Anerkennung eines palästinensischen Staates – Mehr als ein Symbol?

Der französische Präsident Macron hat angekündigt, dass Frankreich einen palästinensischen Staat offiziell anerkennen werde. Damit brüskiert er Israel und die USA und zwingt womöglich europäische Verbündete dazu, ebenfalls deutlicher Stellung zu beziehen. Doch die Frage bleibt: Was nützt die diplomatische Anerkennung eines Staates den Palästinenser:innen? – Ein Kommentar von Mohannad Lamees.
Bei der nächsten Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York im September wird Frankreich, so hat es Präsident Emmanuel Macron angekündigt, den Staat Palästina anerkennen. Zugleich nannte Macron die Bedingungen, die für diese Anerkennung zuvor mit Mahmud Abbas, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), ausgehandelt wurden: Der zukünftige Staat Palästina müsse vollständig entmilitarisiert sein und Israel anerkennen.

Von den 197 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen haben derzeit 147, also über drei Viertel, den Staat Palästina anerkannt. In Europa haben zuletzt bereits Spanien, Irland und Norwegen diesen diplomatischen Schritt vollzogen. Frankreich ist gleichzeitig jedoch der erste der G7-Staaten, der einen palästinensischen Staat anerkennt.

Frankreich geht voran, zieht Deutschland mit?
Die Anerkennung des Staates Palästina durch Frankreich ist gleichzeitig auch Ausdruck der zunehmenden Distanz in den amerikanisch-europäischen Beziehungen. Frankreich stößt mit dem Schritt deutlich gegen den Willen der USA vor. Macron versucht, eine von den Europäer:innen schon länger aufgestellte Forderung – die Zwei-Staaten-Lösung – auch gegen die Pläne der USA für die Region durchzusetzen.

Europa und die EU sind in der Frage, wie eine solche Zwei-Staaten-Lösung zu erreichen sei, weiterhin uneins. Vor allem Deutschland agiert sehr zurückhaltend wenn es um den Aufbau von internationalem Druck auf Israel geht.

Im vergangenen September verabschiedeten die Vereinten Nationen auf Grundlage eines Gutachtens über die israelische Besatzungspolitik eine Resolution über den Rückzug der Israelis aus den besetzten palästinensischen Gebieten binnen einen Jahres. Deutschland gehörte nicht zu den unterzeichnenden Staaten. Frankreich zeichnete die Resolution mit.

Auch ein jüngst veröffentlichter Appell an Israel von über 20 Staaten, darunter Großbritannien und Frankreich, wurde von Deutschland nicht unterstützt. In dem Appell wird Israel aufgefordert, den Krieg in Gaza zu beenden, Lieferungen von Hilfsgütern zuzulassen und Pläne für Umsiedlungen der Palästinenser:innen zu verwerfen.

Angesichts des Schrittes Frankreichs, den Staat Palästina nun offiziell anzuerkennen, weist Deutschland eine eigene Anerkennung Palästinas zurück. Stattdessen beruft sich die Regierung weiterhin darauf, dass für diesen Schritt vor allem die Zustimmung Israels notwendig sei. „Die Bundesregierung hält an der Überzeugung fest, dass nur eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung dauerhaft Frieden und Sicherheit für Israelis und Palästinenser bringen wird““, sagte dazu Regierungssprecher Stefan Kornelius.

Da andererseits jedoch Israel keinerlei Bereitschaft für Verhandlungen zeigt und seinen Völkermord an den Palästinenser:innen weiter vorantreibt, sieht sich auch Deutschland gezwungen über schärfere Maßnahmen nachzudenken. In der SPD-Fraktion gibt es Rufe, ein Gesuch Spaniens zu unterstützen, wirtschaftliche Kooperationen mit Israel im Rahmen des sogenannten „Assoziierungsabkommens“ als Sanktionsmaßnahme aufzukündigen. Von Bundeskanzler Merz und Außenminister Wadephul bleibt es jedoch bei mahnenden Worten an Israel.

Die Zwei-Staaten-Lüge
Egal ob mahnende Worte oder Anerkennung eines Staates Palästina – Israel hat sich von seiner systematischen Politik der Landnahme und Vertreibung noch nie durch diplomatische Schritte abbringen lassen. Die sogenannte Zwei-Staaten-Lösung ist dabei heute nicht mehr als ein Traumgespinst.

In der Realität wurde die Möglichkeit eines zusammenhängenden palästinensischen Staatsgebiet durch die israelische Siedlungspolitik längst zunichte gemacht.

Die moderne Zwei-Staaten-Lösung, also die Errichtung eines unabhängigen palästinensischen Staates neben Israel, wurde vor allem in den Oslo-Friedensprozessen manifestiert. Diese Prozesse waren Verhandlungen, zu denen Israel durch den jahrelangen kollektiven Widerstand der Palästinenser:innen während der Ersten Intifada in den 1980er und 1990er Jahren gezwungen wurde.

Die Verhandlungen selbst stellten jedoch gleichzeitig den Versuch dar, den palästinensischen Widerstand dadurch zu befrieden, dass die Errichtung eines eigenen palästinensischen Staates auf dem Gebiet des Westjordanlandes und des Gazastreifens auf diplomatischem Weg in Aussicht gestellt wurde.

