“TagX”: Festgenommener Antifa wird in JVA falsch behandelt und muss zweimal ins Krankenhaus eingeliefert werden

Ein vorerkrankter Antifaschist wird am Wochenende der „Tag X“-Demonstration festgenommen. Er bekommt in U-Haft die falsche Medikation und mehrere Anfälle. Eine unzureichende Gesundheitsversorgung ist dabei Alltag in deutschen Gefängnissen. Und dort landen besonders häufig arme Menschen und politische Aktivist:innen, die gegen das kapitalistische System kämpfen. – Ein Kommentar von Gillian Norman.
Nach dem Repressionszug der Polizei in Leipzig am ersten Juniwochenende wird, neben vielen anderen, auch ein Antifaschist mit schwerwiegenden Vorerkrankungen vor den Haftrichter gestellt. Am Montag, den 5. Juli, hat er eigentlich einen wichtigen Termin beim Neurologen. Dort soll die bisherige medikamentöse Behandlung seiner Epilepsie und dissoziativen Störung untersucht und ausgewertet werden. Seine Anwältin beantragt deshalb eine sofort notwendige Untersuchung durch einen Facharzt, um seine Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.

Doch er kommt – ohne eine weitere Untersuchung – in der JVA Leipzig in U-Haft. Zwar gibt seine Anwältin die genaue notwendige Medikation weiter, doch die Anstaltsärztin ignoriert dies und setzt seine Medikamente neu zusammen – mit schwerwiegenden und lebensgefährlichen Folgen.

Am Montagabend bekommt er infolgedessen einen schweren Anfall. Er muss in kritischem Zustand im Krankenhaus in Borna schutzintubiert werden und bekommt einen Zugang in den Beinknochen gelegt. Am nächsten Tag kommt wird er bereits wieder zurück in die JVA Leipzig verlegt, wo die Anstaltsärztin weiter herumexperimentiert. Das führt zu einem weiteren Anfall am Mittwoch und zur Verlegung auf die Intensivstation der Uniklinik Leipzig.

Dort stellen die Ärzte die falsche Medikation durch die Anstaltsärztin fest und empfehlen „dringend viel Ruhe, wenig physischen und psychischen Stress und stabile, vertraute Verhältnisse“. Doch wieder wird er nach weniger als einem Tag ins Gefängnis zurückverlegt.

Wie Gefängnis krank macht
Eine nachlässige Gesundheitsversorgung im Gefängnis ist auch bundesweit dokumentiert. Während die gesetzlichen Krankenkassen 2019 in Deutschland pro Person durchschnittlich 3.108 Euro/Jahr ausgaben, sind es bei den Justizvollzugsanstalten in Sachsen nur 1.942 Euro pro Insass:in. In den Anstalten wirkt sich das beispielsweise dadurch aus, dass medizinisches Fachpersonal nicht in allen notwendigen Schritten der Behandlung eingesetzt wird, u.a. werden auch Medikamente von ungeschulten Justizvollzugsbeamt:innen an die Gefangenen ausgehändigt.

Die taz berichtete von einem anderen Fall, in dem ein Gefangener die falschen Medikamente bekam. Unter den Medikamenten waren statt Blutdruckmedikamenten unter anderem Blutverdünner, Neuroleptika und das Methadon-Substitut L-Polaflux – diese Medikation sollte eigentlich ein anderer Häftling bekommen, der einen Heroin-Entzug machte. Der Gefangene musste nach Einnahme der falschen Medikamente daraufhin mit einem lebensbedrohlichen Sauerstoffgehalt von 52 Prozent von einem Notarzt behandelt werden. Ein Sprecher der JVA sagte aus, dass aufgrund der Vielzahl an unterschiedlichen Medikamenten leicht die Übersicht verloren gehen könne.

Dass die medizinischen Ausgaben weit unter denen der restlichen Gesellschaft liegen, führt zwangsläufig zu einer unzureichenden ärztlichen Behandlung. Zudem sind Gefangene weit öfter sowohl von physischen als auch psychischen Krankheiten betroffen. So ist beispielsweise jede:r dritte Inhaftierte von einer oder mehreren Drogen abhängig. Krankheiten wie Hepatitis C z.B. verbreiten sich durch Drogenkonsum besonders stark in Gefängnissen. In Sachsen wurden zwischen 2014 und 2019 fast 300 Hepatitis-C-Erkrankungen in den Justizvollzugsanstalten festgestellt, doch nur 70 davon im Gefängnis behandelt.

Das “Institut für Suchtforschung der Fachhochschule Frankfurt” schreibt in einem Bericht, dass die „Wahrscheinlichkeit des Auftretens psychosomatischer Symptome steigt, während die Abwehrkräfte gegen Infektionen und organische Beeinträchtigungen verringert werden“. Auch während der Corona-Pandemie war die Infektionsrate in Gefängnissen aufgrund der mangelnden hygienischen Bedingungen sehr hoch, doch die Antwort darauf bestand nur in eine weiteren Isolation der Gefangenen.

Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich
Dass Krankheiten in Gefängnissen besonders verbreitet sind und keine angemessene Versorgung stattfindet, liegt auch daran, dass vor allem ärmere Menschen im Gefängnis landen.

2022 saßen in Deutschland etwa 40.000 Menschen in sogenannten Justizvollzugsanstalten (JVA) ihre Freiheitsstrafe ab. Dazu gerechnet waren fast 3.000 Jugendliche im Jugendstrafvollzug eingesperrt, 600 zur Sicherheitsverwahrung untergebracht. Etwa 12.000 Menschen saßen außerdem in Untersuchungshaft und über 1.000 Menschen befanden sich darüber hinaus in Abschiebungshaft oder sonstigen freiheitsentziehenden Maßnahmen.

Mehr als jede zehnte Freiheitsstrafe wird dabei wegen einer “Bagatelle”, nämlich einer nicht gezahlten Geldstrafe angeordnet. Dazu zählen zu einem großen Teil die Menschen, die mehrmals beim Schwarzfahren erwischt wurden. Das „Erschleichen von Leistungen“ kann zwar auch direkt mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft werden, wird meist jedoch zunächst als Geldstrafe behandelt, die bei Nichtzahlung dann allerdings in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt wird.

Dabei fahren die wenigsten Menschen aus Spaß ohne Ticket, sondern weil sie sich die hohen Ticketpreise eben einfach nicht leisten können. Um zur Arbeit oder zum Amt zu kommen, sind die meisten von ihnen jedoch auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Armut wird damit also ganz direkt zur Ursache für Freiheitsstrafen.

Und auch andere Delikte hängen oft direkt oder indirekt mit Armut zusammen. Hinzu kommt der Umstand, dass nach einer abgesessenen Strafe die Eingliederung in die kapitalistische Gesellschaft noch schwieriger wird als zuvor. Deutlich wird das daran, dass ein Großteil der Inhaftierten bereits mehrere Vorstrafen hat und etwa die Hälfte der Straftäter:innen rückfällig wird.

Offiziell wird zwar von dem Ziel einer Resozialisierung während der Haft gesprochen, doch die Realität sieht anders aus: Das zeigt auch ein offener Brief von 34 Gefangenen der JVA Ravensburg, die die Haftbedingungen anprangern und an vielen Stellen aufzeigen, wie diese zu noch mehr Schwierigkeiten nach der Haft führen.

https://perspektive-online.net/2023/06/tagx-festgenommener-antifa-wird-in-jva-falsch-behandelt-und-muss-zwei-mal-ins-krankenhaus-eingeliefert-werden/