Aktivistin von Handala Leipzig nach Hausdurchsuchung: „Im Herzen der Bestie einen Beitrag für Palästina leisten“

Am Mittwochmorgen haben fünf Polizist:innen die Wohnung einer hochschwangeren Aktivistin durchsucht. Vorgeworfen wird ihr die „Billigung von Straftaten“ in einem palästina-solidarischen Instagram-Post. Wir haben mit Sandra F. von Handala Leipzig über die Repressionen gesprochen.
Erst einmal zum Einstieg: Wer bist du, was machst du, und was ist passiert?
Ich bin Halb-Deutsche und Halb-Palästinenserin, in der Westbank geboren und in Deutschland aufgewachsen. Ich bin Kunsthistorikerin und habe bis vor kurzem für ein großes Museum in Sachsen gearbeitet. Aktuell bin ich im Mutterschutz, denn ich bekomme in wenigen Wochen mein zweites Kind. Ich bin bei Handala Leipzig aktiv und mache insbesondere die Social Media-Arbeit.

Mir war klar, dass wir dem Staat ein Dorn im Auge sind. Daher haben mein Freund und ich uns auf eventuelle Hausdurchsuchungen vorbereitet. Wir halten seit einem Jahr schon einen Beutel mit Dingen für unser Kind an der Wohnungstür bereit. Wenn es zu einer Hausdurchsuchung kommt, sollte mein Freund unser Kind nehmen und mit dem Beutel zu einer Freundin gehen.

Am Mittwoch, den 10. September war es dann soweit: Es klingelte um 6 Uhr morgens, und fünf Polizisten und ein definitiv wenig neutraler Zeuge standen vor meiner Tür, während ich in Unterwäsche und T-Shirt über meinem hochschwangeren Bauch die Tür öffnete. Die Polizei kam sofort rein und zeigte mir erst dann in meinem Flur stehend den Durchsuchungsbefehl. Sie wollten die Telefone und Computer von mir und meinem Freund und nahmen auch ein paar andere Sachen mit. Was mich amüsierte: sie konfiszierten mit ernster Miene das Info-Material der Roten Hilfe zu Hausdurchsuchungen.

Ich habe selbstverständlich allen Maßnahmen widersprochen, nichts unterschrieben, kontrolliert, was die Polizei mitnimmt und keine Passwörter verraten. Auch mein Freund blieb ruhig und ließ sich auf keine Diskussionen mit der Polizei darüber ein, welcher Fußballverein denn der bessere sei. Mein fünfjähriges Kind, dem ich sagte, die Polizei wolle schauen, ob mit der Statik des Gebäudes alles in Ordnung sei, frühstückte ruhig in der Küche und war nur irritiert, dass die Polizistin, die uns überwachte, die Küchenschränke mit der Kindersicherung, die inzwischen keine Herausforderung mehr für ihn darstelle, nicht öffnen konnte.

Was wird dir konkret vorgeworfen?
Ja, das ist wirklich absurd, geradezu lächerlich, wenn es nicht so zynisch und menschenverachtend wäre: Also mir wird – und ich zitiere – die „Billigung von Straftaten, die durch die Hamas im Rahmen des Nahostkonflikts begangen wurden“ vorgeworfen – ganz konkret in Bezug auf einen Instagram-Post vom 15. Januar diesen Jahres. Das war der Tag der Verlautbarung des Waffenstillstandes zwischen der Besatzungsmacht und der Hamas durch die Vermittlung der USA und Katars. Wir riefen damals zu einer Kundgebung auf. Ganz konkret definierten wir im Aufruf den Waffenstillstand als:

vom US-Imperialismus diktiert, der den Völkermord politisch ermöglichte und ganz materiell 70 Prozent aller von der Besatzungsarmee genutzten Waffen lieferte.
zwischen einer mit modernsten Waffen und Atomwaffen ausgerüsteten Kolonialmacht und einer Guerilla mit selbst gebauten Waffen.
gleichzusetzen mit dem Status quo, nämlich: Blockade, Besatzung, Apartheid,
unter Androhung der Fortführung des Völkermords.
Ich erinnere mich so gut an diese Zeit, als wir alle voller Hoffnung waren, dass zumindest der Völkermord damit beendet würde. Den Status quo aber, also die Fortführung der seit über 70 Jahren völlig normalisierten Kolonialverbrechen, konnten wir nicht feiern. Bei der Kundgebung sprach eine Person von uns, die aus Gaza kommt und deren Familie in Gaza lebt, davon, dass wir nun mit dem Trauern um die Toten beginnen können.

Was ich so unglaublich finde: dass die Polizei jetzt meine Wohnung stürmt, mich bewacht während ich mir meine Hose anziehe, in das Zimmer geht, in dem mein Kind schläft – Monate, nachdem längst auch der:m letzten klar geworden ist, dass wir als Handala von Anfang an Recht hatten. Ich meine, wir forderten bereits im Oktober 2023 „Stoppt den Völkermord!“ – Jetzt hat die Kolonialmacht ihn schon realisiert.

