Während rechte Netzwerke lange unbehelligt blieben, geht der Verfassungsschutz nun im Schnelldurchlauf gegen linke Internationalist:innen vor. Die Hamburger Gruppe Thawra wird als extremistisch gebrandmarkt – begründet mit Antisemitismusvorwürfen. Der anstehende Prozess könnte Maßstäbe für den Umgang mit Palästina-Solidarität setzen. – Ein Kommentar von Spyro Marasovic.
Vor rund einem Monat wurde bei dem Prozess gegen eine mutmaßliche Unterstützerin des NSU die Faschistin Beate Zschäpe verhört, die aktuell eine lebenslängliche Haftstrafe im Frauengefängnis in Chemnitz verbüßt. Auch mehr als ein Jahrzehnt seit den Morden des NSU sind noch immer nicht alle Fälle aufgeklärt, alle Täter:innen ermittelt und alle Strukturen offengelegt.
Besonders die Rolle des Verfassungsschutzes in Form der Vernichtung von Akten und Finanzierung des NSU durch ein System von V-Leuten wirft bis heute Fragen auf. Dies führte seinerzeit dazu, dass gerade in der linken Bewegung die Kritik am Verfassungsschutz groß war. Befeuert wurde dies noch durch offengelegte Beobachtungen von prominenten Abgeordneten der Linkspartei/PDS, sodass die Forderung nach einer Auflösung der Behörde den Eingang in Wahlprogramme fand.
Doch seitdem ist es relativ ruhig darum geworden. Man hat vermehrt das Gefühl, dass sich die politische Linke mit dem einstigen Gegner arrangiert hat und auf dessen Berichte nur zu gerne zurückgreift, wenn es um die politische Bekämpfung der AfD geht. Dass diese Strategie nicht falscher sein könnte, zeigt die kommende Auseinandersetzung zwischen dem Hamburgischen Verfassungsschutz und der internationalistischen Gruppe Thawra (Revolution).
Thawra als „extremistisch“ eingestuft
Ende Juni diesen Jahres wurde der Bericht für das Jahr 2024 vom Hamburgischen Verfassungsschutz vorgestellt. In diesem wurde die Gruppe Thawra erstmals erwähnt. Außerdem wurde deren Einstufung als „gesichert extremistisch“ von der Behörde bekanntgegeben. Dies ist aus mehreren Gründen bemerkenswert.
In der Regel verfügt der Verfassungsschutz bei derartigen Einstufungen über ein Drei-Phasen-Modell. Dieses gliedert sich in die Unterscheidungen: Prüffall, Verdachtsfall und erwiesen extremistische Bestrebung. Diese Phasen bauen aufeinander auf und sind regelmäßig ein mehrjähriger Prozess, wie es z.b bei den verschiedenen Organisationsgliederungen der AfD war. Diese Entwicklungen werden allerdings nicht immer offen in den Berichten kommuniziert. So wurde Thawra bereits 2024 intern als Verdachtsfall eingestuft und tauchte daher erst bei endgültiger Einstufung in den Berichten auf.
Eine derartige Einstufung kann nicht einfach so behauptet werden, sondern erfordert – auch im Rahmen der Maßstäbe des bürgerlichen Rechtsstaats – eine rechtssichere Argumentationsgrundlage. So war es ein jahrelanger Prozess, dass die AfD und ihre Anschlussorganisationen geprüft in die Berichte aufgenommen wurden und verschiedene Phasen durchliefen, oft begleitet von parallelen Klagen vor den Verwaltungsgerichten.
Zurück nach Hamburg. Dieser Prozess wurde nun bei Thawra im Schnellverfahren durchlaufen: Die Gruppe, die sich erst im Frühjahr 2024 gründete und daher noch in keinem der vorherigen Berichte auftauchte, wird nun direkt mit der Einstufung „gesichert extremistisch“ bekanntgemacht. Für die Praxis der Gruppe hat dies konkrete Folgen.
Zum einen wird bei einer derartigen Einstufung die Schwelle für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel extrem abgesenkt (§§ 3ff.BVerfSchG), auch parallele Vorbereitungen für ein Organisationsverbot nach Art. 9 II GG sind möglich. Es sind daher extreme Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Aktivist:innen zu befürchten. Ebenso sind Repressionen bezüglich des Aufenthaltsstatus‘ der Aktivist:innen inklusive Abschiebungen nicht unrealistisch.
Außerdem darf das enorme Diffamierungspotenzial einer derartigen Einstufung nicht unterschätzt werden, was sich negativ auf die Mobilisierung und den Zugang zu Räumen für Veranstaltungen auswirkt.
Totschlag-Argument: Antisemitismus
Diese Einstufung begründet die Behörde mit zahlreichen Diffamierungen, unter anderem mit der antizionistischen Ausrichtung der Gruppe und dem daraus eindimensional abgeleiteten Vorwurf des Antisemitismus. Dies sei ein eindeutiger Beleg für eine verfassungsfeindliche Grundhaltung. Anknüpfungspunkte – nämlich eines solchen Antisemitismus – sind für den Verfassungsschutz, dass Thawra der israelischen Regierung vorwirft, im Gazastreifen einen Genozid zu begehen und in der Westbank ein Apartheid-Regime zu errichten.
