Erklärung von Ihsan Cibelik in der Hauptverhandlung am 23.01. 2024

Vorbemerkung: In der Hauptverhandlung am 23.01. 2024 hat Ihsan Cibelik erklärt, dass er seinen Hungerstreik unterbricht, nachdem sein Recht auf eine Operation aufgrund seiner Prostatakrebserkrankung endlich anerkannt worden ist und ein Operationstermin konkret festgelegt wurde. Auch die Hungerstreikenden Eda Deniz Haydaroğlu, Ilgın Güler und Sevil Sevimli Güler gaben am 24.01. 2024 in einer Presseerklärung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf bekannt, dass auch sie ihren Hungerstreik aussetzen, nachdem mit der Anerkennung des Rechts von İhsan Cibelik auf eine Operation ein bedeutender politischer Erfolg erreicht worden ist, nachdem seine Krebsbehandlung lange verzögert wurde. Für die Verteidigung dankte Rechtsanwalt Yener Sözen für deren Solidarität. Sie habe u.a. dazu beigetragen, dass Erfolge im Kampf gegen die „Isolationsbedingungen erzielt wurden“, dass für eine größere Öffentlichkeit dieses politischen Prozesses vor einem Sondergericht, dem „Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes Düsseldorf“, der in einem Sondergerichtsgebäude durchgeführt wird, gesorgt und über dieses von „Straße für Straße, von Tür zu Tür“ berichtet wurde und sie die in U-Haft befindlichen Angeklagten nie alleine gelassen haben.

An den Senat und die Öffentlichkeit!
Wegen der gemeinsamen wirtschaftlichen und politischen Interessen zwischen dem deutschen Imperialismus und dem türkischen Faschismus wurden wir inhaftiert und angeklagt. Wiederholt haben wir zur Sprache gebracht, dass diese Haft nicht als Vorsorgemaßnahme, sondern als Strafe angewandt wird. Man ist sogar noch weitergegangen, indem das wesentlichste Grundrecht, das „Recht auf Leben“, missachtet wird.
Meine vor meiner Inhaftierung begonnene Prostatabehandlung wurde unterbrochen, als sie mit der Biopsie fortgesetzt werden mußte. Der Kampf für mein Recht auf medizinische Behandlung, den ich in diesem Zusammenhang mit allen meinen Freundinnen und Freunden sowie mit meinen Anwälten geführt habe, ist von historischer Bedeutung.
Denn dieser Kampf hat hier im Saal, in dem die Bundesanwälte und Richterinnen über das Leben von Menschen entscheiden, manche Realitäten offengelegt, von denen diese entweder überhaupt keine Ahnung hatten oder sie bewusst ignoriert haben: Diese Wirklichkeit zeigt, wie sehr die medizinische Betreuung in den Gefängnissen nur zum Schein besteht und keine wirkliche Betreuung existiert; sie zeigt, dass die Inhaftierten nicht mal mehr als Menschen angesehen werden. Ich wage sogar zu behaupten, dass ihnen selbst die Möglichkeiten, die Tieren draußen geboten werden, verwehrt bleiben. Diese Wirklichkeit zeigte, dass es, wenn du in Deutschland inhaftiert bist, keine Instanz, kein Gericht gibt, an das du dich wenden kannst, wenn – um die Hindernisse zu überwinden, die deinem Recht auf medizinische Behandlung im Wege stehen – gegen die Verantwortlichen für diese Hindernisse ermittelt werden soll und diese gar zur Verantwortung gezogen werden sollen. So sehr die Ärztinnen und das medizinische Personal in den deutschen Gefängnissen auch guten Willens sein mögen; da das System jedoch lediglich auf sogenannte Sicherheitsinteressen basiert, sind diese gezwungen, diesen Interessen entsprechend zu handeln. Um alles weitere kümmern sie sich nicht.
Selbst wenn du alle Hindernisse überwindest und schließlich operiert wirst, gibt es in den Gefängnissen Deutschlands für die Insassen keine spezielle Abteilung für die Rehabilitationsphase nach der Operation. Und das Justizvollzugssystem hat kein eigenes, allgemeines Betreuungssystem.
In Deutschland gibt es in keinem einzigen Krankenhaus für Patient*innen aus den Justizvollzugsanstalten separate Behandlungsstationen, in denen die Inhaftierten in regelmäßigen Abständen untersucht und betreut werden können.
Und ja, wenn du in deutschen Gefängnissen ein Inhaftierter bist, der ein lebensbedrohliches gesundheitliches Leiden hat, musst du, um die notwendige Operation und einen Behandlungsplan zu bekommen, hierfür Widerstand leisten und den Preis dafür in Kauf nehmen.
Für das Recht auf Gesundheit, für die Konkretisierung der Behandlung musst du Widerstand leisten, indem du dafür deine Gesundheit aufs Spiel setzt. Das ist die Ironie darin, aber auch die Wirklichkeit!
Wenn du kein Revolutionär bist, der seine Rechte kennt, wenn du nicht das Bewusstsein und die Entschlossenheit hast, um den Preis dafür in Kauf zu nehmen, wird der Schleier über alle Folgen einer ausgebliebenen Behandlung gelegt, einschließlich der Todesfälle. Es wird nicht einmal erwähnt werden … Das ist die Wirklichkeit, die tausende Gefangener erleben. Verblüffend, aber wahr …