Und dieser konkrete Zeitpunkt der Hausdurchsuchung geht mir nicht aus dem Kopf: Der Tag, nachdem die Besatzungsarmee den Ort der Verhandlung über Waffenstillstand und Geiselaustausch bombardierte. Ja, Monate, nachdem die Kolonialmacht den Waffenstillstand vom Tag unseres Postings gebrochen und unzählige Menschen ermordetet hat, nachdem längst klar ist, dass Israel sich keinen Deut um seine Geiseln schert und ausschließlich an der Auslöschung unseres Volkes interessiert ist, am Tag nach der Bombardierung des Verhandlungsortes, am Tag, nachdem sie versuchten, ihre Verhandlungspartner zu ermorden, da sitzt mein Kind mit der Polizei in der Küche.

Solche Gedankenkreise habe ich und denke an die Kinder in Gaza in ihren Zelten.

Das ist nicht die erste Hausdurchsuchung gegen palästina-solidarische Aktivist:innen aufgrund eines Social Media-Posts. Was hältst du von den Vorwürfen?
Ich halte diese Vorwürfe für wirklich abgrundtief widerlich. Der deutsche Staat liefert 30 Prozent der Waffen an die Kolonialmacht, verhindert in der EU eine Aufhebung des Assoziierungsabkommens mit Israel, was ja nun wirklich das Mindeste wäre, wenn man sich als bürgerliche Demokratie ernst nehmen möchte. Der deutsche Staat begeht Völkermord und wirft dann Palästinenser:innen und Palästina-Solidarischen in Deutschland vor, Straftaten zu billigen, wenn sie sich gegen den Völkermord stellen.

Zwar ist die Bezugnahme auf das Völkerrecht ziemlich absurd, denn es ist das Recht, das von den Kolonialmächten des letzten Jahrhunderts entwickelt wurde und Palästina dem Zionismus geopfert hat. Aber es zeigt die Absurdität der bundesdeutschen Argumentation:

Nach dem Völkerrecht hat jedes Volk ein Recht und sogar die Pflicht zum Widerstand gegen Unterdrückung. Und auch die Hamas hat nach dem Völkerrecht das Recht auf Widerstand, da kann Nancy Faeser den Verein Hamas noch so oft verbieten. Die Hamas ist kein deutscher Verein, sondern eine Widerstandsorganisation in Palästina, die gegen eine Besatzungsmacht kämpft – und dies ist eine völkerrechtliche Einschätzung.

Auch eine völkerrechtliche Einschätzung ist das Urteil des Internationalen Gerichtshofes, das bereits im Januar 2024 von einem plausiblen Völkermord durch Israel sprach. Damit sind alle Staaten dazu verpflichtet, alles zu tun, um diesen zu verhindern. Deutschland hat weiter Waffen geliefert und liefert weiter.

Aber es ist natürlich müßig, sich immer wieder auf das Völkerrecht zu beziehen, denn keine internationale Polizeieinheit aus Den Haag wird in das Haus des Kanzlers eindringen, während er in Unterhose vor der Tür steht, und ihm einen Durchsuchungsbefehl des Internationalen Gerichtshofes überreichen, in dem ihm die „Billigung von Straftaten, die durch Israel im Rahmen des Nahostkonflikts begangen wurden“ vorgeworfen wird. Und es handelt sich nicht nur um eine Billigung – es geht um eine Beteiligung an dem größten Verbrechen: Völkermord.

Seit knapp zwei Jahren nimmt die Repression gegen palästina-solidarische Stimmen sprunghaft zu: siehe das Verbot von Samidoun, das Verbot der Gruppe Palästina Solidarität Duisburg und auch die Einstufung von Handala Leipzig als extremistisch durch den sächsischen Verfassungsschutz. Wie erklärst du dir dieses politische Klima?
Der ideologische Hintergrund ist ja Folgender: Für das System der Bundesrepublik ist der Kolonialstaat Israel gleichzusetzen mit allen Juden auf der Welt, ob die nun wollen oder nicht. Der deutsche Staat will es jedenfalls so, also ist es so. Dann bedeutet die Gründung des Kolonialstaats Israel in Palästina durch systematische Vertreibung der Einheimischen und nun ihre Auslöschung die Sühne für den Holocaust. Wer sich nun gegen die Auslöschung Palästinas erhebt und die Befreiung ganz Palästinas vom Kolonialismus fordert, ist in der Logik des deutschen Staates für einen erneuten Holocaust.

Die Bundesrepublik sagt: Palästinenser kämpfen nur gegen ihre Unterdrückung und Auslöschung, weil die Kolonialherren Juden sind – Juden, die in Deutschland dagegensprechen, werden dann diffamiert. Palästinenser sind für den Staat hier ein riesiges Problem, sie hätten nie existieren sollen. Die Existenz der Palästinenser zerstört das schöne Narrativ: Israel ist die Sühne aus dem Holocaust. Also muss Palästina sterben.

