Das Bundesland Sachsen war für Schulungen von Polizisten aus Minsk verantwortlich. Wer die angebliche Lieferung von Schlagstöcken verantwortet, bleibt im Dunkeln.
Neuerliche Berichte über die Unterstützung weißrussischer Grenztruppen und Sondereinheiten haben in der letzten Woche für Aufregung gesorgt: Nach Berichten des Tagesspiegels hat die Bundespolizei mehrere Schulungen in Minsk und Deutschland durchgeführt, um weißrussische Polizeiangehörige über polizeiliche Taktiken bei sogenannten „Großlagen“ zu schulen.
Zur Beobachtung eines deutschen Großeinsatzes hatten weißrussische Polizisten auch den Einsatz anlässlich des Castor-Transports 2010 im Wendland besucht. Dabei handelte es sich um einen handfesten Massenprotest: Demonstranten sorgten dafür, dass der Transport der längste und teuerste in der Geschichte wurde.
Die beobachtende Teilnahme von Polizisten aus Weißrussland war bis dahin unbekannt: Auf Nachfrage der Linksfraktion im Landtag wurde lediglich die Anwesenheit von polnischer, finnischer, kroatischer und niederländischer Polizei bestätigt (Eiertanz nach Castor-Schlappe). Französische Polizisten hatten sogar mit voller Ausrüstung an der Räumung von Gleisen teilgenommen und dabei auf Demonstranten eingeprügelt.
Bundesinnenministerium bestimmte Sachsen als Partner
Wie in den Jahren zuvor ging die Polizei auch 2010 mit Härte gegen Blockierer vor. Das Bundesinnenministerium dementierte jegliche Verantwortung für die Zusammenarbeit mit Weißrussland beim Castor-Transport und verwies auf Länderpolizeien. Das ist plausibel: Die Durchsetzung der Atommülltransporte erfolgt durch Polizisten der Bundesländer zusammen mit der Bundespolizei.
Vorgestern hat sich die sächsische Landesregierung in einer Pressemitteilung Pressemitteilung bekannt, die Kollegen aus Minsk in Deutschland herumgeführt zu haben. Anscheinend wurde das Bundesinnenministerium hiervon nicht unterrichtet – obwohl alle Kosten der Kooperation von dort finanziert werden.
Angeblich habe der inzwischen abgesetzte Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder, Jürgen Schubert, die Landesregierung in Sachsen als Partner bestimmt. Das Bundesland verfüge über „umfangreiche Erfahrungen in der polizeilichen Zusammenarbeit mit den Staaten Mittel- und Osteuropas“. Mit der von der Bild-Zeitung zwischenzeitlich berichteten Lieferung von Schlagstöcken und Protektoren will die sächsische Polizei aber angeblich nichts zu tun haben. Auch das Bundesinnenministerium hatte die Meldung dementiert.
Die Zusammenarbeit steht im Kontext der sogenannten „Östlichen Partnerschaft“: Die Polizeien der Länder Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien, Ukraine und Weißrussland sollen an Standards der Europäischen Union herangeführt werden. Eine ähnliche Kooperation betreibt etwa Hamburg mit der Polizei in Istanbul mit gegenseitigen Hospitationen. Die bilaterale Zusammenarbeit kam ebenfalls auf Bitte des Bundesministeriums zustande, das dafür alle anfallenden Ausgaben trägt. Auch hier ist der Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder verantwortlich für die Ausführung. Beobachtet werden Fußballspiele ebenso wie Demonstrationen und Wahlveranstaltungen in Istanbul und Hamburg.
Treffen zur Handhabung von Menschenmassen auch mit Baden-Württemberg
Die Schulungen von weißrussischen Polizisten dienten offiziell der Vorbereitung von „Sportveranstaltungen“. Weißrussland plant die „polizeiliche Bewältigung“ der Eishockeyweltmeisterschaft 2014. Hierzu fand in Minsk im Oktober 2010 ein „Arbeitsbesuch“ sächsischer Polizisten mit dem Schwerpunkt „Lagebewältigung zur Eishockeyweltmeisterschaft 2014“ statt. An dem Treffen nahm auch die Polizei Baden-Württemberg teil.
In Polizeikreisen ist es kein Geheimnis, dass Sicherheitsarchitekturen bei politischen und sportlichen Ereignissen nur wenig voneinander abweichen (EU-Projekt gegen linken Massenprotest). Polizeiliche Handbücher, die auf EU-Ebene zur Angleichung der Sicherheitszusammenarbeit bei Gipfeltreffen oder Fußballspielen entworfen werden, machen hierzu ebenfalls wenig Unterschiede: Stets geht es um die „Handhabung von Menschenmassen“ und deren weitgehende Kontrolle durch die Behörden. Wichtig sind auch internationale Kontakte: Zwei „Mitarbeiter des Innenministeriums Weißrusslands“ reisten hierfür eigens zur vierwöchigen Hospitation in der Bereitschaftspolizeiabteilung Chemnitz an.
Um die entsprechende deutsche Praxis zu studieren, durften die weißrussischen Polizisten dem Einsatz anlässlich eines Fußballspiels des FSV Zwickau gegen Sachsen in Leipzig beiwohnen. Auf dem Programm standen aber auch studentische Bildungsproteste in Leipzig. Angeblich habe das Bundesinnenministerium danach aber weitere Fortbildungsaufgaben für Weißrussland angefordert. Eine deutsche Delegation unter Federführung des Inspekteurs der Bereitschaftspolizeien der Länder soll deshalb nach Minsk gereist sein. Dort wurde anscheinend verabredet, auch einen Naziaufmarsch in Deutschland zu besuchen.
Der „Hospitationsaufenthalt“ führte die weißrussische Polizei im Februar 2010 nach Dresden. Deutsche Polizisten prügeln Nazis dort öfter den Weg frei, was damals erneut zu heftiger Kritik geführt hatte. Auch als rechte Demonstranten ihre Gegner angriffen, schritt die Polizei nicht ein.
In vier Wochen Parlamentswahlen
Der Besuch des Castor-Transports stand erst am Ende der behutsam gewachsenen Kooperation. Jeweils vier Führungskräfte der Polizei Weißrusslands und Sachsens reisten gemeinsam ins Wendland, um den Einsatz der sächsischen Bereitschaftspolizei zu begleiten.
Euphemistisch wird in der Pressemitteilung der Landesregierung behauptet, dort habe die „Deeskalationsstrategie der Polizei“ im Vordergrund gestanden. Der Einsatz wurde allerdings gerade wegen der Brutalität der Beamten kritisiert, die Tausende Blockierer von den Gleisen geprügelt hatten. Klagen gegen derartige Polizeiübergriffe lohnen sich nicht: Angezeigte Polizisten antworten gern mit einer Gegenanzeige, vor Gericht wird den Aussagen von beipflichteten Beamten viel eher Glauben geschenkt. Ist es das, was den weißrussischen Gästen gelehrt wurde?
Die weißrussischen Milizen und Polizeien können ihr in Deutschland gelerntes Wissen womöglich bald auf die Straße tragen: Am 23. September finden Parlamentswahlen statt. 124 Bewerbern wurde bereits die Teilnahme verweigert, zitiert die russische Agentur RIA Novosti die Chefin der Wahlbehörde. Auch dem früheren Gegenkandidaten Alexander Milinkevich wurde die Teilnahme verweigert.