Repression: »In Bescheiden wird auch Folter relativiert«

Der Kurdin Yasemin P. droht die Abschiebung in die Türkei. Ein Gespräch mit Roland Meister
Interview: Henning von Stoltzenberg

Ihre Mandantin kam vor über 20 Jahren in die BRD. Was ist ihr Hintergrund?

Sie lebt seit 2002 in Deutschland und erhielt eine Aufenthaltserlaubnis, die fortlaufend verlängert wurde. Sie ist Kurdin alevitischen Glaubens und hat die türkische Staatsangehörigkeit. Sie stammt aus Hozat, einem Kreis in der Provinz Dersim (türkisch: Tunceli). Dersim war und ist den verschiedenen Machthabern in der Türkei bis heute ein Dorn im Auge. Auch heute steht die Region in entschiedener Gegnerschaft zum Erdoğan-Regime.

Nun soll sie nach dem Willen der Ausländerbehörde ausgewiesen werden. Was wird ihr vorgeworfen?

Auf Betreiben des deutschen Inlandsgeheimdienstes wurde gegen Yasemin P. ein Ausweisungsverfahren bei der Stadt Bochum eingeleitet. Am 6. Mai erging seitens der Stadt der Ausweisungsbescheid und die Verfügung, dass sie in die Türkei abgeschoben werden soll. Es wird behauptet, dass sie eine Aktivistin der oppositionellen DHKP/C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front) in der Türkei sei, weshalb sie »erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährde« und eine »schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung« darstelle. Ausdrücklich betont der Bescheid, dass ihr kein »Ausweisungsschutz« zustehe, der repressive Charakter des Erdoğan-Regimes wird an keiner Stelle angesprochen. Tatsächlich setzt sich Yasemin P. aktiv für die Rechte der alevitisch-kurdischen Bevölkerung in Dersim und einen demokratischen Wandel in der Türkei ein.

Der Vorwurf, Aktivistin der in Deutschland als ausländische terroristische Vereinigung eingestuften DHKP/C zu sein, geht vor allem darauf zurück, dass sie Lebensgefährtin von İhsan Cibelik ist. Meine Mandantin ist selbst künstlerisch aktiv und hatte İhsan Cibelik 2008 in Köln kennengelernt. İhsan Cibelik ist einer der ältesten Mitglieder der international bekannten Musikband Grup Yorum und war selbst lange in der Türkei inhaftiert. Er musste fliehen und erhielt in Frankreich politisches Asyl. 2022 wurde er in Bochum verhaftet und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Seit dem 14. Juni 2023 findet vor dem 7. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf gegen ihn, Özgül Emre und Serkan Küpeli einer der größten Staatsschutzprozesse der letzten Jahre gegen kommunistische Kräfte statt.

Meiner Mandantin wird als Betätigung für die DHKP/C vorgeworfen, dass sie ihren Lebensgefährten auch bei Tourneen ins Ausland begleitet und einmal die erkrankte Solistin Sena Erkoç als Sängerin bei einem Konzert in Athen vertreten hat. Weiter wird ihr zur Begründung ihrer Deportation vorgehalten, dass sie sich an Aktivitäten für die Freilassung ihres Lebensgefährten und für dessen unverzügliche medizinische Behandlung eingesetzt habe.

Das klingt ziemlich nach Sippenhaft.

Dafür spricht manches. Auch aufgrund der deutschen Geschichte kann so etwas unter keinem Gesichtspunkt hingenommen werden. Meine Mandantin sieht es als ihr menschliches Recht und ihre Pflicht gegenüber ihrem Lebensgefährten und weiteren politischen Gefangenen an, sich an Protesten für deren Gesundheit und deren Freiheit zu beteiligen. Es ist erschreckend, dass seitens der Stadt Bochum hieraus der Schluss gezogen wird, sie betätige sich terroristisch. Dabei muss beachtet werden: Grup Yorum ist kein organisatorischer Teil der DHKP/C.

Eine Ausweisung sollte kaum möglich sein, da Folter droht. Wie schätzen Sie das ein, und wie wehren Sie sich juristisch?

Na ja, wir haben inzwischen in Asylverfahren auch Ablehnungsbescheide bekommen, in denen die in der Türkei systematisch stattfindende Folter relativiert wird. Nach wie vor ist es aber die vorherrschende Rechtsprechung, dass Personen, die wie Yasemin P. als Oppositionelle bekannt sind, aufgrund drohender Folter nicht abgeschoben werden können. Aber die Verfügung ist auch damit verbunden, dass meiner Mandantin die Aufenthaltserlaubnis entzogen wurde, dass ihr unter Strafandrohung verboten wurde, die Stadt Bochum zu verlassen, und sie sich regelmäßig bei der Polizei melden soll. Eine nicht hinnehmbare Kriminalisierung. Wir haben gegen die Ausweisung und angedrohte Abschiebung Klage erhoben, was jedoch nicht die solidarische Unterstützung von Yasemin P. und den Protest gegen die reaktionären Maßnahmen der Stadt Bochum ersetzt.

junge Welt 10.6.24