Wir haben uns lange auf Aufklärungsarbeit konzentriert. Wir sind in die ideologische Debatte gegangen. Aber seit diesem Sommer konzentrieren wir uns auf das Materielle. Wir haben als Palästina-Gruppe von Leipzig ein breites Bündnis gegründet und mit diesem zusammen einen Marsch zum Flughafen Leipzig organisiert. Wir sind dort hingegangen, wo die militärischen Güter für Israels geladen und transportiert werden. Wir haben die Kollegen Am Flughafen angesprochen als diejenigen, die die Macht haben, die Zufuhr an Waffen für den Völkermord zu stoppen.

Wir haben das Interesse des Kapitals am Völkermord angerührt und dann kam die Hausdurchsuchung. Für mich bedeutet dies: Unsere Arbeit geht in die richtige Richtung. Nicht die Ideologiekritik, sondern das Angreifen materieller Interessen am Völkermord und an der Kolonisierung Palästina muss das Ziel sein.

Noch vor wenigen Tagen hat der sächsische Landesvorstand der Linken die Zusammenarbeit mit Handala verboten. Wie wollt ihr auf derartige politische Angriffe von allen Seiten antworten?
Der Zustand der Partei die Linke ist tatsächlich erbärmlich und in Sachsen haben wir es mit einem besonders erbärmlichen Ableger zu tun – um es in den Worten des Co-Landesvorsitzenden Marco Böhme zu sagen, der sich tatsächlich nicht entblödete zu behaupten, dass wir bundesweit aktiv seien und „in Leipzig einen besonders radikalen Ableger“ haben.

Wir haben den Bundesparteitag der Linken begleitet. In Halle im Oktober 2024 haben wir deutlich gemacht, was wir von der Linken erwarten. Wir haben den Antrag der Linken zur Westsahara genommen und einen zusätzlichen Änderungsantrag in denselben Worten formuliert und diesen an die Delegierten und Mitglieder verteilt. Im ursprünglichen Antrag zur Westsahara solidarisierte sich die Linke mit dem anti-kolonialen Widerstand gegen die marokkanische Besetzung der Westsahara. Vertreter des Widerstandes sollten von der Linken eingeladen und unterstützt werden – genau das fordern wir auch von der Linken in Bezug auf Palästina. Beim Bundesparteitag in Chemnitz im Mai 2025 hat die Linke sich immer noch nicht richtig zu Palästina geäußert, doch zumindest die zionistische Definition von Antisemitismus offiziell abgelegt.

In Sachsen wiederum wurde beim Landesparteitag selbst diese winzige Verbesserung im Angesicht des Völkermords an Palästina kritisiert. Man wolle zurück zur zionistischen IHRA-Definition.

Der Stadtparteitag der Linken wiederum versuchte sich an einem diffusen Antrag zum gerechten Frieden in Palästina, ein Sammelsurium an Diskursfetzen. Es wurde in Leipzig diskutiert, ob die palästinensischen Flüchtlinge ein Rückkehrrecht haben sollten oder ob das keine Gefahr sei für den jüdischen Charakter Israels. Es gab Wortmeldungen von Zionisten, die die Expansionspolitik der Kolonialregierung gleichsetzen mit der Befreiung ganz Palästinas vom Kolonialismus. Es dürfe weder ein Großisrael noch ein „Großpalästina“ geben, waren tatsächlich Worte, die man hören konnte.

Aber tatsächlich hat sich die Mehrheit der Mitglieder in Leipzig für eine Änderung ausgesprochen. Im ursprünglichen Antrag sollte es heißen, dass man sich für den demokratischen Aufbau Gazas ohne Hamas einsetzen müsse. Der Zusatz „ohne Hamas“ wurde vom Stadtparteitag durch Abstimmung gestrichen – also man kann zumindest feststellen, dass die Zionisten in der Partei gerade verlieren.

Und zum Schluss: Wie kann man dich und deine politische Arbeit unterstützen?
Man kann sich unserem Palästina Aktionsbündnis Leipzig anschließen und gegen den Transport von Rüstungsgütern vom Flughafen Leipzig an Israel mobilisieren. Wo immer man ist, sollte man die Palästina-Gruppen unterstützen – und vor allem sollte man in den Gewerkschaften gegen die zionistische Bürokratie kämpfen.

Wir müssen hier in Deutschland, im Herzen der Bestie, die Ermöglichung der kolonialen Gräuel verhindern und so einen Beitrag für Palästina leisten.

https://perspektive-online.net/2025/09/aktivistin-von-handala-leipzig-nach-hausdurchsuchung-im-herzen-der-bestie-einen-beitrag-fuer-palaestina-leisten