Mercedes Kierpacz: Ein Leben voller Liebe, ein Tod durch Hass

Es ist der 19. Februar 2020 gegen 22 Uhr. Mercedes Kierpacz ist gerade in einem Kiosk, welcher direkt an eine Bar, die Arena Bar, anschließt. Mit ihr sind Gökhan Gültekin und Ferhat Unvar.

Mercedes arbeitet fast täglich in diesem Kiosk, welcher nur wenige Meter von ihrer Wohnung entfernt liegt. An diesem Abend ist sie dort, um für ihre zwei Kinder Essen zu holen. Sie unterhalten sich mit einer weiteren Person, über deren Schwangerschaft, während Mercedes auf das Essen wartet.

Plötzlich ertönen Knallgeräusche. Mercedes geht in dem Moment davon aus, dass es sich lediglich um Jugendliche handelt, die Silvesterknaller anzünden. Doch erschießt auf dem Parkplatz vor dem Kiosk und der Arena Bar Tobias Rathjen, ein Rassist, gerade Vili-Viorel Păun.

Nach dem Mord an Vili, macht sich der Täter auf den Weg in den Kiosk. Mit den Worten „Ich bringe euch alle um“, ermordete er Mercedes Kierpacz, Gökhan Gültekin und Ferhat Unvar.

Mercedes Kierpacz war zu dem Zeitpunkt 35 Jahre alt. Sie war eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern und wohnte mit ihrer Familie direkt gegenüber dem Ort, an dem sie ermordet wurde. In diesem Moment wurde einer jungen Frau ihr Leben genommen. In diesem Moment wurden zahlreichen Menschen eine Freundin, eine Tochter, eine Mutter genommen. Heute wird sie beschrieben als eine liebevolle und fürsorgliche Person, die auch mal ausgelassen zu lauter Musik in dem Kiosk tanzte. Ihr Vater beschreibt sie als das Zentrum der Familie, die immer alle zusammengebracht hat. Ein Zentrum, das nun verloren gegangen ist.

In der Nacht vom 19. Februar auf den 20. Februar 2020 wartete Mercedes Vater 20 Stunden auf dem Parkplatz vor dem Kiosk, der auch Tatort des faschistischen Terroranschlags war, um seine ermordete Tochter sehen zu können. Warten auf den Abschluss der Spurensicherung, um sein Kind zu sehen.

Es ist Februar und kalt, Mercedes Vater und andere Angehörige von ihr verlegen das Warten in ein Auto vor dem Kiosk, um sich aufzuwärmen. Plötzlich wird dieses Auto von einer Einheit des SEKs umstellt. Die sowieso schon unglaublich traumatisierten Angehörigen werden mit gezogenen Waffen aufgefordert, das Auto zu verlassen. Mehrfach erklärt Mercedes Vater, dass er hier lediglich auf seine Tochter wartet. Vergeblich. Die Polizei schenkt ihm kein Gehör. Hier wird uns wieder einmal auf schreckliche Art und Weise vor Augen geführt, wie sehr Migrant:innen zum Feindbild gemacht werden. Die Polizei wusste in diesem Moment bereits, wer der Täter ist. Erst nach stundenlangem Warten und mehrfachen Erklärungsversuchen, durfte Mercedes Vater seine Tochter sehen.

Seine Tochter, ermordet durch einen rechtsextremen Täter, sein Vater, ermordet im KZ.

Der Täter tötet anschließend noch Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović.

Vor diesen sechs bereits genannten Morden tötete er drei andere Personen: Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz.

Blind für Rassismus

Wie Sophia Kierpacz, die Mutter von Mercedes richtig sagt, sei immer die Rede von „die Ausländer, die Ausländer“, ihr Kind und auch die anderen Opfer jedoch wurden von einem Faschisten ermordet. Die Jahrzehnte lange rassistischer Hetze gegen Migrant*innen und Geflüchtete, vor allem seitens des Deutschen Staats, wurde in erschreckender Klarheit auch am 19. Februar 2020 in Hanau offensichtlich. Tobias Rathjen ermordete neun Menschen aufgrund rassistischer und faschistischer Ideologien.

Die Rolle des deutschen Staates hierin ist auch bereits vielen klar. Die Gefahr, die von dem Täter ausging, war klar. Er hat sich durch YouTube-Videos und seiner Website mit seinen rassistischen und faschistischen Ideologien ganz offen an die Öffentlichkeit gewandt. Noch dazu war er schon Jahre vor seiner Tat bei der Polizei auffällig geworden. Seine Haltung war klar. Wie gefährlich er war, auch. Trotz dessen wurde ihm seine Waffenlizenz nicht entzogen und er konnte so in wenigen Minuten neun Menschen ermorden.

Man könnte meinen und hoffen, der deutsche Staat hätte aus so einem grausamen, rechtsextremen Anschlag gelernt? Nein. Stattdessen treffen sich Rechtsextreme, darunter Parlamentsmitglieder der AfD und CDU, um möglichst viele Personen nach rassistischen Kriterien aus Deutschland zu vertreiben. Statt Migrant:innen zu schützen, entschied die Regierung erst kürzlich über Möglichkeiten, sie schneller abschieben zu können..

Hanau war kein Einzelfall oder die Tat eines einzelnen „Irren“. Das ist eine vereinfachte und falsche Darstellung der Situation. Genauso wie, dass Rassismus eine von außen importierte Erscheinung sei. Das ist falsch, Rassismus und Faschismus sitzen in unserer Regierung. Faschisten können öffentlich in Parlamenten und Medien ihr Gedankengut verbreiten. Sie haben die Macht, Personen von nun an noch schneller abzuschieben. Rassistische Politik und Hetze, durch die Migrant:innen und Geflüchtete kriminalisiert werden, führen dazu, dass sich rechtsextreme Täter wie Tobias Rathjen nur noch mehr in ihrem Gedankengut und Hass bestätigt fühlen.

Rassismus will uns spalten, uns gegeneinander aufhetzen, um vom eigentlichen Problem abzulenken. Dem kapitalistischen System, welches Rassismus als Nährboden braucht, um sich selbst aufrechtzuerhalten und so Ausbeutung und Ungleichheit zu rechtfertigen.

Deswegen müssen wir uns organisieren und können nur gemeinsam gegen die Instrumentalisierung und Unterdrückung von Migrant:innen und Geflüchteten vorgehen.

Wir gedenken:

Kaloyan Velkov,

Fatih Saraçoğlu,

Sedat Gürbüz,

Vili-Viorel Păun,

Ferhat Unvar,

Mercedes Kierpacz,

Gökhan Gültekin,

Said Nesar Hashemi

und Hamza Kurtović.

4 Jahre Hanau: Gemeinsam am 19. Februar auf die Straßen! Kein Vergeben, kein Vergessen!