt Prof. William Davidon den Einbrauch zeitlebens geheim. Er wechselte in die Mathematik und verstarb 2013. Bonnie Raines arbeitete als Anwältin für Kinderrechte, John Raines wurde Professor für Theologie, Keith Forsyth fuhr Taxi. Vier Jahrzehnte später nun vertrauten die vier (sowie ein weiteres Mitglied, Bob Williamson) sich endlich auch persönlich der Journalistin Betty Medsger an, die am Dienstag im Rahmen einer Buchvorstellung erstmals die Identität der Einbrecher aufdeckte. Eine Dokumentation mit dem Titel 1971 ist angekündigt.
Eigentlich hatten auch die Verschwörer (die auch dem Wohl ihrer Kinder verpflichtet waren), ihr Geheimnis mit ins Grab nehmen wollen, jedoch fühlten sie jetzt eine Seelenverwandtschaft mit Edward Snowden. Wie in seinem Fall gab es niemanden, an den sie sich seinerzeit hätten wenden können, um rechtsstaatswidrige Praktiken des FBI zu beenden. Raines, inzwischen in seinem 80.Lebensjahr, grüßte Snowden mit einem Winken in die Kamera: „From one whistleblower to another“.