Inhaftierte nach antifaschistischer Kundgebung in Leipzig setzen auf Solidarität. Ein Gespräch mit Martin Hecker
Interview: Henning von Stoltzenberg junge Welt 12.7.23
Martin Hecker (Name geändert) kam nach dem »Tag X« in Leipzig in U-Haft
Wie war die Haftsituation nach der Festnahme am sogenannten Tag X in Leipzig?
Gelinde gesagt angespannt. Ich selbst bin nach acht Stunden mitten in der Nacht aus dem Kessel geholt worden und saß dann den ganzen Sonntag über in einer Einzelzelle, ohne Hose und Schuhe. An Schlafen war nicht zu denken, immer wieder kam die Kripo mit irgend etwas. Die Situation dort glich einer Massenabfertigung. Wasser und Essen gab es nur auf mehrfache Nachfrage. Am Ende war es eine Frage des Glücks, ob du noch in der Nacht entlassen wurdest, am Sonntag rauskamst oder dem Haftrichter – einem völlig überforderten Zivilrichter, der einfach die Vorgabe der Staatsanwaltschaft abgenickt hat – vorgeführt wurdest. Die Lage hat sich erst mit der Verlegung in die JVA in der Nacht zum Montag entspannt.
Relativ schnell haben die Gefangenen eine gemeinsame Erklärung verfasst. Warum war das wichtig?
Der Knast ist einfach nicht gemacht dafür, dass du dir dort das Menschsein bewahrst. Wir sind politische Menschen, Genossen. Auch im Knast. Wir kommen aus unterschiedlichen Ecken der Linken, die meisten kannten sich nicht. Unsere Lage hat uns trotzdem schnell zusammengeführt und aktiv werden lassen. Unser erster Schritt war eine JVA-interne Petition zur Zusammenlegung. Obwohl wir uns damit nicht sofort durchsetzen konnten, war das eine Duftmarke, die zu Verhandlungen mit der JVA-Leitung geführt hat. Wir wollten mit unserer Gemeinschaft hinter Gittern der Vereinzelung dort eine Kollektivität entgegensetzen, die nicht auf den Knastinstrumenten Macht und Gewalt basiert, sondern die Solidarität und den Zusammenhalt in den Vordergrund stellt. Zum einen für uns, zum anderen auch, um anderen, die dort sitzen, eine Perspektive aufzumachen. Die Stellungnahme nach außen war der Weg, diese Entwicklung für die Bewegung draußen transparent zu machen und zu zeigen: Wir geben hier nicht auf, sondern kämpfen nach unseren Möglichkeiten weiter.
Ein Mitgefangener musste mehrfach auf der Intensivstation behandelt werden. Wie kam es dazu und wie geht es ihm?
Der Genosse ist an Epilepsie erkrankt und hätte am Montag nach dem »Tag X« einen wichtigen Arzttermin gehabt. Der Richter hat das bei der Verhängung der U-Haft bewusst ignoriert, es gebe ja das Haftkrankenhaus. In der JVA hat sich diese Ignoranz fortgesetzt. Die Ärztin dort hat eigenmächtig die Zusammensetzung seiner Medikamente geändert – und das, obwohl es klare Vorgaben und Dokumente gab. Dieses bewusst falsche Verhalten hat zu drei krassen Anfällen geführt, bei denen der Genosse jeweils in einem sehr kritischen Zustand in andere Krankenhäuser verlegt werden musste. Beim letzten ist sogar der Rettungshelikopter im Hof der JVA gelandet. Über die Gespräche mit Mitgefangenen haben wir herausgefunden, dass dieses fahrlässige Vorgehen dort System hat und andere Häftlinge ebenfalls falsch behandelt wurden. Aufgrund unserer Arbeit und der Anwältinnen ist der Druck mittlerweile so groß, dass es eine unabhängige Untersuchung gibt. Die JVA-Ärztin in Leipzig ist eine Gefahr für Leib und Leben aller Häftlinge. Der betroffene Genosse ist bei der Haftprüfung herausgekommen, ihm geht es den Umständen entsprechend und er erholt sich.
Sie wurden inzwischen aus der U-Haft entlassen. Wie geht es jetzt weiter für Sie und die anderen Beschuldigten?
Der »Tag X« war ein einschneidendes Ereignis, das sicher noch lange auf unterschiedlichen Ebenen nachhallen wird. Nicht nur bei uns individuell, sondern in der gesamten Linken – juristisch und politisch. Die Behörden sind mit dem Antifa-Ost-Verfahren in die Offensive gegangen und haben diese Linie am 3. Juni auf der Straße fortgesetzt. Einerseits geht es darum, militanten Antifaschismus, der sich außerhalb des staatlichen Radars organisiert hat, zu verurteilen. Andererseits hat der Staat, vielleicht besser als wir selbst, die Macht der Solidarität begriffen. Sie soll mit Aktionen wie in Leipzig im Keim erstickt werden. Gegen die meisten von uns wird – wie gegen über 1.000 andere – aktuell ermittelt. Inwieweit das am Ende in Prozesse mündet, ist momentan nicht abzusehen. Die Haftbefehle mussten gegen Auflagen aufgehoben werden.