ZUSAMMENSCHLUSS GEGEN REPRESSION

»Als politische Künstler haben wir dieselben Probleme«
»Internationale Kunstfront« will antiimperialistische Kulturschaffende vereinen. Ein Gespräch mit Sena Erkoc

Sena Erkoc ist Solistin der Band »Grup Yorum« und Mitglied der International Art Front/Internationalen Kunstfront

Aus Protest gegen Repression, die linke Künstler erfahren, hat sich im November 2021 die »International Art Front« in Athen gegründet. Was war der Anlass für die Gründung der IAF?

Die Mitglieder unserer Band »Grup Yorum«, Helin Bölek und Ibrahim Gökcek, hatten sich mit ihren Körpern allen Angriffen des AKP-Faschismus widersetzt (die inhaftierten Musiker starben 2020 nach einem Hungerstreik, jW). Die ganze Welt hat damals unseren Namen und unsere berechtigten Forderungen gehört. Künstler, Intellektuelle, Studenten, Arbeiter und Menschen aus der ganzen Welt schenkten unserer Stimme Gehör und kämpften mit uns. In der Türkei und in Europa wurden 5.355 Kundgebungen, Presseerklärungen usw. zur Unterstützung des Todesfastenwiderstands und der Forderungen von Grup Yorum organisiert. Künstler, Intellektuelle und Schriftsteller in der Türkei verfassten 1.781 Erklärungen, Aufrufe, Lieder und Gedichte. 908 Videos wurden in Solidarität mit Grup Yorum gedreht und online veröffentlicht.

Als Band wollten wir dieses Echo in eine Organisation umwandeln. Wir wollten die Künstler, die sich um den Widerstand unserer Band scharten, mit einer gemeinsamen Forderung vereinen. So gründeten wir die »Internationale Kunstfront«. Im November 2021 haben wir unter Beteiligung von 63 Künstlern aus sieben verschiedenen Ländern unsere Front mit einem Symposium und der Teilnahme von 2.000 Menschen gegründet.

»Group Yorum« ist nicht verboten. Welche Repression erfahren Sie dennoch?

Probeabo der Tageszeitung junge Welt
Die Musikgruppe Grup Yorum ist nirgendwo auf der Welt verboten. Doch Konzerte werden verhindert und Mitglieder verhaftet. So wie der AKP-Faschismus nicht will, dass wir eine Million Menschen unter dem Slogan »Unabhängige Türkei« vereinen, will der deutsche Staat nicht, dass wir uns gegen Rassismus und seine Verbrechen zusammenschließen. Denn wir machen nicht nur Konzerte. Jedes davon ist auch eine Kundgebung. Wir geben mit unseren Liedern Hoffnung und tragen den Glauben an die Revolution weiter. Imperialismus und Faschismus sind Feinde der Kunst.

Wie gehen Behörden gegen Künstlerinnen und Künstler allgemein hierzulande vor?

Fast alle Konzerte, die wir seit 2015 in Deutschland organisiert und besucht haben, wurden verhindert. Manchmal durch ein Gerichtsurteil, manchmal wurden die Betreiber der Säle, in denen die Konzerte stattfinden sollten, vom Verfassungsschutz bedroht. Zuletzt stürmte die Polizei sogar unsere Bühne auf einer Kundgebung in Magdeburg und versuchte uns in Gewahrsam zu nehmen. Jedoch scheiterte dieser Versuch. Als sie unser nicht habhaft werden konnten, weil wir uns aneinandergebunden hatten, nahmen sie eins der Instrumente mit. Deutschland ist ein imperialistisches Land. Wenn es um jemanden geht, der ihr System kritisiert und eine Alternative aufzeigt, dann können die Behörden sogar ihre eigenen Gesetze brechen. So wie sie es mit uns machen.

An wen richtet sich die IAF und was sind Ihre nächsten Vorhaben?

Konzertverbote, Zensur unserer künstlerischen Produktionen, Kriminalisierung von Künstlern und viele andere Belastungen finden jeden Tag auf der Welt statt. Das ist der wichtigste und grundlegendste Grund für die Einrichtung der Internationalen Kunstfront. Denn als politische Künstler haben wir alle dieselben Probleme. Jetzt sind wir nicht allein, unsere Einigkeit macht uns stark. Jeder, der antiimperialistisch ist und Kunst für das Volk macht, kann sich dieser Front anschließen.

Unsere nächste Veranstaltung wird unser zweites Symposium und Konzert in Duisburg sein, das Symposium am 10. März im Stapeltor und unser Konzert am 11. März um 19 Uhr im Theater Am Marientor. Wir laden alle Künstler und alle Völker zu dieser Veranstaltung ein. Dort werden wir unsere Forderung nach Freiheit für alle politischen und revolutionären Künstler erheben und die Angriffe auf unsere Kunst und Künstler in den Ländern, in denen wir leben, verurteilen.

Interview: Henning von Stoltzenberg,junge Welt 14.2.23