Eine Stadt, zwei Demos, ein Thema: der Völkermord in Gaza. Während „Zusammen für Gaza“ einen Teilnehmer:innenrekord aufstellte, wurde die „United for Liberation“-Demo mit Polizeigewalt überzogen. Den Abschluss bildete ein Solidaritätskonzert mit bekannten Rap-Acts.
Am Samstag fand in Berlin mit der „Zusammen für Gaza“-Demo die bisher größte Palästina-solidarische Demonstration seit Beginn des Völkermords statt. Laut Angaben der Polizei kamen 50.000 Menschen zu dem Protest, die Veranstalter:innen sprechen von über 100.000 Demonstrierenden.
Am Neptunbrunnen am Alexanderplatz sammelten sich am frühen Nachmittag neben der Linkspartei und NGOs wie Amnesty International auch verschiedene Akteure aus der Palästina-solidarischen Bewegung der letzten zwei Jahre. Mit dabei waren unter anderem die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, die Partei Mera25, die Kampagne BDS oder die Jugendorganisation Revolution. Auch zahlreiche Gewerkschafter:innen sowie klassenkämpferische Organisationen waren auf der Demo anzutreffen.
Zuvor wurde jedoch auch Kritik an den Organisator:innen laut. Besonders im Fokus stand dabei die Linkspartei, die bis zuletzt vermied, den Begriff Völkermord in den Mund zu nehmen. Zudem hatte die Partei den Palästina-Aktivisten Ramsis Kilani im Dezember 2024 ausgeschlossen. Auch die zionistischen Teile der Parteiführung – allen voran Bodo Ramelow – warfen immer wieder einen Schatten. Ramelow hatte in einem Podcast die Berichterstattung über getötete palästinensische Kinder als „Hamas-Scheiße“ betitelt.
Die Migrantifa Berlin hatte zuvor aufgerufen, trotz wichtiger Kritiken an der Demonstration teilzunehmen. Dass mehr Menschen auf die Straße gehen sei positiv, doch das dürfe nicht mit Kompromissen in der eigenen Haltung einhergehen. Denn es gehe nicht darum „beide Seiten“ zu verurteilen oder zu einem „gerechten Frieden“ aufzurufen. Die Föderation Klassenkämpferischer Organisation (FKO) rief zur Teilnahme an beiden Demonstrationen auf, um „kämpferischen Protest sowie die Beeinflussung möglichst großer Teile unserer Klasse zusammenzuführen“.
Viele Menschen – Akzente durch sozialistische Kräfte
Auf der Kundgebung traten dann Ines Schwerdtner und Jan van Aken – die Vorsitzenden der Linkspartei – auf. Schwerdtner erklärte: „Das, was in Gaza passiert, ist ein Völkermord und wir können nicht dazu schweigen!“ Auch sie selbst habe zu lange geschwiegen. Ein Aktivist kritisierte auf der Bühne die Linkspartei dafür, dass sie sich erst nach zwei Jahren zu Wort melde. Jetzt müssten sie sich erst ein mal beweisen.
Die „Zusammen für Gaza“-Demo zog vom Alexanderplatz zum Großen Stern im Tiergarten, wo später die Konzert-Kundgebung „All Eyes on Gaza“ stattfand. Der Demonstrationszug zum Tiergarten verlief eher ruhig. Von der Polizei aus blieb es bei einzelnen Schubsern in der Nähe der zionistischen Gegenkundgebung am Brandenburger Tor. Die Demonstration selbst wurde eher an einzelnen Stellen von lauten Parolen begleitet.
Sozialistische Organisationen wie Klasse gegen Klasse, der Bund der Kommunist:innen oder die FKO sorgten an verschiedenen Stellen in der Demo für Stimmung und forderten in Redebeiträgen und Sprechchören ein Ende des Völkermords und das Ende deutscher Waffenlieferungen. Dabei waren auch vereinzelt Parolen wie „Yallah Intifada“ zu hören.
Perspektive Online, CC BY-NC-SA 4.0
Inhaltlich wurde jedoch auch die ideologische Breite der Demonstration sichtbar. Auf einzelnen Schildern waren Sprüche wie „Free Gaza ohne Hamas“ oder „Arm Ukraine not Israel“ zu lesen. Auf anderen Bannern wurde sich dagegen klar mit dem legitimen Befreiungskampf der Palästinenser:innen solidarisiert und zum Kampf gegen den deutschen Imperialismus aufgerufen. So prangte auf einem Transparent auf der Abschlusskundgebung groß der Schriftzug „Krieg dem Krieg“. Neben dem Transparent waren zahlreiche Schilder mit Forderungen wie „Keinen Cent für Rheinmetall“ und „Nicht unser Krieg“ zu sehen.
Konzert mit K.I.Z, Pashanim und OG Lu
Etwa 50 Meter weiter begann dann am frühen Abend die Kundgebung „All Eyes on Gaza“, bei der neben Redebeiträgen vor allem die Auftritte verschiedener Künstler:innen auf dem Programm standen.
Organisiert wurde die Demonstration unter anderem von Marcus Staiger, der Rap-Ikonen wie Sido oder Kool Savas mit seinem Label Royal Bunker zum Erfolg verhalf. Mittlerweile ist er in verschiedenen sozialen Bewegungen, wie der Kampagne gegen den Zaun um den Görlitzer Park oder dem Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“, aktiv.