Im Zuge dessen wurde die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) gegründet, die heute jedoch nichts weiter als der verlängerte Arm der israelischen Besatzung ist. Israel selbst weigert sich heute, einen palästinensischen Staat anzuerkennen oder darüber zu verhandeln.

Erst vor wenigen Tagen verabschiedete die Knesset, das israelische Parlament, eine Resolution, die die Annexion des besetzten palästinensischen Westjordanlandes legitimiert. Für Gaza entwickeln Israel und die USA immer wieder neue „Lösungen“, die bis zur vollständigen Vertreibung aller Palästinenser:innen reichen.

Immer wieder setzen sich Israel und die USA außerdem selbst über diplomatische Maßnahmen, die den Palästinenser:innen Rechte und Eigenständigkeit garantieren, hinweg. So hat zwar eine größere diplomatische Initiative der PA im Jahr 2012 dazu geführt, dass Palästina den Status eines Beobachterstaates als Nichtmitglied in der UN erhalten hat. Dadurch bekam Palästina unter anderem auch Zugang zum Internationalen Strafgerichtshof (ICC).

Israel selbst jedoch erkennt den ICC samt seiner Urteile gegen israelische Politiker:innen nicht an. Auch Bundeskanzler Friedrich Merz hatte im Frühjahr angekündigt, sich im Falle eines Staatsbesuchs von Israel Premierminster Benjamin Netanjahu in Deutschland über einen Haftbefehl des ICC hinwegzusetzen. Netanjahu werden vom ICC Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vorgeworfen.

Angesichts dieses Verhaltens muss die Frage, ob Israel sich überhaupt von der Anerkennung Palästinas als Staat beeindruckt zeigen wird, mit einem klaren Nein beantwortet werden.

Die symbolische Anerkennung des Staates Palästinas und selbst die tatsächliche Existenz eines Staates Palästina würde Israel nicht davon abhalten, Krieg gegen diesen zu führen – das bewiesen Netanjahu und Co. nicht zuletzt in den vergangenen Monaten, als sie Ziele im Iran und Syrien bombardierten. Die HTS-Regierung ( Haiat Tahrir al-Scham; Organisation zur Befreiung der Levante) in Syrien steht dabei wohlgemerkt sogar unter dem Schutz der NATO.

Diplomatie der Imperialisten bringt keine Freiheit
Die Verhandlungen und taktischen Manöver der imperialistischen Staaten wird den Palästinenser:innen niemals die Freiheit schenken. Der Vorstoß Frankreichs ist nicht mehr als eine politische Finte um sich in Konkurrenz mit den USA und Deutschland zu profilieren und innenpolitisch für Ruhe zu sorgen. Der symbolische Gehalt der Anerkennung nützt dem französischen Staat somit letztlich mehr als den Palästinenser:innen selbst.

Ist somit jegliche diplomatische Bemühung gegen Israel umsonst? Nein, für das palästinensische Volk würde ein größerer Druck auf Israel wohl bedeuten, dass womöglich einige der größten Kriegsverbrechen der Israelis ein Ende finden. Dieser Druck müsste jedoch nicht nur durch wirtschaftliche Sanktionen gegen Israel, sondern vor allem auch durch Proteste in Israel gegen die eigene Regierung selbst aufgebaut werden.

Ein Ende der Besatzung und die Freiheit werden sich die Palästinenser:innen nur selbst erkämpfen können. Nicht zuletzt deswegen feierte das palästinensische Volk weltweit den 7. Oktober: Weil – auch wenn der Widerstand unter Führung der islamischen Fundamentalisten steht – gezeigt wurde, dass die Palästinenser:innen ihr Schicksal und den Kampf gegen die Besatzung und für ihre Würde weiterhin selbst in die Hand nehmen können.

Auch nach anderthalb Jahren eines vernichtenden Zermürbungskrieges und Genozids beweisen die Palästinenser:innen, dass sie sich nicht auslöschen lassen. Während der PA-Kollaborateur Mahmud Abbas einer Entmilitarisierung zustimmt, leisten in ganz Palästina Kämpfer:innen weiterhin bewaffneten Widerstand.

Geht es auch heute um den Erhalt des reinen Lebens, so wird die Gelegenheit für Schläge gegen die Besatzer:innen zwangsläufig wiederkehren. Israel wird zwar nicht davon ablassen den palästinensischen Widerstand vernichten zu wollen.

Doch je mehr Fronten Israel im strategischen Kampf um die regionale Vorherrschaft in den nächsten Jahren eröffnet, umso mehr wird es seine hochgerüstete Armee auch in anderen Aufgaben binden müssen. Spätestens wenn die USA in einem Krieg mit China verwickelt sind, wird Israel sich nicht mehr auf unbegrenzte Schützenhilfe aus Amerika verlassen können.

In Westasien entsteht dann Raum für größere Machtverschiebungen. Für revolutionäre Kräfte, die sich dafür bereits heute in der Defensive sammeln müssen, würde dann die große Stunde schlagen.

https://perspektive-online.net/2025/07/anerkennung-eines-palaestinensischen-staates-mehr-als-ein-symbol