Nach Polizeigewalt und Krankenhaus: „Die Gewalt gegen Kriegsgegner ist beängstigend, aber unser Zusammenhalt steigt“

Bei der Großdemonstration gegen Krieg am Samstag in Köln erlitt die Demonstrierende Lea Krüger* durch Schläge von einem Polizisten auf den Kopf ein Schädel-Hirn-Trauma. Im Interview spricht sie über die massive Polizeigewalt gegen Teilnehmer:innen der Demonstration. Und wie sie und ihre Genoss:innen mit den Einschüchterungsversuchen umgehen.
Du warst als Teilnehmerin auf der Großdemonstration des Rheinmetall-Entwaffnen-Bündnisses am Samstag in Köln und hast da Polizeigewalt erfahren. Kannst du uns erzählen, was da genau passiert ist und wie es zu der Situation kam?
Die Demonstration wurde direkt am Anfang, quasi noch während wir uns aufstellten, von der Polizei angegriffen. Zunächst gab es eine Auftaktkundgebung am Heumarkt, und etwa drei Minuten nachdem wir losgelaufen waren, drangen plötzlich Polizisten hinter mir in unseren Block ein und stürzten sich auf einzelne Personen eine Reihe vor mir. Ein Teilnehmer der Demo wurde brutal zu Boden gestoßen.

Das Nächste, was ich hörte waren die Schreie einer Genossin vor mir, auf die ein Polizist einschlägt. Ihr müsst euch vorstellen: eine junge Frau im T-Shirt – und ein 1,90 Meter großer Polizist in voller Montur mit Handschuhen, Helm und Visier.

Ich wurde dann durch die Demo und das Chaos nach vorne gedrückt, konnte die Genossin erreichen und sie unterhaken. Plötzlich spüre ich einen heftigen Schlag gegen meinen Hinterkopf und ducke mich vor dem nächsten, der mich hart am Auge und an der Schläfe, knapp oberhalb des Jochbeins, trifft. Danach weiß ich nicht mehr, was passiert ist – das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich untergehakt neben anderen Teilnehmer:innen der Demo stehe und alle Polizisten außerhalb der Demo standen.

Wie ging es dann weiter? Hast du dich ärztlich behandeln lassen?
Ja – so etwa eine bis anderthalb Stunden nach den Schlägen habe ich gemerkt, dass mir richtig schlecht wurde. Mir war total schwindelig, ich konnte nicht mehr scharf sehen und kaum noch stehen. Zum Glück war das noch in einer Situation, wo unser Demozug nicht eingekesselt war. Ich konnte also raus aus der Demo und zu den Demosanis, die mir empfohlen haben, direkt ins Krankenhaus zu fahren.

Dort kam raus, dass die Schläge zu einem leichten Schädel-Hirn-Trauma, also einer Gehirnerschütterung, geführt haben. Mein Auge ist sofort angeschwollen und inzwischen lila-blau. Außerdem habe ich Schmerzen im Nacken und in der Schulter – meine rechte Schulter hängt auch deutlich tiefer als die linke. Anscheinend hatte ich aber echt noch Glück: Der Schlag gegen mein linkes Auge hat mich zwar heftig erwischt, aber weil ich mich noch wegducken konnte, nicht voll. Die Ärztin im Krankenhaus meinte, mein Jochbein hätte sehr leicht auch brechen können.

Wir haben bei Perspektive Online am Samstag live von der Demonstration berichtet. Kannst du nochmal aus deiner Sicht erzählen, was das für eine Demo war und warum du auch da warst?
Die Großdemo am Samstag wurde vom Rheinmetall-Entwaffnen-Bündnis auf die Beine gestellt. Dabei ging es vor allem darum, aufzuzeigen, dass die Bundesregierung gerade massiv aufrüstet, um „kriegstüchtig“ zu werden – und dass Firmen wie die Rheinmetall AG davon profitieren. Und darum, dass wir uns gegen diese Kriegstreiberei zur Wehr setzen. Deswegen heißt das Bündnis ja auch „Rheinmetall Entwaffnen“.

Vor allem fordert das Bündnis, dass Deutschland keine Waffen mehr nach Israel liefert, und sie setzen sich klar für die palästinensische Bevölkerung ein. Außerdem sprechen sie sich gegen die Pläne der Bundesregierung aus, die Wehrpflicht wieder einzuführen, und generell gegen die immer weiter steigende Militarisierung in Deutschland.