Zudem soll dies nach Auffassung des Verfassungsschutzes gegen den Geist der Völkerverständigung gerichtet sein – ein Verweis auf die Vorbereitung eines Verbot nach Art. 9 II GG. Damit wird die Kritik an der faschistischen Regierung Israels und dessen Völkermords an den Palästinenser:innen in einem Bereich außerhalb der Verfassungsordnung verortet und somit kriminalisiert.
Ein Zusammenhang zwischen dem Existenzrecht Israels und etwaiger Verfassungsfeindlichkeit wird sich nur über die Konstruktion der Staatsräson begründen lassen – ein autoritäres Instrument, mit dem Herrschende ihr eigenes Formalrecht zwecks Durchsetzung rechtswidriger Maßnahmen aushebeln wollen. Dort wird dann ein höheres Rechtsgut – der Bestand von Israel – konstruiert, das im „objektiven” Interesse des Staats sei sowie über der Verfassung stehe und deshalb besondere Maßnahmen zulässt. So wird rechtmäßiges Verhalten rechtswidrig und internationalistische Gruppen – die genau das Völkerrecht hochhalten – werden verfassungsfeindlich.
Thawra wehrt sich gegen Einstufung
Doch die Gruppe möchte sich diesen Diffamierungen und möglichen Einfallstoren für Repression nicht unterordnen und sammelt nun Spenden, um gegen den Verfassungsschutz vor Gericht zu ziehen und gegen die Einstufung zu klagen.
Mit Gerichtsverfahren gegen staatliche Behörden haben die Aktivist:innen bereits Erfahrung gesammelt: Kurz nach dem 7. Oktober hatten sich die Angriffe der israelischen Armee auf die Bevölkerung Gazas derart intensiviert, dass auch in zahlreichen Städten in Deutschland der Protest gegen diese Aggression aufbrandete, oft begleitet von brutaler Repression der deutsche Polizei. Die Versammlungsbehörde erließ in Hamburg daraufhin eine Allgemeinverfügung, die Demonstrationen, die sich mit Palästina solidarisierten, präventiv kriminalisierte und verbot.
Die Solidaritätsbewegung für Palästina in Hamburg – aus deren Teilen später Thawra hervorging – musste daher erst einmal protestieren, um protestieren zu dürfen. Das Knifflige war, dass diese Allgemeinverfügungen immer nur für einen kurzen Zeitraum erlassen, beziehungsweise wöchentlich einzeln verlängert wurden, sodass es schwer war, auf verwaltungsrechtlichem Wege dagegen vorzugehen. Dies erfolgte vom 18. Oktober bis zum 6. Dezember 2023 mit insgesamt 15 Verlagerungen.
Erst Anfang Dezember gelang es, vor dem Hamburger Verwaltungsgericht einen Eilantrag gegen die erneute Verlängerung der Verfügung zu stellen und dort auch zu gewinnen. Die Argumentation der Hamburger Versammlungsbehörde, dass Demonstrationen für Palästina automatisch eine inhaltliche Nähe zur Hamas aufweisen und damit konkrete Gewaltgefährdungen begründen würden, erfüllte den Tatbestand nicht und war rechtswidrig. Zu einer erneuten Anwendung dieses Repressionsinstruments kam es im Anschluss nicht mehr.
Verfahren soll Strahlkraft haben
Auf diesen Erfahrungen möchte die Gruppe aufbauen und nun auch gegen die größer angelegte Repression gegen die Palästina-Solidarität in Hamburg vorgehen. In einem Gespräch mit einem Mitglied von Thawra zeigte sich die Person bezüglich des angestrebten Verfahrens zuversichtlich und begründete dies vorrangig mit der oberflächlichen, unschlüssigen und konstruierten Argumentation der Behörde.
Besonders die Unterstellung des Antisemitismus würde anhand von kontextlosen Bruchstücken hergeleitet, und die Verwendung von Begriffen wie „Genozid“ oder „Apartheid“ habe eine dezidiert völkerrechtlich fundierte Grundlage. Zudem ist die Gleichsetzung zwischen einem behördlich definierten Existenzrecht Israels und einer Verfassungsfeindlichkeit mindestens umstritten.
Argumente, welche die Verfassungsfeindlichkeit der Gruppe aus Positionen zur BRD herleiten, sind rar gesät und beruhen weitgehend auf Unterstellungen – nach Meinung von Thawra eine gute Grundlage für ein Verfahren. Der Antrag auf Eilrechtsschutz wurde bereits vor dem Verwaltungsgericht gestellt und das Verfahren läuft.
Ein Urteil in diesem Fall könnte durchaus Strahlkraft für den gesamten rechtspolitischen Diskurs haben. Zahlreiche Repressionsapparate der Behörden funktionieren nur über die raunende Unterstellung des Antisemitismus und die abstrakte Verbindung mit der Staatsräson.
Einen ähnlichen Streitpunkt liefert immer wieder die Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“. Zuletzt urteilte das Landgericht Berlin, dass die Parole strafbar sei. Im Mai 2024 hatte das Landgericht Mannheim hingegen noch geurteilt, dass die Parole nicht per se strafbar sei. Die unterschiedliche Bewertung der Landgerichte hielt die Polizei und Staatsanwaltschaft jedoch nicht von der Strafverfolgung ab. Nach dem Urteil in Berlin könnte die Beurteilung der Parole vor dem Bundesgerichtshof landen.