Vom ersten Tag meiner Haft, als ich mitteilte, dass für meine weitere Behandlung dringend eine Biopsie vorgenommen werden müsse, bis heute sind mehr als 20 Monate vergangen. Schließlich konnte ich die Biopsie nach 15 ½ Monaten durchführen lassen, mittlerweile ist es über 4 Monate her, dass ich von meiner Krebserkrankung erfahren habe. Und bis zum heutigen Tag sind 4 Monate vergangen, seit wir die möglichen Folgen einer Prostatektomie diskutiert, und ich mich für diesen Eingriff entschieden und gefordert habe, dass hierfür die Behandlung schnellstmöglich und unter den bestmöglichen Bedingungen durchgeführt werden sollte.
Und schlussendlich ist mir jetzt von den Verantwortlichen mitgeteilt worden, dass es einen konkreten Plan für eine unter Haftbedingungen durchzuführende Operation gäbe. Nach mehr als 20 Monaten!
Halten Sie sich nun die Situation von zehntausenden Menschen vor Augen, die sich nicht einmal ihrer gesundheitlichen Lage bewusst sind, ihre Rechte nicht kennen, nicht über das Bewusstsein verfügen, beharrlich für diese Rechte zu kämpfen!
Ich glaube, dass mein Widerstand einen kleinen, aber bedeutsamen Beitrag für den Kampf für Rechte und Freiheiten in Deutschland leistet. Zusammen mit den Streiks und den Kundgebungen der Bauern, Arbeiterinnen, Werktätigen, die ihre ökonomischen und demokratischen Rechte eintreten und diese verteidigen. Tausendfache Grüße an die Menschen, die zur Verteidigung der Demokratie gegen die rassistischen und faschistischen Parteien, deren Pläne und Machenschaften aufgedeckt wurden, massenhaft auf die öffentlichen Straßen und Plätze gehen und den öffentlichen Raum füllen! Zur Fortsetzung meiner Behandlung unterbreche ich meinen Widerstand durch meinen Hungerstreik, den ich als Protest gegen den Beschluss zur Abweisung meines Antrags und zur Verteidigung meines Rechts auf Behandlung am 19. Dezember 2023 begonnen habe. Ich verkünde noch einmal laut und deutlich, dass ich nicht zögern werde, unter welchen Bedingungen auch immer, was auch immer der Preis dafür auch sein möge, erneut dagegen Widerstand zu leisten, dass uns Grundrechte und Freiheiten genommen werden und wir damit zur Würdelosigkeit gezwungen und gebrochen werden sollen. All meine Genossinnen und Freund*innen, welchen ich im Herzen, Schulter an Schulter verbunden bin, grüße ich in Liebe, Begeisterung, Entschlossenheit und im Glauben an den Sieg!
Es lebe der Widerstand, es lebe der Sieg!
Ihsan Cibelik