WEF: Die Schweiz als sicheres Hinterland

Es ist kein Zufall, dass das World Economic Forum (WEF) in der Schweiz durchgeführt wird. Der Schweizer Staat bietet sich dem Kapital einmal mehr als Dienstleister an. Da sich das WEF als Drehscheibe der Gesamtinteressen des internationalen Kapitals versteht, sind die «Qualitäten» des ruhigen Hinterlandes gefragt.

(agkkz) Wie jedes Unternehmen produziert und vermarktet das WEF Waren. Hier in Form von Dienstleistungen, welche für das Kapital als Ganzes, aber insbesondere den beteiligten Konzernen und Regierungen einen Gebrauchswert haben. Dieser besteht im Glätten der Widersprüche, welche die kapitalistischen Eliten durch ihre Produktionsweise ständig verursachen. Sie können sich dort als Privatleute begegnen, ohne offizielle Entscheidungen fällen zu müssen. Dies im Unterschied zu allen anderen internationalen Gremien: Bei den Weltwirtschaftsgipfeln treffen sich die Eliten in der Rolle von Regierungen und ihren Stäben, in den BrettonWoods-Institutionen (IWF, Weltbank, WTO) als Entscheidungsträger, die versagen können, wenn die Treffen platzen (wie seinerzeit – dank der Antiglobalisierungsbewegung – in Seattle). In der EU und anderen regionalen Zusammenschlüssen müssen die Kapitalist_innen supranationale Strukturen aufbauen, in der NATO die militärische Ebene verwalten, etc. Überall dort wird also der Machtkampf direkt ausgetragen, geht es um die Durchsetzung der Sonderinteressen der entsprechenden Kapitalist_innenverbände. Zwischen ihnen herrscht Konkurrenz, Kampf um die ständige Neuaufteilung der Welt.

Der private Charakter des WEF gibt ihnen Raum, sich auf ihr gemeinsames Klasseninteresse zu besinnen und zu versuchen, entsprechende Strategien zu entwickeln. Das wäre auch bitter nötig, denn die Verhinderung von grossen Kriegen, die Erhaltung der Lebensfähigkeit auf dem Planeten Erde oder die Bekämpfung der Pandemie sind eigentlich auch in ihrem Interesse. Aber dieses Gesamtinteresse der Bourgeoisie steht im dialektischen Widerspruch zu den oben erwähnten Sonderinteressen der verschiedenen Fraktionen des globalen Kapitals. Und die erweisen sich auch auf der Davoser Weltbühne regelmässig als stärker als die Gesamtinteressen. Das Resultat besteht in einem wenig effizienten Aktivismus, sowie den immer gleichen idealistischen Schwab’schen Aufrufen an die kapitalistischen «Eliten», sich auf ihre gemeinsamen Interessen statt nur auf den Shareholder-Value zu besinnen. Sie sind etwa gleich effektiv wie es Aufrufe an Wölfe wären, Vegetarier zu werden.

Der Schweizer Staat als Dienstleister für das WEF

Die Bedeutung des WEF für den Schweizer Staat wurde im Jahr 2015 effektiv schriftlich in einem Abkommen festgehalten. Darin heisst es einführend: «in Betracht ziehend, dass es dem Wunsch des WEF entspricht, einen Beitrag zur Rolle der schweizerischen Eidgenossenschaft als Ort des Dialogs zwischen Regierungen sowie zwischen Vertretern von Unternehmen, weiteren Akteuren der Privatwirtschaft und der allgemeinen Zivilgesellschaft zu leisten» etc. Damit wurde dieser Wunsch des WEF nach einer Vermittler Rolle zwischen Unternehmen und Staat, direkt in einem Abkommen bestätigt. Weiter heisst es «Das World Economic Forum arbeitet mit den schweizerischen Behörden zusammen, um jeglichen Nachteil zu vermeiden, der sich aus seiner Tätigkeit für die Sicherheit der Schweiz ergeben könnte.»

Die Funktion der Schweiz als ruhiges Hinterland zum ungestörten Austausch von Kapital und Politik hat eine lange Geschichte. Begünstigt durch die geografische Lage, der Unversehrtheit der Infrastruktur während der Weltkriege und einem strikten Antikommunismus konnte sich das Kapital bzw. der Staat in der Schweiz eine besondere Stellung innerhalb des westlichen Imperialismus erringen, diejenige eines Umschlagplatzes, der im Schatten der Öffentlichkeit bleiben sollte. Für Rhodesien, wie damals Zimbabwe hiess, etwa wurde die Schweiz als neutrales Nichtmitglied der UNO zur wichtigsten Drehscheibe zur Umgehung des UNO Boykotts benützt. Sie war damit für das rassistische Regime überlebenswichtig. Die verschiedensten politischen und wirtschaftlichen Bereiche profitieren vom ruhigen Hinterland, das der Staat in der Schweiz aufgebaut hat. Als bekanntester Teilbereich etablierte sich der sogenannte Finanzplatz Schweiz als Zufluchtsort für Fluchtgelder gefährdeter Bourgeoisien, für ergaunertes Kapital von Faschist_innen und Militärdiktatoren sowie für Steuerhinterzieher_innen, etc. Von diesem schmutzigen Finanzsumpf profitieren sowohl die internationalen Gauner als auch die Schweizer Banken.