„Wir alle stehen heute hier zusammen, weil wir das Ende der Beteiligung unserer Bundesregierung an der Ermordung von über 60.000 Palästinenserinnen und Palästinensern, darunter über 18.000 Kindern fordern“, schallt es über die Straße zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor. Der palästinensische Aktivist Bassem Said zeigt sich dankbar über die Massen an Menschen, die gekommen sind: „Ihr seid gekommen, um Widerstand hörbar zu machen. Eure Stimmen, eure Musik, eure Solidarität. Das alles ist ein Schutzschild gegen das Schweigen.
Als erstes tritt dann der Rapper Ali Bumaye auf und rappt über seine Verbundenheit zu der Heimat, in der er selbst nie gelebt hat. Doch er hofft weiter, eines Tages Palästina besuchen zu können. Auch Rapper:innen wie OG Lu aus Frankfurt, Pashanim aus Berlin und das Rap-Trio K.I.Z treten an diesem Abend vor zehntausenden Menschen auf.
In einigen ihrer Lieder haben diese Künstler:innen in den vergangenen Jahren Bezug auf den Freiheitskampf der Palästinenser:innen und auch die Repression in Deutschland aufmerksam gemacht. Tarek von dem Trio K.I.Z führt auch an diesem Abend vor der Siegessäule den Song „Sensibel“ auf und rappt: „Das ist dein Karriereende, überleg dir diesen Post / Für dein ‚Free Palestine‘ ruft der Chef dich ins Büro“ Und weiter: „Halt die Füße still, du bist hier wegen der Quote / das ist noch kein Völkermord, das war’n noch nicht genügend Tote“
Zwischenzeitlich solidarisierten sich Sprecher:innen auch mit der von der Polizei angegriffenen Demonstration in Kreuzberg und verurteilten die „Spaltungsversuche“ der Polizei.
Kritik an Kompromissen – vereint für Befreiung
Anders als die Großdemo in Berlin-Mitte fand die „United for Liberation – Fight Normalization“-Demo in Berlin-Kreuzberg statt – einem historisch migrantisch geprägten Arbeiter:innenviertel der Stadt. Diese Demo brachte etwa 1.500 Teilnehmende auf die Straße. Ursprünglich sollte die Demonstration von Kreuzberg bis nach Neukölln – dem Hotspot der palästinensischen Community – ziehen.
Die Demonstration wurde von einem Bündnis organisiert, das sich kritisch gegenüber reformistischen Kräften wie der Linkspartei zeigen. In ihrer vor der Demo veröffentlichten Erklärung machen Gruppen wie die Alliance of International Feminists klar: „Unser Widerstand ist keine Ästhetik – er ist eine Bewegung für Gerechtigkeit und Befreiung ohne Kompromisse“ Dabei richtete sich die Kritik der organisierenden Gruppen vor allem gegen eine mögliche Normalisierung des israelischen Staates und einer „falschen Balance“ zwischen Israel und Palästina.
Das Ziel dieses Bündnisses ist es, den Kampf gegen den Völkermord in einen Kampf für die Befreiung Palästinas einzubetten. Sie sehen bei der parallel stattfindenden Großdemo die Gefahr, dass diese sich zu sehr auf einen „Frieden mit einem Apartheidregime“ beschränke.
Die Demo selbst war kleiner als die „Zusammen für Gaza“-Demo, dafür bekam sie die gesamte Härte des Repressionsapparats zu spüren. Bereits vor Beginn der Startkundgebung am Moritzplatz nahm die Polizei erste Menschen fest, um ihre Personalien festzustellen.
Die Demonstrierenden solidarisierten sich hier deutlich offener mit dem Befreiungskampf in Palästina. Immer wieder wurden Parolen wie „Glory to the resistance“ angestimmt. Auf einem Flyer der FKO war zu lesen: „Widerstand ist gerechtfertigt – ob in Palästina oder im Herzen des Imperialismus!“
Polizei löst Demo frühzeitig auf
Nachdem die Demonstration dann zu bis zum Kottbusser Tor gezogen war, folgten die ersten gewaltsamen Angriffe der Polizei. Dafür nahmen sie vor allem die Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“ zum Anlass, um behelmt in die Menge zu rennen und mit Fäusten auf die jungen Menschen einzuschlagen. Mittendrin waren jedoch auch Eltern mit ihren Kinderwägen.
Mouafak Mahmalji
Nachdem die Demonstration einige Zeit zum Stehen gekommen war, wurde von einem möglichen Demonstrationsteilnehmer in der Menge ein Böller gezündet, der die Demonstrierenden kurzzeitig auseinandertrieb. Danach ging die Polizei umso gewaltvoller vor. Nachdem die Versammlung aufgelöst wurde entfernte die Polizei die verbliebenen Menschen mit Gewalt von der Straße.
Der Palästina-Aktivist Khaled, der an einem Megaphon die vermeintlich verbotene Parole „From the river to the sea“ angestimmt hatte, wurde innerhalb weniger Sekunden von der Polizei aus der Menge gezogen und weggetragen. Besonders kurios: Er wurde bereits drei mal von Berliner Gerichten für das Rufen dieser Parole freigesprochen. Die Berliner Polizei scheinen diese und zahlreiche weitere Urteile bisher jedoch nicht zu interessieren.
Insgesamt verhaftete die Polizei dutzende Menschen und ließ die letzte Person erst gegen halb 12 am Abend aus der Gefangenensammelstelle am Tempelhofer Damm.