Das Rheinmetall-Entwaffnen-Camp fand – trotz kurzzeitigen Verbots durch die Polizei – vom 26. bis 31. August in Köln statt. Die Demo am Samstag, die offiziell als Parade angemeldet war, war dann sozusagen der Höhepunkt des Camps. Alle Teilnehmer:innen sind noch einmal gemeinsam auf die Straße gegangen. Am Camp haben ungefähr 1.500 Leute teilgenommen, bei der Demo am Samstag waren es dann etwa doppelt so viele.

Nachdem du die Demonstration wegen deiner Verletzungen verlassen hast, ging die Demo ja trotzdem weiter und wurde wieder massiv von der Polizei angegriffen. Ein Großteil der Demo wurde über zwölf Stunden eingekesselt.
Nach Angaben der Demosanitäter gab es am Samstag während der Demo allein 147 Behandlungen – von Pfefferspray-Verletzungen über kleinere chirurgische Fälle bis hin zu psychischer Betreuung. Viele hatten, wie ich, leichte Schädel-Hirn-Traumata, allerdings wurden nur die Schwerverletzten aus dem Kessel herausgelassen und ins Krankenhaus gebracht.

Mehrere der eingekesselten Teilnehmer:innen wurden bewusstlos und haben teilweise erst sehr spät medizinische Hilfe bekommen. Ich habe Berichte von Menschen aus den ersten Reihen gehört, die mit Platzwunden am Kopf auf dem Boden lagen und über die die Polizei drüber gelaufen ist. Wenn man nur kleine Kratzer, blaue Flecken oder „ein bisschen was abbekommen“ hat, hat man wirklich Glück gehabt.

Der Notarzt vor Ort, P. Vlatten, meinte auch im Nachgang über die Demonstration, dass er – obwohl er bei vielen Großdemonstrationen wie G20 oder Blockupy im Einsatz war – so eine Brutalität im Vorgehen über Stunden hinweg noch nie erlebt hat.

Ab 2 Uhr war ich noch einmal als Unterstützung dort, wo die Teilnehmer:innen aus dem Kessel kamen, um sie mit Wasser, Essen und psychisch zu versorgen. Eine lag in einer Rettungsdecke auf dem Boden, ihre Genossin hielt sie mit den Armen. Sie war leichenblass, konnte kaum noch sprechen und ist die ganze Zeit weggedämmert. Die Sanitäter vor Ort wirkten verzweifelt, warteten unruhig auf den Krankenwagen und fragten immer wieder, wo er denn bliebe.

Als dieser endlich kam, war die Teilnehmerin schon nicht mehr ansprechbar. Sie war mehr als zehn Stunden mit einem Schädel-Hirn-Trauma im Kessel und konnte erst nach erkennungsdienstlicher Behandlung raus. Sie hat Glück gehabt, es war nur ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma, aber das war ein Moment, der für mich sehr einprägsam war.

Was war der Grund für die massiven Repressionen? Was denkst du?
Die Polizei wollte den Antikriegsprotest ganz klar kriminalisieren, die Teilnehmer:innen einschüchtern und vor allen Dingen Daten sammeln. Offiziell hieß es, es gäbe einzelne Verstöße gegen das Versammlungsrecht oder dass Teile der Demo sich „unfriedlich“ verhalten hätten.

Okay, im revolutionären Block wurde Rauch gezündet, die Seitentransparente waren teilweise entgegen der Demo-Auflagen verknotet und einzelne Personen waren zeitweise vermummt – aber das rechtfertigt doch in keinem Fall Demonstrierende mit Knüppeln gegen Kopf, Hände, Arme und in den Bauchraum zu prügeln, über 350 Menschen für zwölf Stunden im Kessel zu halten, zeitweise kein Wasser und Essen reinzulassen, Presse festzunehmen, Sanitäter nicht zu Verletzten zu lassen und einen Großteil der Demonstration einzeln erkennungsdienstlich zu behandeln. Auch der Einsatzleiter der Sanitätsdienstes bestätigte, dass die Gewalt von der Polizei ausging.