Die Logik der Aufstandsbekämpfung

Gäbe es das WEF nicht, hätten es Polizei und Armee erfunden. Endlich können sich die Repressionsapparate im «Ernstfall» gegen den inneren Feind in Stellung bringen. Angerichtet wird mit dem grossen Löffel. Der WEF Auftrag an die Armee lautet jedes Jahr fast gleich: Unterstützung des Kanton Graubünden mit einem unterstützenden Sicherungseinsatz. Sieht man den riesigen Aufwand, den die Repressionskräfte betreiben, könnte man einmal mehr über die immer grössere werdender Repressionsswelle diskutieren. Doch die Logik des Staatsschutzes sieht differenzierter aus.

Der Schutz der bürgerlichen Herrschaft passt sich in jeder historischen Situation den ökonomischen und politischen Interessen und der subjektiven Lage der revolutionären Kräfte an. Dementsprechend verschärft oder mildert er sich. Die Wahrnehmung einer stetigen, linearen Verschärfung bis zum heutigen Zustand entspricht nicht der Realität, sondern der jeweiligen subjektiven Betroffenheit von aktueller Repression. Allerdings gibt es globale Entwicklungen, die sich im Ganzen verschärfend auf die Aufstandsbekämpfung auswirken. So der technische Fortschritt, insbesondere die Digitalisierung, welche die ‚Produktivität’ der Repression genauso erhöht wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen, der aber zugleich auch eine neue Verletzlichkeit des Apparates impliziert. Zusätzlich führte der Konzentrationsprozess des Kapitals zu einer Internationalisierung entlang der Interessen des Imperialismus in der Bekämpfung der inneren Feinde. Der Aufmarsch von Bullen und Armee am WEF ist ein reales Übungsfeld zur Umsetzung eines komplexen Staatsschutzszenarios.

Die reale Gefahr kommt von innen

Armee und Polizei waren immer schon auch auf den inneren Feind, nämlich Kommunist_innen und Anarchist_innen, fokussiert. Mit dem WEF haben nun die Gewaltorgane eine einzigartige Gelegenheit, ihre Abwehrszenarien zu erproben. Mit einer realen Gefahr, die von den Jihadisten ausgehen soll, wie behauptet wird, hat die Festung Davos nichts zu tun, zeigen doch alle Erfahrungen, dass diese ganz andere Ziele angreifen. In Davos ging es in der Vergangenheit um Demos und militante Aktionen. In den militärischen Strategiepapieren tönt es dementsprechend wesentlich anders: «Stabilisierungseinsätze gegen radikale, gewalttätige Gruppierungen im eigenen Land», die Armee als letztes Mittel des Rechtsstaates, mit dem Ziel, dass sich der «Terrorismus nicht zu einem Guerillakrieg» entwickeln kann. Dazu gab es beispielsweise 2011 eine neuntägige Belastungsübung namens «Befreit Magletsch». Darin ging es um eine Festungs-Besetzung durch eine sechzig Mann starke Terrorgruppe, eine absolut abenteuerliche Vorstellung.

Der WEF Einsatz der Armee ist ein exemplarisches Beispiel dafür, was ihre Verpolizeilichung bedeutet. Ende der 70er anfangs der 80er Jahre vollzog sich in der inneren Einsatzdoktrin in aller Stille eine Veränderung. Die Strategen der inneren Sicherheit zogen aus der Vergangenheit ihre Konsequenzen: Der massive Einsatz von WK Truppen im Inneren löste zu viel politische Widersprüche aus. Dabei scheiterten verschiedenste Versuche des Staates den Polizeiapparat auszubauen und eine sogenannte Bereitschaftspolizei einzuführen. Ein anderes Vorgehen war angesagt: die Salamitaktik. Wenig öffentliche Grundsatzdebatten, kleine Schritte vollendeter Tatsachen, und dazu kam noch das Totschlagargument islamischer Terrorismus.

An den inhaltlichen Schwerpunkten wurde festgehalten: Differenzierte Einsatzkonzepte in Kooperation mit dem zivilen Repressionsapparat; Aufstellung spezieller Truppenkörper und Teilprofessionalisierung. Die aktuelle so genannte Armee XXI nähert sich in ihrer Doktrin und Organisationsstruktur immer mehr anderen imperialistischer Armeen an. Nicht nur im Kampf gegen innere Feinde bzw. in der Kooperation mit polizeilichen Strukturen, sondern sogar Auslandseinsätze wurden geplant und zum Teil umgesetzt. Beispiele dafür sind die geplante Operation Atalanta gegen die Piraterie vor den Küsten Somalias und eine Geiselbefreiung in Libyen sowie die Sicherheitseinsätze in Kosovo und Bosnien.

Diese Beispiele veranschaulichen wie das WEF und der Schweizer Staat gegenseitig voneinander profitieren können. Das Aufzeigen dieser Verbindungen trägt zum Verständnis des WEF als Ganzes bei. Denn es lohnt sich immer bei einer Analyse die Rolle des Staates näher zu Beleuchten.

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