Information der Verteidigung – 07.12. 2023

„Das hat mit Menschenwürde nichts mehr zu tun“
Zur Verschleppung der medizinischen Behandlung des krebskranken Ihsan Cibelik
Ihsan Cibelik wurde am 18. Mai 2022, 0.03 Uhr festgenommen. Bereits bei der Haftbefehlseröffnung vor dem Bundesgerichtshof (BGH) – in Anwesenheit der Vertreter des Generalbundesanwalts – wurde ausdrücklich im Protokoll vermerkt, dass Herrn Cibelik eine schwerwiegende Prostataerkrankung hat und aufgrund der Festnahme eine bereits terminierte Biopsie nicht habe durchgeführt werden können und diese „baldmöglichst vorgenommen werden sollte.“ (Haftakte Ihsan Cibelik). Seitens des BGH wurde daraufhin im Aufnahmeersuchen an die JVA Köln (Justizvollzugsanstalt)geschrieben:
„Der Beschuldigte leidet an einer Prostataerkrankung. Es war eine Biopsie geplant. Diese sollte nach seiner Ansicht baldmöglichst vorgenommen werden.“
Zusätzlich informierte Ihsan Cibelik die Anstaltsärzte auch persönlich bei seiner ersten Vorsprache über die Erkrankung und die ärztlicherseits für dringlich erforderlich gehaltene Durchführung einer der Biopsie.
Seit dem 18. Mai 2022 befindet er sich bis heute (07.12. 2023) ununterbrochen – inzwischen fast 19 Monate) in Untersuchungshaft in der JVA Köln. Die Durchführung der Biopsie wurde dann jedoch durch die Verantwortlichen in Justiz und Justizvollzug erheblich verzögert.
Erst 15 ½ Monate nach seiner Festnahme wurde am 07. September 2023 in der Universitätsklinik Köln die Biopsie durchgeführt. Ihsan Cibelik entschied sich für eine sofortige Operation und die vollständige Entfernung /Radikale Prostatektomie) der Prostata. Nach dem Stand der Untersuchung hat der Prostatakrebs die Prostatakapsel bei Ihsan Cibelik (noch) nicht durchbrochen und kann deshalb der bösartige Tumor der Prostata restlos entfernt werden, so dass eine vollständige Heilung möglich ist. Ist der Prostatakrebs dagegen größer und durchbricht die Prostatakapsel, ist eine Operation grundsätzlich immer noch möglich. In dieser Situation empfehlen medizinische Fachleute jedoch, das Risiko für einen Krankheitsrückfall abzuwägen. Sind mehrere Lymphknoten mit Krebszellen befallen und ist daher das Rückfallrisiko hoch, wird dann von der sogenannten radikalen Prostatektomie abgeraten. (vgl. https://www.krebsinformationsdienst.de/tumorarten/prostatakrebs/therapie/operation-radikale-prostatektomie.php )
Im Leitlinienprogramm Onkologie heißt es hierzu: „Im Frühstadium, wenn das Karzinom sich innerhalb der Prostata befindet, ist der Krebs heilbar. Über 90% aller Erkrankten sind nach 5 Jahren noch am Leben. … Wird der Tumor erst spät entdeckt oder kann die Erkrankung trotz Behandlung nicht gestoppt werden, breitet sich der Tumor in benachbartes Gewebe aus und entwickelt Metastasen – zunächst in den Lymphknoten des Beckens, dann in anderen Organsystemen des Körpers. Mit Abstand am häufigsten betroffen sind hierbei die Knochen (Wirbelsäule, Rippen- und Beckenknochen). Aber auch in Leber und Lunge können Metastasen auftreten. In diesem fortgeschrittenes Stadium ist eine Operation oder Bestrahlung als Einzeltherapie unzureichend. Nun kommen Therapien zum Einsatz, die im gesamten Körper wirken, z. B. Hormon- oder Chemotherapie. Eine Heilung ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Ziel der Behandlung ist es, das Fortschreiten der Erkrankung möglichst lange aufzuhalten und die Lebensqualität des Patienten zu erhalten.” ( https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Patientenleitlinien/Prostatakrebs/Patientenleitlinie_Prostatakrebs_Frueherkennung-1870075.pdf)
Weiter heißt es: “… Patienten sollen darüber aufgeklärt werden, … dass die radikale Prostatektomie signifikant die Häufigkeit einer Progression der Erkrankung, das Risiko von Fernmetastasen, die prostatakarzinomspezifische Mortalität und die Gesamtmortalität gegenüber „Watchful Waiting“ (aktives Abwarten) senkt.“ (https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/Prostatatkarzinom/Version_6/LL_Prostatakarzinom_Langversion_6.2.pdf)

Seit der Biopsie, bei der am 07.09. 2023 Prostatakrebs festgestellt wurde, sind inzwischen erneut drei Monate vergangen. Ihsan Cibelik ist immer noch in Haft. Nach wie vor steht kein Operationstermin fest.
In einer Stellungnahme des GBA vom 04.12. 2023 werden die Gesundheit und auch das Leben von Ihsan Cibelik letztlich einer repressiven Politik zugunsten des türkischen Erdoganregimes untergeordnet. Mittelbar bezieht sich das auch auf das Leben der seit 9 Monaten im Hungerstreik befindlichen jungen Eda D. Haydaroglu, die mit ihrem Hungerstreik dafür eintritt, dass Ihsan Cibelik freigelassen wird. Dem GBA ist auch dieser Zusammenhang bekannt.
Vor dem Hintergrund der bisherigen zeitlichen Abläufe ist es in der Stellungnahme des GBA zynisch und weder medizinisch noch verfassungsrechtlich haltbar, wenn es dort heißt:
„Im Fall des Angeklagten liegt daher die Entscheidungs- und Organisationshoheit für Zeit und Ort der in Rede stehende Operation bei der Vollzugsbehörde in Gestalt der Anstaltsärztin, der insoweit pflichtgebundenes Ermessen zukommt. Eine konkrete Planung liegt insoweit zur Stunde nicht vor. Der Vollzugsbehörde ist daher zunächst Zeit zu geben, mittelfristig die für eine extramurale Durchführung der Operation nötigen organisatorischen Maßnahmen zu treffen.“
‚Konkrete Planung liegt noch nicht vor – mittelfristig ist den Gefängnisärzten Zeit zu geben‘ – was heißt das? Soll weiter gewartet werden, bis der Tumor die Kapsel durchbricht und streut?
Eine Behandlung außerhalb des Vollzugs der Untersuchungshaft ist aufgrund der Tatsache geboten, dass keinerlei Vertrauen mehr besteht, dass Ihsan Cibelik künftig innerhalb des Vollzugs der Untersuchungshaft der Schwere seiner Erkrankung entsprechend adäquat behandelt werden wird. Angesichts der diagnostizierten Krebserkrankung und den damit verbundenen physischen und vor allem psychischen Belastungen wirkt dies besonders schwer.
Zudem befindet er sich seit fast 19 Monaten unter besonders schweren Bedingungen in Untersuchungshaft.
Dem Antrag von Ihsan Cibelik und seiner Verteidigung vom 13.11. 2023 auf Freilassung muss im Interesse seiner Gesundheit und seines Lebens deshalb sofort entsprochen werden.