Ich denke, dass die Repression tatsächlich dafür genutzt wurde, Personalien und Bilder einzusammeln und den Antikriegsprotest sowie auch die revolutionäre Bewegung im Allgemeinen einzuschüchtern. Es ging der Polizei nie darum, einzelne Verstöße gegen das Versammlungsrecht zu ahnden – das Ziel war von Anfang an, die Demonstration zu eskalieren, Menschen zu verunsichern und Daten zu sammeln.

Das haben einzelne Polizist:innen auch ganz offen gegenüber Demonstrierenden und Anwohner:innen ausgesprochen. Gegenüber einer Anwohnerin hat ein Polizist gesagt, dass sie das „zur Abschreckung [machen], damit solche Demos nicht mehr stattfinden“. Ein anderer sagte: „Wir verprügeln sie heute so sehr, dass sie danach nicht mehr demonstrieren.“

Während des Rheinmetall-Entwaffnen-Camps gab es schon vor der Großdemonstration am Samstag viele kleinere und größere Blockadeaktionen, die erfolgreich verliefen. Glaubst du, dass das auch beeinflusst hat, wie die Polizei sich am Samstag verhalten hat?
Ja, ich denke schon, dass die Polizei frustriert war, weil sie in den Tagen davor praktisch nur „reagieren“ konnte. Die ganze Woche über gab es Demonstrationen, Flyeraktionen und Kundgebungen an verschiedenen Orten.

Am Freitag konnten sogar vier Blockadeaktionen parallel stattfinden: Bereits am frühen Morgen hatten Aktivist:innen in Düsseldorf das Büro der Castenow Werbeagentur blockiert, indem sie die Tore verketteten. Einige Stunden später besetzten junge Aktivist:innen ein Büro der SPD, um noch einmal ihren Widerstand gegen das am Mittwoch beschlossene Wehrdienstgesetz zu zeigen.

Am Nachmittag wurde in Köln ein Logistikzentrum der Deutz AG, die unter anderem Panzer-Motoren herstellt, über mehrere Stunden von rund 200 Demonstrierenden blockiert – die Polizei traf erst wenige Minuten nach den Demonstrierenden vor den Toren der Deutz AG ein. In Bonn wurde ebenfalls eine Betriebsstelle der Rheinmetall-Tochter Rheinmetall Protection Systems GmbH blockiert, wodurch der Schichtwechsel verzögert wurde.

Bei fast allen Aktionen konnte die Polizei nur noch reagieren, als es schon zu spät war. Die Blockadeaktionen wurden direkt unter ihren Augen organisiert – und trotzdem konnten sie sie nicht verhindern. Am Samstag wurde deutlich, wie aufgeladen die Polizei war – es wirkte, als hätten sie all ihre Frustration der Woche am Samstag in der Demo rausgelassen. Insofern kann man die Polizeigewalt am Samstag auch als Zeichen dafür sehen, dass unser Protest Wirkung zeigt.

Wie gehst du jetzt damit um?
Für mich und ich glaube auch für viele andere ist klar: Wir lassen uns nicht einschüchtern – weder durch zwölfstündige Kessel noch durch ED-Behandlungen oder Gehirnerschütterungen. Das haben wir auch alle in der Nacht von Samstag auf Sonntag gezeigt, als besonders die eingekesselten Menschen die Moral bis zum Ende oben gehalten haben. Sie haben getanzt, gesungen und laut Parolen gerufen.

Ich denke, dass die Gewalt der Polizei trotzdem zwei Seiten hat. Diese Gewalt ist natürlich beängstigend und wird bei den allermeisten Menschen auch solche Gefühle auslösen. Damit müssen wir einen kollektiven Umgang finden. Aber gleichzeitig stärken uns solche Erfahrungen auch – weil wir einerseits sehen, dass wir zumindest teilweise dagegen halten können und nicht alles mit uns machen lassen. Aber andererseits auch, weil wir in diesen Momenten einen unglaublichen Zusammenhalt untereinander entwickeln, der uns ganz viel Kraft und Mut geben kann.

*Name geändert

https://perspektive-online.net/2025/09/nach-polizeigewalt-und-krankenhaus-die-gewalt-gegen-kriegsgegner-ist-beaengstigend-aber-unser-zusammenhalt-steigt